der verstellte Ursprung. L. Theodor Donat
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In den Initiationsriten der jungen Frau kommt zum Ausdruck, wie wichtig es ist, dass sie gutes Leben weitergibt. Mit ihren Kameradinnen der gleichen Altersklasse geht sie am letzten Tag ihrer Initiation nackt an den Ursprungsort ihrer Familie zurück und nimmt von dort etwas Erde mit. Dann begeben sich die jungen Frauen zu den versammelten Repräsentanten der Gründungsahnen der entsprechenden Dörfer. Dort setzt sich jede auf einen besonderen Stein, als Beweis, dass sie noch Jungfrau ist. Mit der Rückkehr zum Ursprung, mit ihrem nackten schönen Leib und dem Attest als Jungfrau, zeigt die junge Frau, dass sie das empfangene, gute Leben weitergeben kann und will. Der nackte Mensch verstellt sich nicht, er altert auf normale Weise, er ist ehrlich gegenüber "Vater-Gott".
In der Stadt mit ihren Halb-Traditionen hat sich die Unsitte eingebürgert, dass sich die Mädchen mit Büstenhalter und Höschen zeigen!
Kinder und ihre Mütter sind im Allgemeinen bei Gesprächen unter Männern abwesend. Kinder können die harte Welt der Männer und der Macht noch nicht ertragen. Kinder sind ja erst auf dem Weg zur Menschwerdung. Erst die junge Frau oder der junge Mann, der die Initiationsriten vor der ganzen Gemeinschaft bestanden hat, ist im eigentlichen Sinne Mensch.
Die Onkel mütterlicherseits spielen eine sehr wichtige Rolle. Der älteste lebende Bruder der Mutter bestimmt in vielen Belangen über das Leben ihrer Kinder, so über den Zeitpunkt der Initiation und die Modalitäten der Grablegung. Auf diese Weise wird die Autorität des Vaters relativiert und in den Rahmen der Gesellschaft gestellt. So scheint die Tradition das Leben mütterlicherseits vorzuziehen. Stuft sie damit das Leben nicht höher ein als die Macht? Einfache Gesten, wie z.B. das Verteilen des Hirsebiers, bei dem man zuerst die Frauen bedient, zeigt auch sehr schön die Prioritäten der Tradition: Leben kommt vor Macht.
In meiner Gastkultur war ein polygamer Haushalt durchaus möglich, aber nicht die Regel. Mehrere nicht christliche Ehepaare, die ich kannte, lebten monogam. Die Monogamie existiert in der Tradition und ich meine, dass es die ursprünglichere Form der Ehe war. Vielleicht ist das ebenfalls eine Frage der Harmonie.
In der polygamen Familie gibt es notwendigerweise Eifersucht und Misstrauen. Polygamie ist an den Reichtum des Mannes gebunden, so sind die meisten modernen Chefs polygam. Ich kannte aber zwei sehr weise moderne, monogame Chefs.
Die Erziehung der Kinder ist eine gemeinsame Verantwortung der Eltern. Kleine Kinder sind eher mit der Mutter, grössere mit anderen Kindern oder mit dem Vater anzutreffen. In Vollmondnächten wird später zu Bett gegangen, die ganze Familie ist versammelt. Und zwar nur sie. In der Nacht wird das eigene Haus nur in Notfällen verlassen. Vollmondnächte bieten die Gelegenheiten, Geschichten zu erzählen, von Erlebnissen zu berichten, Märchen weiterzugeben, Denksportaufgaben vorzuschlagen u.v.a.m. Die Gemeinschaft des Quartiers nimmt sehr oft an der Erziehung teil. Es gibt keine Augen, die wegsehen. Was ich in diesem Abschnitt geschildert habe, gilt natürlich nur in den Dörfern, die Stadt ändert so vieles in diesem Bereich. Komplementarität wiederum ist Voraussetzung für die Harmonie und garantiert die Gleichheit in der Würde der Personen. Echte Komplementarität bedeutet, dass es nicht möglich ist, die Aufgaben des Anderen zu übernehmen. Nur der Geisteskranke ist von dieser Komplementarität ausgenommen.
— der Sinn des Lebens
In der Tradition ist es der Wunsch, das Ideal jedes Menschen, alt zu werden und das Leben voll auszukosten, eben das „Leben zu essen“. „Vater-Gott“, bietet ein interessantes und abwechslungsreiches Leben. Der Markt gehört zu den schönen Seiten des Lebens. Und vielleicht ist er, neben den gemeinsamen Arbeiten, die stärkste Institution zum Aufbau und Erhalt der Dorfgemeinschaft.
