der verstellte Ursprung. L. Theodor Donat
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Somit müssen mehrere Akteure zusammenwirken, um Unglück oder Tod abzuwenden. Keiner der Handelnden – Seher, Hauspriester und Repräsentant des Gründungsahnen – kann ersetzt oder bezahlt werden, da eine Bedrohung des Einzelnen eine Bedrohung der Gemeinschaft ist und umgekehrt. So wird das Gleichgewicht der wirtschaftlichen Bedingungen bewahrt. Nochmals, egalitär kann eine Kultur nur sein, wenn es in ihr wirksame Institutionen gibt, die verhindern, dass der Einzelne reich oder mächtig wird. Wir haben in meiner Gastkultur vielleicht eines der wenigen Beispiele einer Nicht-Konzentration geistlicher Macht und den Verzicht auf Bereicherung in Ausübung eines geistlichen Amtes.
Im Bereich der Gesundheit gibt es Männer oder Frauen, die heilende Kräfte für bestimmte Krankheiten haben. Dem Heiler sollen keine materiellen Vorteile erwachsen, er wird gegebenenfalls für den Ausfall der Arbeit auf seinen Feldern entschädigt. Wieder ist für die Nicht-Konzentration von medizinischer Macht gesorgt, man wird nicht zur gleichen Heilerin, zum gleichen Heiler gehen bei einem Schlangenbiss oder bei der Brustentzündung einer Frau. Der Heiler, der Schlangenbisse behandelt, ist bei einem andern Heiler ein gewöhnlicher Patient, es gibt somit keinen „Chefarzt“. Jede Krankheit, selbst die psychische, hat einen religiösen Aspekt.
— Gastfreundschaft
Beim Empfang eines Fremden reicht eine junge Frau zuerst eine Kalebasse mit Wasser, nicht ohne zuerst daraus einen kleinen Schluck zu trinken. Das hat eine Vielzahl von Bedeutungen. Für den Gast ist es ist sicher erfreulicher, ihre vollen Brüste zu sehen, als die hängenden Brüste einer alten Frau! Dem Fremden wird auf jeden Fall Wasser, das Wasser des Hauses offeriert, es ist gut, denn das Mädchen hat davon gekostet. Der Fremde wird die Kalebasse nehmen und als Trankopfer ein wenig Wasser auf die Erde giessen. Damit zeigt er, dass er die Ahnen der Familie ehrt. Dass er dann trinkt, beweist der Familie, dass sie von einem Menschen besucht und nicht durch einen Geist getäuscht wird. Das Wasser, das er trinkt, bedeutet das Leben, das die Familie mit dem Gast teilen will. Selbst wenn Hirsebier zur Verfügung stände, das allen gemeinsame Wasser muss zuerst getrunken werden. Es könnte ja Familien geben, die nichts anderes haben. So spielt das Prinzip der Gleichheit in zahllosen Variationen. Alle Massnahmen beim Empfang des Fremden sollen dazu dienen, dass er wieder Mensch werden kann.
Müdigkeit, Hunger und vor allem Durst schränken das Menschsein ein. Bevor der Fremde nicht getrunken und gegessen hat, bevor er nicht über alle seine körperlichen und geistigen Kräfte verfügt, wird man ihm keine Fragen stellen, ihn mit keinen Problemen konfrontieren.
Es geht immer zuerst um Menschwerdung und Leben. Und wenn jemand per Zufall in ein Haus kommt und die Familie beim Essen findet, so wird er aufgefordert, daran teilzunehmen. Sein Anteil befindet sich sozusagen in der bereitgestellten Nahrung, denn kein Leben kann allein gelebt werden.
Am Beispiel des spirituellen Werts der Gastfreundschaft zeigt sich wieder, dass jeder spirituelle Wert eine materielle Basis (Wasser, Kalebasse) braucht. Anderseits gibt es kaum etwas Materielles, das nicht auch eine spirituelle Bedeutung hat.
Klar bin ich in der Hauptstadt „Grossen Menschen“ (klP) begegnet, welche die Rituale der Tradition vergessen hatten. Sie hatten ja keine Kalebassen mehr und man durfte das Bier oder den Champagner nicht auf den Teppich giessen!
Geht es bei der Gastfreundschaft in Europa nicht manchmal darum, Haus und Einrichtung vorzuführen, mit Speise und Trank den Gast zu verblüffen? Welcher Unterschied zu einer Kultur, die auf die Menschwerdung des Gastes bedacht ist.
