Bevor er tötet. Maik Bohn

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Bevor er tötet - Maik Bohn KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

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am Pfahl fiel. Auf sein Gesicht legte sich ein überraschter Ausdruck, sein ergrauter Schnurrbart zog sich in einem seltsamen Winkel nach rechts. Dann schaute er zu Mackenzie und Nelson, zu denen er schnell trat.

      „Porter“, sagte der Polizeichef. „White löst den Fall bereits. Sie ist ziemlich scharfsinnig.“

      „Das ist sie manchmal“, entgegnete er abweisend.

      So war es immer. Nelson machte ihr in Wirklichkeit kein Kompliment. Tatsächlich zog er Porter damit auf, ein junges Mädchen am Hals zu haben, das aus dem Nichts auftauchte und die Position eines Detectives ergattert hatte – das hübsche junge Mädchen, das nur wenige Männer über Dreißig auf dem Polizeirevier ernst nahmen. Und Porter konnte das bei Leibe nicht ausstehen.

      Während sie es genoss, zuzusehen, wie Porter sich unter den Neckereien wand, war es das nicht wert, sich unzulänglich oder nicht geschätzt zu fühlen. Immer wieder hatte sie Fälle gelöst, bei denen die anderen Männer nicht weiterkamen, und sie wusste, dass sie sich dadurch bedroht fühlen. Sie war gerade einmal fünfundzwanzig, viel zu jung, um sich in dem Beruf, den sie einmal geliebt hatte, ausgebrannt zu fühlen. Aber jetzt, da sie an Porter und diese Polizeistation gebunden war, fing sie an, ihren Beruf zu hassen.

      Porter machte Anstalten zwischen Nelson und Mackenzie zu treten, um ihr zu bedeuten, dass es jetzt seine Show war. Mackenzie bemerkte, wie sie so langsam anfing zu kochen, doch sie schluckte es herunter. Das tat sie schon seit drei Monaten, seit ihr aufgetragen wurde, mit ihm zusammenzuarbeiten. Vom ersten Tag an hatte Porter kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sie nicht mochte. Immerhin war sie der Ersatz für Porters vorherigen Partner, mit dem er achtundzwanzig Jahre lang gearbeitet hatte, und der laut Porter aus dem Dienst entlassen worden war, um einer jüngeren, weiblichen Kollegin Platz zu machen.

      Mackenzie ignorierte dieses offenkundige Fehlen von Respekt, sie ließ es nicht zu, dass es ihre Arbeitseinstellung beeinflusste. Ohne ein Wort zu verlieren ging sie zu der Leiche. Sie schaute sie sich genau an. Es tat ihr innerlich weh, sie so genau zu betrachten, und doch war sie davon überzeugt, dass er keine Leiche gab, die sie so sehr treffen würde, wie die erste, die sie je gesehen hatte. Sie hatte schon fast den Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr jedes Mal, wenn sie einen Tatort betrat, die Leiche ihres Vaters vor Augen hatte. Aber an diesem Punkt war sie noch nicht ganz angekommen. Sie war sieben Jahre alt gewesen, als sie das Schlafzimmer betreten und ihn auf dem Bett in einer Pfütze seines eigenen Blutes liegend gesehen hatte. Seitdem bekam sie das Bild nicht mehr aus dem Kopf.

      Mackenzie suchte nach Beweisen dafür, dass es sich nicht um ein Sexualdelikt handelte. Sie sah keine Kratzspuren oder blaue Flecken an ihren Brüsten oder am Hintern, auch fand sie kein Blut an ihrem Schambereich. Dann schaute sie die Hände und Füße der Frau an und fragte sich, ob es sich vielleicht um einen religiösen Mord handeln könnte, doch weder an den Handflächen, Fußknöcheln noch an den Füßen konnte sie Anzeichen einer Kreuzigung feststellen.

      In dem kurzen Bericht, den sie und Porter erhalten hatten, stand, dass die Kleider des Opfers noch nicht gefunden wurden. Mackenzie hielt es für Wahrscheinlich, dass sie der Mörder entweder noch bei sich oder schon entsorgt hatte. Das deutete darauf hin, dass er entweder sehr vorsichtig oder fast schon grenzwertig besessen war. Wenn man hierzu noch die Tatsache hinzuzählte, dass seine Tat in der letzten Nacht sehr wahrscheinlich nicht aus einem sexuellen Motiv heraus begangen hatte, dann erhielt man einen schwer fassbaren und kalkulierenden Mörder.

