der verstellte Ursprung. L. Theodor Donat

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der verstellte Ursprung - L. Theodor Donat

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an den sich dann alle gebunden wissen. Es wird kein Schluss gezogen, im Sinne von „wir halten also fest, dass... “. Die Reichhaltigkeit der Argumentation und nicht bloss ein Satz muss erhalten bleiben. Es ist klar, dass ein Palaver millimetergenaue Lösungen liefern kann, da nicht einfach Prinzipien oder Rechtssatzungen angewendet werden. Der ganze Reichtum des Lebens fliesst in das Palaver ein. Es setzt Gemeinschaften voraus, wo Jeder Jeden kennt und sachkundig Stellung beziehen kann.

      Leider waren die meisten unserer Schüler/innen mit dieser Kunst kaum mehr vertraut. Die Schule mit ihren „daraus folgt“ und ihrer Abwertung des gesprochenen Wortes hatte sie dem Palaver entfremdet.

      In einer Konsensgesellschaft ist die Gefahr gegeben, dass die Einzigartigkeit der Person in Bezug auf die gemeinsam gefassten Beschlüsse zurückstehen muss. Und doch gibt es Orte und Zeiten, bei denen Individualität gefördert wird. Gerade beim Fest tanzen alle Mitglieder des Quartiers im Kreis um die Gruppe mit den Instrumenten herum. Doch jede Frau und jeder Mann tanzt den eigenen, persönlichen Tanz.

      Beim traditionellen Tanz bilden sich keine Paare, d.h. die Aufmerksamkeit gehört nicht einer Person, sondern der Gruppe. Die Tanzenden bewegen sich um die Gruppe mit den Instrumenten: Verschiedene Arten von Trommeln und Flöten. Das Ganze ist fast ausschliesslich eine Frage des Rhythmus. Die Bewegungen sind jedoch innerhalb des Rhythmus völlig frei; es gibt aber wiederkehrende Formen, typisch für ein bestimmtes Fest. Es gibt eine Trommel, die nach dem Erntedankfest benannt wird.

      Das treffende Wort gibt Sinn und Würze im Leben. Man kann in Gleichnissen reden, um die geistige Wachheit des oder der Gesprächspartner zu testen. Durch das Sitzen um den gemeinsamen grossen Tonkrug mit Hirsebier z.B. wurde nicht nur der Gemeinschaftssinn gefördert, sondern ebenso das Gespür für Weisheit. Zum Lachen ob einem Spruch oder ob einer Geschichte brauchte es intelligentes Analysieren des Hörers und gekonntes Reden des Erzählers. Die Sprache der älteren Menschen war sehr differenziert, mit vielen Andeutungen. Jüngere Menschen haben so von älteren gelernt. Aber das Schweigen hat ebenso seinen Platz. Wenn jemand stirbt, so versammeln sich Nachbarn und Verwandte, um mit ihrem Schweigen der Anteilnahme und der Ohnmacht gegenüber dem Tod Ausdruck zu verleihen.

      Wie ernst das Wort eines jeden Menschen genommen wird, habe ich zu Beginn meines Aufenthaltes in einem Dorf erfahren. Ein Mitbruder stand der Messe vor. Danach diskutierte die Gemeinde aktuelle Fragen. Da kam ein Geisteskranker durch die offene Kirchentüre und unterbrach das Gespräch mit wirren Worten. Einige junge Männer wollten den kranken Mann hinaus führen, doch die älteren intervenierten: Man müsse ihn reden lassen. Man wisse nie, ob er ein Wort von „Vater-Gott“ zu überbringen habe. – Verwünschungen werden gleichfalls sehr ernst genommen. Sie werden als feindliche Tat gewertet und können zu grossen Problemen unter Familien führen.

      Zu einem erfüllten Leben gehört das Lachen. Bei Begrüssungen wird gelächelt oder gelacht. Im Kreis um einen Krug mit Hirsebier herum, wird viel gelacht. Zu Beginn der Nacht kann über die Anstrengungen des Tages, über das Verhalten der kleinen Kinder oder der Haustiere gelacht werden. Dramatisch ist, wenn ein junger Mensch stirbt, aber nach einer kurzen Periode intensiven Mitgefühls muss das Leben weitergehen. Allerdings soll damit nicht dem dummen Vorurteil vom lachenden, weisse Zähne zeigenden Schwarzen, Vorschub geleistet werden. Ich habe in meiner Gastkultur überall Verantwortung und Sorgfalt angetroffen, aber das Vertrauen in „Vater-Gott“ lässt keine dauernde Dramatisierung zu. Das ist einfach eine Frage der Werte.

      — Harmonie

      Eine weitere hauptsächliche Folgerung des Blicks der Tradition auf „Vater-Gott“ und auf die ganze unsichtbare Welt ist die Notwendigkeit der Harmonie. Sie bestimmt notwendigerweise, jeden Tag, die Beziehungen zwischen den Menschen, das Verhältnis zur Natur und vor allem den Kontakt zur unsichtbaren Welt. Die Harmonie unter den Menschen drückt sich u.a. in den Festen der Gemeinschaft und in den Zeremonien zum Gedenken an einen Toten aus.

