Die Schuld des Anderen. Edgar Wallace

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Die Schuld des Anderen - Edgar Wallace

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schüttelte lächelnd den Kopf und verabschiedete sich mit einer Verbeugung von ihr. Langsam ging er zur Garderobe, um Hut und Mantel zu holen. Dort traf er Gold, der sich ebenfalls seinen Mantel hatte geben lassen.

      »Wollen Sie schon gehen?«

      Bell nickte.

      »Ja, diese gesellschaftlichen Verpflichtungen langweilen mich – ich glaube, ich werde alt. Aber Sie scheinen es doch auch ziemlich eilig zu haben, von hier fortzukommen?«

      »Ich habe zu tun, meine Geschäfte lassen mir keine Ruhe«, erwiderte Gold freundlich. »Gehen wir ein Stück zusammen?«

      Comstock nickte, und die beiden traten, auf die Straße. Neugierig verfolgte sie jemand mit den Augen.

      Schweigend, gingen sie ein Stück zu Fuß, dann wurde der Regen stärker, und als ein Taxi vorbeifuhr, hielt es Gold an.

      »Fleet Street!« rief er laut.

      Sie waren noch nicht weit gefahren, als er dem Chauffeur auf die Schulter klopfte und ihm eine andere Instruktion gab.

      »Bringen Sie mich zur Victoria Station. Fahren Sie durch den Park.«

      »Haben Sie Ihre Absicht geändert?« fragte Bell.

      »Nein, aber ich bin leider für viele Leute so interessant, daß sie ihre Zeit anscheinend nicht besser verwenden können, als mich zu beobachten. Haben Sie nicht bemerkt, daß wir verfolgt wurden?«

      »Nein«, erwiderte Bell erstaunt.

      »Ich möchte Sie etwas fragen« – der Wagen bog in den Park ein –, »kennen Sie einen gewissen Willetts?«

      »Willetts?«

      »Er ist Börsenmakler und hat ein Büro in der Nähe der Moorgate Street. Aber ich habe eigentlich noch nie gehört, daß er Aktien gekauft oder verkauft hätte.«

      »Ich kenne ihn nicht«, sagte Bell kurz.

      Eine lange Pause trat ein. Gold lehnte sich vor, schaute zum Fenster hinaus und bewegte in unregelmäßigen Zwischenräumen die Lippen.

      »Ich glaube, ich muß hier aussteigen«, sagte er dann plötzlich und bat den Chauffeur zu halten.

      Sie verabschiedeten sich, und Gold stieg aus. Nachdenklich folgte ihm Bell mit den Augen. Der Motor des Taxis war abgestorben, und der Chauffeur mühte sich mit dem Anlasser ab. Bell sah, wie ein Mann aus einer dunklen Seitenstraße auf Gold zutrat. Er kurbelte das Fenster herunter und hörte zu.

      »Sind Sie Mr. Gold?« fragte der Mann.

      »Ja.«

      »Sie sind hier verabredet?«

      »Woher wissen Sie denn, daß ich mich hier verabredet habe?« entgegnete Gold ärgerlich.

      »Das muß ich Ihnen wohl nicht erst erklären!« rief der Fremde böse.

      Gleich darauf hörte man einen scharfen Schuss.

      Bell sprang aus dem Wagen. Gold stand unverletzt an der Ecke der Seitenstraße. Der Mann, der geschossen hatte, war davongelaufen und in der Dunkelheit verschwunden.

      »Das war nur einer meiner Freunde«, sagte Gold liebenswürdig. Er bückte sich und hob die Pistole auf, die der Mann hatte fallen lassen.

      3

      Wentworth betrat an diesem Abend um elf Uhr die Victoria-Station und löste eine Fahrkarte nach Peckham Rye.

      Er steckte sich eine Zigarre an, ging langsam den Bahnsteig entlang und stieg in den wartenden Zug ein. Im Abteil schloß er die Tür, schaute durchs offene Fenster und beobachtete aufmerksam alle Leute, die vorbeikamen.