      Mackenzie zog sich zum Rand der Lichtung zurück, um die gesamte Szene in sich aufzunehmen. Porter warf ihr einen Seitenblick zu, dann ignorierte er sie einfach und wandte sich wieder seinem Gespräch mit Nelson zu. Sie bemerkte, dass die anderen Polizisten sie beobachten. Zumindest einige von ihren verfolgten ihre Arbeit. Sie hatte ihre Stelle mit dem Ruf, außerordentlich klug zu sein und war von der Mehrzahl ihrer Ausbilder auf der Polizeiakademie geschätzt worden. Hin und wieder stellten ihr jüngere Polizisten – sowohl Männer als auch Frauen – ernstgemeinte Fragen und holten ihre Meinung über einen Fall ein.

      Andererseits war ihr auch bewusst, dass ihr einige der Männer, die sich ebenfalls auf der Lichtung befanden, anzügliche Blicke zuwarfen. Sie wusste nicht, was schlimmer war: die Männer, die auf ihren Hintern starrten, wenn sie vorbeiging, oder diejenigen, die hinter ihrem Rücken das kleine Mädchen auslachten, das die Rolle eines knallharten Detectives spielen wollte.

      Als sie die Szene betrachtete, überkam sie wieder der nagende Verdacht, dass etwas hier einfach nicht stimmte. Sie hatte das Gefühl, ein Buch zu öffnen und die erste Seite einer Geschichte zu lesen, von der sie wusste, dass sie voller Intrigen stecken würde.

      Und das ist gerade erst der Anfang, dachte sie.

      Ihr Blick wanderte zu dem Dreck um die Stange und sah ein paar Fußabdrücke, die aussahen, als ob jemand beim Gehen seine Füße nicht richtig hochgehoben hätte, doch daraus konnte man keine Abzüge erstellen. Ebenfalls entdeckte sie fast schon geschwungene Linien auf dem Boden. Sie ging in die Hocke, um sich die Spuren näher anzuschauen. Dabei fiel ihr auf, dass die geformten Abdrücke nebeneinander verliefen und den hölzernen Pfahl umrundeten, sodass der Eindruck entstand, dass ihr Verursacher mehrmals um ihn herumgegangen sein musste. Dann betrachtete sie wieder den Rücken der Frau und bemerkte, dass die Striemen auf der Haut in etwa die gleiche Form hatten wie die Spuren auf dem Boden.

      „Porter“, sagte sie.

      „Was ist denn?“, fragte er, verärgert, dass sie ihn einfach unterbrochen hatte.

      „Ich glaube, ich habe die Spuren der Waffe gefunden.“

      Porter zögerte einen Moment, bevor er zu der Stelle ging, an der Mackenzie im Dreck kauerte. Als er neben ihr in die Hocke ging, stöhnte er leicht auf und sie konnte hören, wie sein Gürtel knirschte. Er wog etwa fünfundzwanzig Kilo zu viel, was sich immer deutlicher machte, je weiter sich diese Zahl der dreißig näherte.

      „Eine Art Peitsche?“, vermutete er.

      „Schaut so aus.“

      Sie untersuchte den Boden, wobei sie den Spuren im Sand bis hin zum Pfahl folgte – dabei fiel ihr etwas Anderes auf. Es war so unauffällig, so klein, dass sie es fast nicht gesehen hätte.

      Sie ging zu dem Pfahl, darauf bedacht, die Leiche nicht zu berühren, bevor die Forensiker sie nicht untersucht hatten. Wieder ging sie in die Hocke, doch diesmal bekam sie die volle Nachmittagshitze zu spüren, die sie niederdrückte. Unerschrocken rückte sie mit ihrem Kopf näher an den Pfahl heran, so nah, dass sie ihn fast mit ihrer Stirn berührte.

      „Was zur Hölle tun Sie da?“, fragte Nelson.

      „Hier ist etwas eingeritzt“, sagte sie. „Es schaut aus, als wären es Zahlen.“

      Porter trat heran um nachzuforschen, doch er konnte sich nicht noch einmal hinunterbeugen. „White, dieses Holzstück ist locker zwanzig Jahre alt“, meinte er. „Diese Einkerbungen schauen genauso alt aus.“

      „Vielleicht“, entgegnete Mackenzie. Aber das glaubte sie nicht.

      Porter, der schon das Interesse an ihrer Entdeckung verloren hatte, ging zurück zu Nelsen, mit dem er die Informationen abglich, die ihm der Bauer, der die Leiche gefunden hatte, gegeben hatte.

      Mackenzie holte ihr Handy hervor und fotografierte die Zahlen ab. Sie vergrößerte das Bild, wodurch sie deutlicher wurden. Sie so detailliert zu sehen, verstärkte das Gefühl, dass all das hier der Anfang etwas viel Größeren war.

      N511/J202

      Die

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