      Übrigens gibt es eine sehr schöne Geste zu Beginn der „Funérailles“. Der Vorsteher (so etwas wie ein OK-Präsident, dessen Aufgabe zeitlich begrenzt ist) richtet etwa folgende kleine Ansprache an die zum Feiern gekommene Versammlung: „Wir werden jetzt gleich essen und vor allem trinken. Es kann geschehen, dass dabei der eine oder andere beim Trinken und beim lauten Reden eine etwas nasse Aussprache hat und versehentlich auf den andern spuckt.“ Einen andern Menschen zu bespritzen oder zu bespucken gilt als lebensbedrohende Geste. Nach dem Glauben in meiner Gastkultur hat jeder Mensch von seinem Ursprung her „sein Wasser“, das durch Anspritzen oder Speien verunreinigt würde.

      Gar nicht so abwegig, wenn es in der Ahnenreihe des Menschen, der Evolutionstheorie gemäss, Fische gab! Mütter, die ihre Kinder duschen, bitten diese immer zuvor um Entschuldigung.

      Und der Vorsteher fährt fort: „Das soll aber kein Anlass zu Streitereien sein, die unserer Feier entgegenstünden.“

      Es geht ja darum, den Verstorbenen in die Welt der für die Familie bedeutsamen Ahnen und Fürsprecher vor „Vater-Gott“ einzuführen. Wie jede Beziehung zu Unsichtbarem erfordert das in erster Linie Harmonie.

      Dann leert er eine mit Wasser gefüllte Kalebasse auf dem Boden aus. Dieses Ausgiessen von Wasser, ein Trankopfer, bedeutet Einheit, gemeinsames Leben der Anwesenden mit dem Verstorbenen, der jetzt zum Ahnen wird und gemeinsames Leben mit allen Ahnen der Familie.

      Übrigens wird bei den „Funérailles“ der Tod eines Menschen noch einmal gespielt. Der betreffende Mensch wird durch ein in ein Tuch eingewickeltes Holzstück dargestellt. Eine Frau wird versuchen, dem „Kranken“ Wasser zu geben. Wenn er nicht trinkt, schreit die Frau auf, die Onkel werden benachrichtigt und die draussen wartenden Frauen nehmen das Geschrei auf, wie es beim Tode eines Menschen geschieht. Da es sich um ein Fest handelt und somit Lachen angesagt ist, sind die „Funérailles“ eine Aufarbeitung des Verlusts eines geliebten Menschen.

      Ein Mittel, um einem Menschen zu helfen, ein dramatisches Ereignis zu verarbeiten, besteht ja darin, ihn das Geschehen bei verschiedenen Gelegenheiten erzählen zu lassen.

      Die „Funérailles“ werden nur für verstorbene Erwachsene abgehalten, die ihr Leben „gegessen“ hatten, wie es in der Sprache meiner Gastkultur heisst. Das heisst, es geht um Menschen, die ihr Leben geniessen konnten, die Kinder und Kindeskinder aufwachsen sahen, viele Feste gefeiert und an vielen Märkten teilgenommen hatten, getanzt und gejagt und mit anderen viele Hirsebier-Krüge geleert hatten usw.

      In die Natur darf nicht willkürlich eingegriffen werden. Wenn man mit erlegten Tieren von der Jagd zurückkommt, werden am Eingang des Dorfes Zeremonien vollzogen, die so etwas wie eine Bitte um Vergebung enthalten, das Leben der Tiere ausgelöscht zu haben. Im Übrigen ist man sich der Gegenwart des Unsichtbaren immer bewusst. In der Nacht drückt sich das aus, indem ausserhalb des Hauses weder laut gesprochen, noch laut gelacht wird, damit böse Geister keinen Einfluss nehmen können.

      Harmonie ist lebensnotwendig. Disharmonie, ein Vergehen gegen die Werte der Tradition, kann die Existenz einer Familie, eines Quartiers oder einer grösseren Gemeinschaft bedrohen.

      Ich machte einmal einen Spaziergang im Süden des Landes. Wir kamen in einer sonst unbewohnten Gegend an mehreren halb zerfallenen, komplett vom Buschgras überwucherten Häusern vorbei. Ich fragte meinen Begleiter, was da vorgefallen war. Er antwortete mir, dass in dem Quartier vor drei Jahren „Zizanie“ (Zwietracht) geherrscht hatte!

      Disharmonie kann unsichtbare Gründe haben, sei es, dass etwas im Verborgenen geschehen ist, sei es, weil man die Rechte der Ahnen nicht wahrgenommen hat. Der herbeigerufene Seher wird den Grund der Disharmonie feststellen, die sich durch kleinere oder grössere Anomalien, eine Art Vorwarnungen, geäussert hatte. Er selbst wird nichts in der Sache unternehmen. Andere Personen werden die empfohlenen Massnahmen vollziehen. Jedes Rundhaus hat einen Hauspriester, meistens der älteste

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