Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 2. Manfred Stuhrmann-Spangenberg

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Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 2 - Manfred Stuhrmann-Spangenberg Klein, aber (nicht immer) fein

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vier verschiedenen Wanderwegen auswählen: Der zu den verschiedenen Forts führende „History Buff“ und der wahrscheinlich populärste Weg, der „Monkey Trail“, werden als mittelschwere Wanderwege angegeben, der „Nature Lover“ gilt als einfacher Wanderweg, führt aber nicht bis nach oben zu den Affen, und dann gibt es noch den „Thrill Seeker“, der als schwer gilt und laut Beschreibung perfekt ist für Adrenalin-Junkies und Fitness-Enthusiasten.

      Entweder wollte die junge Dame in der Touristeninformation mich auf den Arm nehmen, als ich ihr gestern sagte, dass für mich natürlich der „Thrill Seeker“ die passende Wahl sei und sie mir daraufhin anerkennend gratulierte, oder sie hat schlechte Augen und einfach nicht erkannt, dass ich als Ü60er vielleicht nicht unbedingt in die Zielgruppe der „Thrill Seeker“ falle. Ich meinte es aber selbstverständlich ernst, denn die Wegbeschreibung ist einfach zu verführerisch: „Mediterranean Steps, Skywalk, Charles V wall und Windsor Bridge“. Gleich am jüdischen Tor, dem Südeingang des Naturschutzgebietes „Upper Rock“, beginnt der erste Teil des „Thrill Seeker“-Wanderweges, die mediterranen Stufen. Dass diese allerdings vom kleinen jüdischen Friedhof und einer Vogelbeobachtungsstation aus erst einmal wieder abwärts führen, das hatte ich nicht unbedingt erwartet. Nun, es ist ja erst kurz nach 10.00 Uhr vormittags, die Sonne steht also noch schön im Osten. Habe ich schon erwähnt, dass sich die mediterranen Stufen am Osthang des Felsens befinden? Nach einigen Windungen hinab geht es jetzt endlich bergauf. Ich schaue nach links oben und sehe eine steile Felswand. Ups, mein Etappenziel, die „O´Harra´s Battery“, muss dort irgendwo ganz oben liegen.

      Eines kann ich hier verraten. Für Fußlahme und Menschen, die nicht schwindelfrei sind, sind die mediterranen Stufen nicht gemacht. Die unzähligen Stufen werden nur selten von kleinen Abschnitten halbwegs ebenen Weges abgelöst. Wie gut, dass die Sonne kräftig scheint, da brauche ich nicht zu frieren. Es ist anstrengend, Stufe für Stufe nach oben. Ein einziges Mal unterbricht ein kurzer Tunnel die Tortur und spendet Schatten. Am Beginn des besonders steilen Schlussanstieges mache ich Platz für einen etwa fünfzigjährigen Bergsprinter. Der Mann nimmt die mediterranen Stufen wirklich sportlich und zieht an mir vorbei. Ich sehe ihn immer mal wieder vor mir bzw. über mir, doch dann ist er hinter einer Biegung verschwunden. Ein paar Minuten später erreiche auch ich diese Biegung und sehe, dass der höchste Punkt des Felsens von Gibraltar direkt vor mir liegt. Hier hat es sich auch der Bergsprinter im Schatten bequem gemacht. „22 Minuten, genau meine Richtzeit“, so antwortet er mir auf meine Frage, wie lange er denn vom jüdischen Tor bis hierher gebraucht habe. „Unsere Jungs von der Feuerwehr schaffen das in 18, 19 Minuten. Aber ich bin jetzt ja fast 55 Jahre alt, da bin ich mit meiner Zeit sehr zufrieden.“ Ich habe genau doppelt so lange gebraucht wie er, bin aber auch sehr zufrieden mit mir.

      Sie, liebe Leserschaft, können sich ja denken, dass ich mich neben dem Engländer in den Schatten setze und unsere Zufallsbekanntschaft gnadenlos ausnutze. Der gute Mann ist sehr höflich und beantwortet alle meine Fragen. „Ja, ich bin hier geboren. Ich spreche auch Spanisch, aber meine Tochter, die als Anwältin jetzt in England lebt, hat nie richtig Spanisch gelernt. Meine beiden Söhne sprechen nicht perfekt, aber gut verständlich Spanisch.“ Er findet es sehr merkwürdig, dass die Spieler, Trainer und Eltern der Basketballmannschaft Gibraltars in Andorra fast ausschließlich auf Spanisch kommuniziert haben. „Die können doch alle Englisch. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie in Spanien Spanisch sprechen, um nicht aufzufallen.“ Irgendwie erscheint mir dieses Argument nicht besonders stichhaltig. Er, der Engländer, auf der einen Seite, sowie die Familien der Spieler (zumeist mit spanischen Wurzeln), auf der anderen Seite, leben offenbar in anderen Realitäten? Davon will der gute Mann aber nichts wissen. „Wir sind eine multikulturelle Gemeinschaft in Gibraltar, aber Englisch ist nun einmal unsere offizielle Landessprache. Ich bin mir sicher, dass die Spieler und ihre Familien mit Ihnen auch alle Englisch gesprochen hätten, wenn Sie sie nicht auf Spanisch angesprochen hätten.“

