Der Derbysieger. Edgar Wallace
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Derbysieger - Edgar Wallace страница 8
»Bitte, entschuldigen Sie sich doch nicht, Miss President. Sie wissen, daß ich mich selten vor zwei Uhr schlafen lege, und es hat mir das größte Vergnügen gemacht, Sie noch zum Zug zu bringen. Ich freue mich wirklich, daß ich gerade zufällig in Marseille war und Ihnen behilflich sein konnte.«
Sie sah ihn dankbar an.
»Ich war auch sehr froh. Es ist nicht gerade angenehm für eine junge Dame, in einer französischen Stadt nach einem Mann zu suchen und den Behörden klarzumachen, daß es sich um einen Verbrecher handelt. Ohne Ihre Hilfe wären mir die Nachforschungen in Marseille sehr schwergefallen. Und wenn Sie mich nicht überallhin begleitet hätten, wäre auch meine Reise nach Monte Carlo unmöglich gewesen.«
»Ich freue mich stets, wenn ich etwas für Ihren Großvater tun kann. Er ist ein so außergewöhnlicher Mann. Nur wenig Leute, mit denen ich zusammengekommen bin, haben so großen Eindruck auf mich gemacht wie er.«
»Er schätzt Sie ebenso und hat das größte Vertrauen zu Ihnen.« Sie lächelte freundlich. »Ich hätte niemals geglaubt, daß der Vorsitzende des Jockey-Klubs sich so für unsere Angelegenheiten interessieren würde.«
Lord Chanderson lachte ein wenig. Er war schon ein älterer Herr, aber er hatte immer noch einnehmende Züge. In England war er eine bekannte Persönlichkeit.
»Ihr Großvater gehört zu den kleinen Rennstallbesitzern, die wir sehr schätzen«, entgegnete er, höflich. »Sie wissen, daß wir alle Neulinge mit großer Vorsicht aufnehmen.«
»Meinen Sie, daß man diesen Leuten nicht trauen kann und daß sie unehrlich sind?
Er zuckte die Schultern.
»Das möchte ich gerade nicht behaupten. Aber sie arbeiten in neuerer Zeit mit allen Mitteln, und solche Gebräuche sollen bei den Rennen nicht einreißen. Es ist tatsächlich erstaunlich, daß Ihr Großvater mit nur einem Rennpferd –«
»Sie meinen zwei«, unterbrach sie ihn.
»Zwei?« sagte er erstaunt. »Ich dachte, er hätte nur das eine.«
»Sie vergessen das Pferd, das wir im Derby laufen lassen wollen«, sagte sie ernst. »Mein Großvater hält viel von Donavan.«
»Ich habe noch niemals von ihm gehört,« sagte Lord Chanderson lachend. »Man sieht doch, daß man selbst als Vorsitzender des Rennklubs um halb zwei Uhr nachts noch manches lernen kann, selbst auf dem Bahnsteig von Marseille. Ich glaube aber, wir gehen jetzt zu Ihrem Abteil zurück – in vier Minuten fährt der Zug ab.«
Ein Schaffner ging an ihnen vorbei.
»Bitte Platz nehmen!« rief er.
Miss President reichte Lord Chanderson herzlich die Hand und stieg dann ein. Sie ließ das Fenster herunter und plauderte noch mit ihm, bis sich der Zug in Bewegung setzte. Dann winkte sie, und er grüßte freundlich mit dem Hut.
Er war einer der englischen Sportsleute, die sie verehrte. Sie kannte viele, die sich für den Rennsport interessierten, aber nicht alle waren ihr sympathisch. Lord Chanderson gehörte zu der alten Generation, war ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle, ein Mann mit hervorragender Bildung und feinem Takt. Es war tatsächlich ein glücklicher Zufall gewesen, daß er sich gerade in Marseille aufgehalten hatte. Ihrem Großvater war ein Gerücht zu Ohren gekommen, daß der Mann, den er suchte, in der Nähe von Marseille gesehen worden war. Zweifellos stimmte die Nachricht, aber Nachforschungen nach einem Mann, von dem man nur eine zwanzig Jahre alte Fotografie besitzt, sind ziemlich aussichtslos. Ihre Erkundungsfahrt war ohne Erfolg geblieben, aber als sie von Marseille abfuhr, hatte sie eine angenehme Erinnerung an die liebenswürdige Fürsorge Lord Chandersons, der ihr mit größter Zuvorkommenheit geholfen hatte. Nur durch reinen Zufall hatte ihr Großvater von dem Aufenthalt Lord Chandersons in Marseille erfahren und ihr daher einen Empfehlungsbrief an den bekannten Sportsmann mitgeben können. Der Lord war John President stets in der freundschaftlichsten und liebenswürdigsten Weise begegnet, seitdem dieser sich wieder in England aufhielt.