— Architektur
Das Vertrauen in „Vater-Gott“ ist grösser als das Misstrauen vor der möglichen Gegenwart von Teufelchen. Jedes Rundhaus hat seine Schutzengel, die gleichsam im kreisförmigen Eingangshaus residieren. Gegen aussen gibt es nur ganz kleine Fenster. So entsteht ein geschützter Lebensraum für die Familie. In der Tradition hatten alte Leute ein kleineres Haus ‒ fast in der Mitte des Hofes ‒ mit einem offenen und gedeckten Vorraum, der ihnen erlaubte, geschützt vor Regen, Sonne oder Kälte am Leben der Familie teilzunehmen, ohne sich viel zu bewegen. Alle Häuser sind mit dem Stroh eines speziellen Grases gedeckt.
Das Stroh wird zu Matten gebunden und diese um die konischen Dächer ausgelegt. Befestigt werden Streben und Strohmatten mit traditionellem Seil. Der Vorteil der Strohdächer liegt in der Kühle, die sie den Häusern verleihen. Die warme Luft kann so ständig entweichen. Der Nachteil ist, dass sie alle drei bis fünf Jahre erneuert werden müssen.
Die Frauen des Quartiers glätten die Böden der Häuser und des Hofs mit einer wasserabstossenden Masse, die unter anderem aus den Früchten des Baobabs gewonnen wird. Die Dusche ist ein geschützter Platz zwischen zwei Häusern mit einem Ablauf aus flachen Steinen. Als Toilette dient das Hirsefeld, das jedes Rundhaus umgibt und so gedüngt besonders viel Frucht gibt. Sobald ein Mitglied der Familie die Türe seines Hauses öffnet, befindet es sich im Hof, mitten im Leben seiner Familie. Da man abends kaum noch ausgeht, ist das traditionelle Rundhaus ein Ort der Geborgenheit mit wenig Licht aber mit vielen Gelegenheiten, Gedanken und Erfahrungen auszutauschen.
Für das Aufbewahren der Ernte werden ausserhalb oder im Hof des Rundhauses Speicher gebaut, auf flachen, freistehenden Steinen. Unten formen sie meistens eine Art umgekehrter Kegel von diverser Höhe, gegen oben verjüngen sie sich konisch. Gedeckt sind sie mit relativ kleinen kegelförmigen Strohdächern, die Spitze ist abnehmbar und gibt die Einstiegsluke frei. Durch sie steigt das Oberhaupt des Hauses in den Speicher, um Vorräte einzulagern oder zu entnehmen. Hausbau, Reparaturen an den Häusern und der Bau der Speicher sind typische Beschäftigungen während der Trockenzeit. Sie werden gemeinschaftlich unternommen. Damit kommt zum Ausdruck, dass ein Mann sein Haus nicht allein bauen kann, dass er auf die Gemeinschaft angewiesen ist.
Strömungstechnisch sind die Kegeldächer übrigens ideal gegen heftige Winde, die zu Beginn und zum Schluss der Regenzeit aufkommen. Intakte Dächer werden nicht abgehoben, obwohl sie nicht sehr fest mit den Mauern verbunden sind (s. Vorrede).
Die Architektur des Hauses widerspiegelt den Charakter des Erbauers und seiner Ratgeber sowie topografische Gegebenheiten, die er integrieren wollte oder musste. Viele Male sass ich in einem Rundhaus und hatte den Eindruck von tiefer Harmonie, Schönheit und praktischem Denken. In der Tradition sind die Häuser aus getrockneter Tonerde gebaut. Ihre runden Formen, die Farben von Mauern und Dächer inspirieren Harmonie und Geborgenheit. Einige Häuser sind im Innern des Rundhauses mit Bänken aus Tonerde umgeben, was den Empfang von Gästen und die Kommunikation innerhalb der Familie erleichtert. In der Tradition gibt es keine gemeinschaftlichen Häuser, das Rundhaus jeder Familie kann bei Bedarf zum Treffpunkt der Grossfamilie oder des Quartiers werden. Bei Todesfällen wird der Leichnam nackt auf einer kühlenden Masse in einem Haus aufgebahrt, bis die Onkel mütterlicherseits benachrichtigt sind und über Ort und Zeitpunkt der Beerdigung entschieden haben.
Sehr viele Häuser sind heute leider mit Wellblech gedeckt, was rechteckige Dächer voraussetzt. In den Städten ohne Stroh ist das verständlich. Das ergibt Konzessionen (Häusergruppen), die im Allgemeinen die Harmonie der Architektur vermissen lassen. Die Temperatur innerhalb der mit Wellblech gedeckten Häuser steigt drastisch, falls es unter dem Wellblech keine zusätzliche Zimmerdecke gibt. Und die fehlt meistens in ländlichen Gegenden.
— Geheimnis des Lebens, Geheimnis der Macht
Ich habe Deinen Freunden einige Beispiele der Komplementarität im religiösen und gesundheitlichen Bereich beschrieben. In der Tradition ist die Komplementarität von Mann und Frau an erster