      Die Theater- und Kinovorstellungen waren um diese Zeit noch nicht zu Ende, und der Zug fuhr deshalb nur mäßig besetzt aus dem Bahnhof. Gold holte einen Brief hervor, den er erhalten hatte, bevor er an diesem Abend seine Wohnung verließ. Er las ihn mehrere Male sorgfältig durch, bis er den Inhalt auswendig kannte. Dann zerriß er ihn in kleine Fetzen, die er in Abständen zum Fenster hinauswarf.

      Das Attentat, das heute Abend auf ihn verübt worden war, beunruhigte ihn wenig. Aber er wunderte sich darüber, daß der Mann, den er im Park hatte treffen wollen, nicht gekommen war.

      In Peckham Rye verließ er den Zug und ging zu Fuß zur Christal Palace Road. Vor einer größeren Villa blieb er stehen. Das Haus lag im Dunkeln, aber er wußte, daß man ihn erwartete. Er ging zur Tür, drückte auf die Klingel, und gleich darauf wurde ihm geöffnet.

      »Sind Sie Mr. Gold?« fragte eine weibliche Stimme.

      »Diese Frage wurde mir heute Abend schon einmal gestellt«, sagte er und lachte.

      Die junge Dame schloß die Tür hinter ihm und half ihm beim Ausziehen seines Mantels.

      »Sie kommen spät«, sagte sie, und er hörte die Besorgnis aus ihrer Stimme.

      »Nun ja, ich wurde aufgehalten«, entgegnete er. »Wo ist Ihr Onkel?«

      Sie antwortete nur mit einem Seufzer, und er schüttelte den Kopf. Maple war zwar ohne Zweifel ein genialer Mann, aber auch bei ihm bestätigte sich wieder einmal die alte Wahrheit, daß Genialität nicht weit von Verrücktheit entfernt ist.

      Sie führte ihn durch einen dunklen Gang zu einer kleinen Küche, die an der Rückseite des Hauses lag.

      Ein großer, nachlässig gekleideter Mann saß vor einem Tisch. Er hatte die Hände in die Hosentaschen vergraben und starrte mit glanzlosen Augen vor sich hin. Die Tischplatte war mit Reagenzgläsern, Mikroskopen und wissenschaftlichen Apparaten bedeckt.

      Als die Tür geöffnet wurde, fuhr der Mann zusammen und hob abwehrend die Hand. Dann, nachdem er einen Blick auf seinen Besucher geworfen hatte, stand er auf.

      »Treten Sie doch bitte näher«, sagte er höflich. »Hol einen Stuhl, Verity.«

      Das Mädchen gehorchte.

      Gold folgte ihr mit den Augen – sie war wirklich, sehr hübsch. Ihr Haar glänzte wie Gold, und die feinen, geschwungenen Augenbrauen gaben ihrem Gesicht einen ganz besonderen Reiz. Etwas Schwermütiges, eine leichte Melancholie beschattete ihre großen graublauen Augen. Gold wandte sich ab, als er bemerkte, daß sie unter seinen prüfenden Bücken errötete.

      Maple sah ihn unsicher lächelnd an. Er las eine Frage in seinem hageren, verwüsteten Gesicht, das die Spuren vieler Ausschweifungen trug. Dieses Mädchen, das erst seit kurzem bei Maple wohnte, war die Tochter seines älteren Bruders, die einzige Verwandte, die er auf der Welt besaß. Sie hatte einen guten Einfluß auf ihn, ja, er hatte geradezu eine merkwürdige Zuneigung zu ihr gefaßt. Es war erschütternd, die unausgesprochene Bitte in seinen Augen zu lesen. Gold nickte ihm kaum merklich beruhigend zu.

      »Maple, ich glaube, daß Sie Ihre Nichte in der bewußten Angelegenheit ins Vertrauen gezogen haben«, begann Gold das Gespräch und rückte einen Stuhl näher an den Tisch.

      »Ja, ich habe kein Geheimnis vor ihr.«

      Auf

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