Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 2. Manfred Stuhrmann-Spangenberg
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Nach einer Weile habe ich dann doch vom Affentheater genug und mache mich auch auf den Weg nach unten. Natürlich nicht mit der Seilbahn, sondern zu Fuß die Mauer von Karl dem V. entlang. Auf den oberen Treppenstufen liegen noch ein paar Affen im Schatten und nehmen kaum von mir Notiz, als ich über sie hinweg steige. Puh, geschafft. Auf Schildern wird hier davor gewarnt, dass die Affen mitunter sehr aggressiv reagierten, wenn man ihnen zu nahe käme. Jetzt sehe ich keine weiteren Affen vor mir. Auf einer Treppenstufe sitzt allerdings ein Spanier, der sehr schwer atmet. Warum musste der offenbar untrainierte Mann auch die mehrere hundert Meter lange Treppe hier hoch laufen? Meine Frage, ob er vielleicht Wasser haben wolle, stößt auf große Freude. Ich spendiere ihm den Rest meines Wassers. Der Mann braucht das Wasser jetzt dringender als ich. Am Ende der Treppe wende ich mich noch einmal nach links - denn ein Highlight wartet noch auf mich: die Windsor-Brücke.
Eine sehr schöne Hängebrücke. Und auf dieser ist Schwindelfreiheit durchaus sehr hilfreich. Man schwebt hier wunderbar über dem Abgrund. Viel besser als der Skywalk, nach meinem Geschmack. Jetzt bekomme ich aber auch Durst und Hunger. Nicht weit von der Windsor-Brücke entfernt führt ein Fußpfad von der „Devil´s Gap Battery“ hinunter zur „Sacred Heart Church“. Jetzt ist es nur noch ein Katzensprung zur Main Street mit ihren vielen Kneipen und Restaurants. Als reine Trainingsmaßnahme gehe ich in die „Irish Town“. Schließlich werde ich auf meiner Reise ja auch ganz kurz einmal nach Irland kommen. Gut gestärkt mache ich mich dann wieder auf den Weg zum Rollfeld und verlasse Gibraltar und die Inselaffen.
Er bewegt sich nur langsam, der Affe auf dem Felsen von Gibraltar.
Wer „A“ sagt, muss auch „B“ sagen
Wer „A“ sagt, muss auch „B“ sagen. Hier am westlichen Ende des Mittelmeeres heißt das: Wer nach Gibraltar fährt, muss auch nach Ceuta fahren. Glaubt man der griechischen Mythologie, und es gibt viel zu viel Evidenz, ihr nicht zu glauben, dann waren Europa und Afrika solange miteinander verbunden, bis Herkules (oder auch Herakles) im Kampf mit Antäus die beiden Säulen Calpe und Abyla voneinander trennte, die heute als der Felsen von Gibraltar und der Berg Hacho (in Ceuta) bekannt sind. Zumindest in Ceuta sieht man das jedenfalls so. In Marokko ist man eher der Meinung, dass mit dem Berg Abyla der heutige Berg Dschebel Musa gemeint ist, der in Marokko, wenige Kilometer von Ceuta entfernt, deutlich höher aufragt als der Monte Hacho. Aber letzterer liegt eventuell eine Klitzekleinigkeit näher an Gibraltar, so dass ich eher zur spanischen Variante tendiere.
Die Straße von Gibraltar trennt auf jeden Fall zwei merkwürdige politische Gebilde voneinander. Das britische Überseegebiet Gibraltar an Spaniens Südküste und die spanische Exklave Ceuta auf der anderen Seite der Meerenge in Marokko. 27,4 km Luftlinie trennen Gibraltar und Ceuta. Und von Spaniens Hafenstadt Algericas ist das 29,5 km entfernte Ceuta in knapp einer Stunde mit der Fähre zu erreichen. Nach der Ankunft in Ceuta checke ich in einer „Casa de Huéspedes“ (also in einem Gästehaus) ein und mache mich auf, das derzeit wahrscheinlich bekannteste Bauwerk Ceutas zu besichtigen – den etliche Meter hohen Grenzzaun zu Marokko. Auch wenn ich vor einiger Zeit im Fernsehen gesehen habe, wie Flüchtlinge aus Afrika diesen Zaun überkletterten, kann ich mir beim Anblick des doppelten, mit Stacheldraht gekrönten Zaunes nicht vorstellen, wie man hier rüber klettern kann. Zumal zu erkennen ist, dass auch auf marokkanischer Seite ein Zaun den Weg nach Spanien versperrt.