Die traditionelle Woche hatte sechs Tage, An jedem Tag war der Markt an einem anderen Ort, innerhalb des relativ kleinen Gebiets meiner Gastkultur. Die Wochentage wurden nach dem Dorf benannt, in welchem der Markt an diesem Tag jeweils stattfand. Auf diese Weise konnte an jedem Tag irgendwo gehandelt werden, wenn etwas unbedingt gebraucht wurde. Die Märkte hatten ihre bestimmte Eigenart, so hielten Schmiede ihre Produkte vor allem auf einem Markt feil. Bei meiner Ankunft war die traditionelle Woche noch intakt, dann führte man einen künstlichen und nebenbei politischen Namen für einen siebten Tag ein. Damit sind nun die Markttage an den verschiedenen Orten immer am gleichen „europäischen“ Wochentag. Die staatliche Verwaltung und die Schulen hatten die europäische Woche schon länger übernommen.
Während des Marktes sind die Frauen vor allem mit Tauschen oder heute mehr mit Handeln beschäftigt, die Männer findet man eher in Gruppen um grosse Hirsebier-Krüge versammelt, um die „allgemeine Lage“ zu besprechen oder beim Handel mit Schafen oder Ziegen. Natürlich tauschen Frauen ebenso Neuigkeiten aus. Manchmal kommen Männer und Frauen aber erst gegen Abend zum Markt oder sie verlassen ihn schon kurz nach Mittag, wenn der Heimweg lang ist; es gibt kein starres Schema.
Verschiedene Märkte erreichen zu verschiedenen Zeiten ihren Höhepunkt. Je kleiner der Markt, umso später ist dies der Fall.
Abends nach dem Essen können dann Mann und Frau ihre neu gewonnenen Einsichten ins Familiengespräch einbringen.
Wichtig ist die Teilnahme an den grossen Festen und an der Jagd vor dem Beginn der Regenzeit. Von der praktischen Seite her gesehen ist die Jagd so etwas wie eine sportliche Ertüchtigung – nach der eher geruhsamen Trockenzeit –, bevor wieder harte körperliche Arbeiten auf den Feldern anfallen. Die Arbeit auf relativ grossen Feldern kann übrigens durch eine Kooperative erleichtert werden.
Eine Gruppe von Männern kommt dabei überein, abwechslungsweise die Felder eines jeden zu bearbeiten. Die Familie, für die gearbeitet wird, wird als Lohn einen Krug Hirsebier bereitstellen. So klingt die harte Arbeit mit Diskussionen und Lachen aus.
Alle Männer eines Quartiers müssen periodisch beim Graben der Begräbnisstätten mitmachen. Das sind eine Art unterirdische Grotten, die nur eine kleine, runde Öffnung haben und nur durch einen kleinen, runden Stein geschlossen werden. Oft sind diese Begräbnisstätten mitten in den Feldern und kaum erkennbar. Es ist interessant, dass der Name für diese gemeinsame Arbeit „Grosse Kultur“ genannt wird. Hier soll Wichtigeres als Hirse oder Yams gepflanzt und geerntet werden.
Geburt und Tod werden als symmetrische Vorgänge dargestellt. So wie der einmal erwachsene Mensch eigene Wege geht, so wird die Leiche, auf dem Kopf eines jungen Mannes, tanzend überall dorthin getragen, wo die/der Verstorbene während des Lebens war. Vor der Beisetzung wird der oder die Tote in sein/ihr Mutterhaus gebracht, dort wie früher als Kleinkind von Frauen umsorgt und für die Grablegung vorbereitet. Wie vor der Geburt der Mann in die Vagina der Frau eindringt, so wird die Leiche vom Mann durch ein enges Loch der Erde übergeben. Frauen dürfen sich dem Grabe nicht nähern, es sei denn, sie hätten die Menopause hinter sich. Die Quelle des Lebens in der jüngeren Frau erträgt sozusagen die Gegenwart des Todes nicht.
Die mühsame, aber von Lachen begleitete Arbeit, das tägliche Miteinander in der Familie und im Quartier, das Mitmachen bei den Märkten, das Feiern der Feste: Das alles sind Elemente, die das Leben im Licht von „Vater-Gott“ erfüllen. So hatte es die vorhergehende Generation gehalten, so wird die nachfolgende Generation verfahren.
Meine Gastkultur ist sowohl sakral als auch egalitär. In den meisten Fällen sind sakrale Kulturen hierarchisch, weil