      Der Mann hat ja Recht. Gibraltar ist ethnisch sehr heterogen. Etwa ein Viertel Briten, ein Viertel Spanier, ein knappes Fünftel Italiener, viele Portugiesen, Malteser, Juden, Araber – sie alle teilen sich dieses nur 6,5 km2 große Fleckchen Erde. Und Englisch ist nun einmal die einzige anerkannte Amtssprache. In den Straßen hört man auch ein merkwürdiges Mischmasch, bei dem es sich um die Umgangssprache Llanito handelt, einem größtenteils auf andalusischem Spanisch basierenden Dialekt, der auch viele Wörter aus dem Englischen und aus anderen südeuropäischen Sprachen enthält. Könnte es sein, dass viele spanischstämmige Gibraltarer auch deshalb Spanisch bevorzugen, weil sie eine völlige Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich oder gar den Anschluss an Spanien wünschen? Aber dieser Gedanke erscheint meinem Gesprächspartner absurd. „Bei den beiden großen Volksabstimmungen hat sich stets eine sehr große Mehrheit für den Verbleib Gibraltars im Vereinigten Königreich ausgesprochen. Egal woher die Menschen stammen, sie wollen nicht, dass Gibraltar Spanien zugeschlagen wird.“

      Das Verhältnis zwischen Großbritannien und Spanien ist wegen der Gibraltar-Frage mal mehr, mal weniger angespannt, denn Spanien beansprucht Gibraltar für sich. „Zwischen 1969 und 1985 lebten wir in Gibraltar auf einer Insel, da die Spanier die Grenze geschlossen hatten. Deshalb darf Gibraltar auch bei den „Islands Games“, den „Inselspielen“, mitmachen, die vor drei Wochen in Gibraltar stattfanden. Das wäre auch für Sie sehr interessant gewesen!“ Wie ich als Westberliner, so ist also auch der Bergsprinter auf einer Art „politischer Insel“ groß geworden. Diese Spiele sind tatsächlich sehr interessant. Wie ich Wikipedia entnehme, sind die Inselspiele „ein alle zwei Jahre von der International Island Games Association (IIGA) ausgetragener Sportwettbewerb zwischen autonomen Inseln bzw. Inselgruppen. Die teilnehmenden Territorien messen sich in den unterschiedlichsten Sportarten. Unabhängige Inselstaaten werden für diese Veranstaltung seit 1999 nicht mehr zugelassen, da das dem Sinn der Veranstaltung nicht entsprechen würde.“ So hat zum Beispiel Malta nur an den ersten beiden Auflagen der Spiele 1985 und 1987 teilgenommen, Island nahm bis einschließlich 1997 teil.

      Es ist wirklich sehr schade, dass ich (für diese Spiele) zu spät nach Gibraltar gekommen bin. Schließlich hätte ich hier Teilnehmer von vielen Inseln treffen können, die ich noch besuchen werde: Jersey, Isle of Man, Färöer und Åland. Die Sportarten, die bei den Inselspielen ausgeübt werden, sind zum Teil identisch mit denen der Spiele der Kleinstaaten, aber es können aus einer Liste von 14 Sportarten auch noch ganz andere Sportarten wie Motorsport, Segeln, Triathlon oder Turnen ausgewählt werden. Die nächsten Inselspiele werden 2021 wohl auf Guernsey ausgetragen.

      Auch wenn Gibraltar nun schon lange keine „Insel“ mehr ist, sondern wieder eine Halbinsel, ist der Status Gibraltars durchaus verwirrend. Gibraltar ist Teil der EU und die EU sieht die Bewohner Gibraltars nicht als Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs an. Gibraltar ist aber weder Teil des EU-Binnenmarktes, noch gehört es dem Schengen-Abkommen an. Was passiert dann nach dem Brexit? Wahrscheinlich wird Gibraltar einfach irgendwie in der EU bleiben. Vom Brexit halten die Bewohner Gibraltars sowieso nichts. Nur 4,1% stimmten für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, 95,9% stimmten dagegen. Wie gesagt, der Status Gibraltars ist recht verwirrend. Ganz witzig finde ich übrigens die Anekdote, wie Gibraltar für die britische Krone erobert wurde. Im Jahre 1704 entschied Prinz Georg von Hessen-Darmstadt an Bord einer englisch-holländischen Flotte, die spanische Besatzung Gibraltars nicht im Morgengrauen (wie damals üblich), sondern während der nachmittäglichen Siesta anzugreifen. Ein genialer Plan. Solch ein raffinierter Plan konnte natürlich nicht schief gehen. Die im Mittagsschlaf überraschten Spanier hatten keine Chance.

      Wir reden noch eine Weile über die hohe Lebensqualität in Gibraltar und über das Problem der Überalterung. „Viele junge Menschen ziehen weg, so auch zwei meiner drei Kinder. Dabei kann man hier so gut leben. Aber wir sind nun einmal sehr weit weg, sozusagen am „A.“ Europas. Den jungen Menschen kann man ja nicht verdenken, dass sie lieber in großen Städten leben wollen.“ Wie wahr, wie wahr. Der Mann hat sich für heute genug sportlich betätigt und macht sich auf den Weg nach unten. „Jetzt freue ich mich auf das Mittagessen, denn mein Frühstück ist ja schon recht lange her.“ Mein eigenes Mittagessen muss noch eine Weile warten. Denn jetzt laufe ich erst einmal den Douglas-Pfad entlang zum Douglas-Ausguck

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