In brütender Hitze laufe ich vom Grenzübergang aus ein Stück die Straße entlang, vorbei an einem Gewerbegebiet bis auf eine Anhöhe, von wo aus man die Grenzanlagen gut beobachten kann. Drüben in Marokko ist ein Unterstand zu erkennen, von dem aus marokkanische Grenzer das Gebiet kontrollieren. Auf spanischer Seite sehe ich ebenfalls mehrere Polizeifahrzeuge, die am Zaun entlang geparkt sind. Ich bin zu weit entfernt, um zu erkennen, ob hier die europäische Grenzschutzgruppe „Frontex“ die Grenze sichert oder ob es Spanier sind. Unheimlich und auch unmenschlich, diese Grenze. Vielleicht habe ich ja doch ein westberliner Mauertrauma, denn die Grenze verursacht bei mir ein großes Unbehagen. Mir ist aber auch klar, dass Ceuta ohne diese Grenzsicherung innerhalb kürzester Zeit im Chaos versinken würde. Hier wird mir wieder einmal besonders bewusst, dass ich ein Bewohner der „Festung Europa“ bin. Festungsanlagen gab es wohl schon immer, mehr oder weniger ausgeprägt.
Hier in Ceuta wurden die ersten Festungen während der siebenhundertjährigen Zeit der arabischen Herrschaft errichtet. Dann kamen erst Portugiesen und schließlich Spanier hierher und bauten Ceuta als militärischen Stützpunkt immer weiter aus. Die beindruckenden Festungsanlagen können besichtigt werden, was ich mir natürlich nicht nehmen lasse. Damals mussten die dicken Mauern Kanonenkugeln standhalten. Heute kann das spanische Militär relativ sicher davon ausgehen, dass von Marokko aus keine Kanonenkugeln auf Ceuta abgefeuert werden, auch wenn die marokkanische Regierung die auf afrikanischem Boden befindlichen spanischen Exklaven Ceuta und Melilla (eine weiter ostwärts gelegene Ortschaft) gern Marokko einverleiben würde. „Das wäre eine Katastrophe. Ich fahre sehr oft zum Einkaufen rüber ins wenige Kilometer von meinem Wohnort entfernt liegende Melilla. Wenn Marokko diese beiden Orte von Spanien erhielte, würden sie innerhalb kurzer Zeit genauso schmutzig und chaotisch werden, wie alle unsere Städte sind. Ceuta und Melilla müssen spanisch bleiben. Und das sehe nicht nur ich so, sondern alle meine Nachbarn und Freunde auch.“ Diese Aussage werde ich ein paar Tage nach meinem Besuch Ceutas von einem Marokkaner erhalten, der im Hostel in Barcelona im gleichen Mehrbettzimmer übernachtet wie ich. Ich habe keine Ahnung, wie repräsentativ diese Aussage ist.
Die Bewohner Ceutas sind Spanier. An so manchem Balkon wird das durch spanische Fahnen auch klar gezeigt. Hier gibt es keinerlei Tendenzen, sich Marokko anzuschließen, das ist wohl sicher. Wer ein Faible für alte spanische Lebensart hat, der sollte unbedingt zum Mittagessen im „Casino Militar 1853“ einkehren. Ein wunderschönes Gebäude mit Speisesälen, wie man sie entweder aus Filmen oder aus eigenem Erleben in den Siebzigern kennt. Fast könnte man meinen, dass die Speisenden an den Nachbartischen hier noch kürzlich mit Franco getafelt hätten (bei den allermeisten Herrschaften käme das auch altersmäßig locker hin). Erschrecken Sie nicht, wenn Sie nach dem Essen das Gebäude verlassen und am Dach des Hauses gegenüber Drachen entdecken. Diese „Dragones“ sind Attrappen, die Originale sind verschwunden.
Meinen Tag in Ceuta lasse ich gemütlich in einem kleinen Restaurant an der Küste ausklingen. Ich habe eine grandiose Aussicht auf die afrikanische Küstenlinie und genieße Tapas und Cerveza. Mari José, die hier arbeitet, ist es gewohnt, mit ihren Gästen zu kommunizieren. Ich erzähle ihr, dass ich vor vierzig Jahren schon einmal in Ceuta war. In meiner Erinnerung kam mir Ceuta viel kleiner und sehr staubig vor, eine winzige Garnisonsstadt. „Ja, es hat sich hier viel verändert. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Aus einer kleinen Garnisonsstadt ist ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel geworden. Heute sind die Gebäude und Straßen der Altstadt alle renoviert. Es ist jetzt sehr schön bei uns und wir haben eine sehr hohe Lebensqualität. Das Benzin ist viel billiger als auf dem spanischen Festland. Die Mieten sind auch erschwinglich. Wir wohnen hier in einer Dreizimmerwohnung und zahlen 300 Euro Miete.“
Und dann erfahre ich noch etwas, was mir als Westberliner sehr vertraut vorkommt. „Die Bediensteten des Staatsdienstes bekommen eine ‚Ceuta-Zulage‘ und die ist sehr anständig. Damit werden Spanier angelockt, die dann oft sehr gerne hier wohnen bleiben, wenn sie gemerkt haben, dass wir hier in europäischen Verhältnissen leben und nicht