Mary President ging in ihr Schlafwagenabteil und begann sich auszukleiden. Sie merkte aber bald, daß sie die Nacht nicht ungestört verbringen würde, denn der Herr im nächsten Abteil war anscheinend stark angetrunken. Er sang laut und unterhielt sich zwischendurch mit sich selbst. Die Worte konnte sie allerdings nicht verstehen, da ihr seine Sprache unbekannt war. Er mußte sehr vergnügt sein, denn ab Und zu hörte sie lautes Lachen. Sie hoffte, daß die Geräusche des Zuges den Lärm übertönen würden, aber der Mann besaß eine durchdringende Stimme, und Mary Presidents Hoffnung erfüllte sich nicht. Schließlich hörte sie, daß jemand den Gang entlangkam, an die Tür des nächsten Abteils klopfte und den Sänger in scharfem Ton zur Ruhe verwies.
Aber der Mann schien sich wenig daraus zu machen; er antwortete mit einem frechen Lachen und erkundigte sich, wie der andere dazu käme, an seine Tür zu klopfen.
Mary versuchte alles mögliche, um einzuschlafen. Sie dachte an den Zweck ihrer Reise, aber dadurch wurde sie nicht ruhiger. Sie hatte John Pentridge in Marseille gesucht, wie ihn ihr Großvater während der letzten fünf Jahre in ganz Europa und früher in Australien gesucht hatte. Ein Bekannter hatte ihn in Marseille gesehen und ihrem Großvater sofort Nachricht zukommen lassen. Daraufhin hatte sie sich gleich auf den Weg nach Südfrankreich gemacht. Das war nicht die erste Reise, die sie zu diesem Zweck unternommen hatte. Sie hatte schon fast alle großen Städte Europas besucht, um den Mann zu finden, der die Erfindung John Presidents gestohlen hatte.
Allmählich schlief sie doch ein, aber sie erwachte plötzlich wieder, als jemand versuchte, ihre Tür zu öffnen. Von außen konnte man nur mit dem Schlüssel des Kontrolleurs aufmachen. Zollbeamte waren es sicher nicht, denn sie fuhren durch Frankreich und hatten keine Grenze zu passieren. Sie drückte auf den Knopf ihrer kleinen Repetieruhr, und diese schlug vier. Sie hatte also höchstens eine Viertelstunde geschlafen. Langsam öffnete sich die Tür. Das Innere ihres Abteils war vollkommen dunkel, und als sie aufsah, bemerkte sie die Umrisse einer untersetzten Gestalt.
»Wer ist da?« fragte sie schnell und langte nach dem Lichtschalter. Aber bevor sie ihn umdrehen konnte, sprang der Mann zurück und warf die Tür ins Schloß. Sie erhob sich und klingelte dem Schaffner, der gleich darauf ziemlich verschlafen zu ihrer Tür kam.
Nein, er war nicht im Gang gewesen, und außer ihm hatte niemand einen Schlüssel zu den Schlafkabinen.
»Mademoiselle hat sicher geträumt«, sagte er höflich lächelnd, aber innerlich fluchte er, denn selbst der höflichste Schlafwagenschaffner läßt sich nicht gern in seiner Ruhe stören.
»Ich habe durchaus nicht geträumt«, entgegnete sie ernst. Aber sie sprach nicht weiter mit ihm darüber, da es doch keinen Zweck hatte.
Der Herr nebenan war anscheinend inzwischen eingeschlafen. Das konstatierte sie dankbar, als sie sich wieder niederlegte. Aber sie selbst kam nicht zur Ruhe. Sie drehte das Licht wieder aus. Der Zug fuhr verhältnismäßig ruhig durch das Rhonetal. In anderthalb Stunden würde der Morgen dämmern und ihr das Gefühl der Sicherheit wiedergeben. Es mochte ein Irrtum sein, aber sie