Wie konnte Gott Mensch werden?. Lukas Ohly
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wie konnte Gott Mensch werden? - Lukas Ohly страница 13
Kommentar und Weiterführung
Das genus maiestaticum ist ein Modell, das aus Luthers Ubiquitätsgedanken hervorgegangen ist. Die Ubiquität wiederum war Luthers Modell, um die Personeneinheit der beiden Naturen in Christus möglichst konsequent durchhalten zu können. Wenn Christus im Abendmahl gegenwärtig ist und wenn er in Personalunion beider Naturen besteht, dann ist er auch in seiner menschlichen Natur im Abendmahl gegenwärtig. Ansonsten würde man seine persönliche Gegenwart von den Naturen ablösen oder die zwei Naturen auf eine reduzieren. Deshalb bedarf es in der Tat eines Modells, das diese Anforderung erfüllt. Nur wenn man keine Realpräsenz Christi im Abendmahl behauptet, entfällt eine entsprechende Anforderung.
Ist aber die Realpräsenz auf das genus maiestaticum festgelegt? Zunächst erfordert die Realpräsenz beim Abendmahl nicht, dass Christus an allen Orten sein kann. Die Ubiquität kann zwar die Realpräsenz erklären, ist aber selbst begründungsbedürftig. Das genus maiestaticum versucht, diese Begründung zu geben. Wird damit aber nicht zu viel verlangt, wenn es doch zunächst nur darum geht, dass Christus beim Abendmahl präsent ist? Könnte also die Realpräsenz Christi auch ohne genus maiestaticum begründet werden?
Darauf kann eine ökumenische Antwort gegeben werden, die die Anliegen sowohl der Lutheraner als auch der Reformierten zugleich berücksichtigt. Man könnte die Prämisse fallen lassen, dass der Ausdruck „Christi Leib“ ausschließlich eine menschliche Eigenschaft beschreibt. Interessanterweise sind sich Reformierte und Lutheraner darin einig, dass sie für Gott keine Leiblichkeit zugrunde legen. Für sie bedeutet „Leib“ ausschließlich eine Eigenschaft der menschlichen Natur. Nun kann man aber unter „Leib“ das Vollzugsorgan eines Subjekts verstehen. Dieses Vollzugsorgan ist sowohl in sich als auch außer sich: Es verbindet sich mit Anderem durch seinen Vollzug. Dann hat auch Gott einen Leib. Ingolf Dalferth hat dieses Vollzugsorgan Gottes, durch das er mit anderem in Beziehung tritt[40], mit dem Heiligen Geist identifiziert.[41] Folglich wäre Gottes Leib im Wirken des Heiligen Geistes präsent. Damit lässt sich ein wesentliches Anliegen der reformierten Christologie einbringen. Nach Zwingli ereignet sich die Gnade allein im Heiligen Geist, der selbst kein Vehikel brauche, um seine Kraft wirken zu lassen.[42] Wir werden im nächsten Kapitel sehen, dass auch Calvin eine pneumatologische Lösung an die Stelle des genus maiestaticum setzt. Einigkeit hätte darüber erzielt werden können, dass der Geist das Vollzugsorgan Gottes ist, wenn es etwa heißt, dass der Geist vom Vater und vom Sohn „ausgeht“ und dem Fleisch in Christus „mitgeteilt“ wird (1041f.). Wenn Christus in den Einsetzungsworten des Abendmahls sagt: „Das ist mein Leib“, so spricht er vom göttlichen Leib, also vom Heiligen Geist. Es ist dann der Geist, der im Abendmahl ausgeteilt wird. Das hätte nicht nur ein interkonfessioneller Kompromiss zwischen Lutheranern und Reformierten sein können, der der Terminologie beider Richtungen gerecht wird. Es wäre auch für das Luthertum eine Möglichkeit, die Realpräsenz Christi zu begreifen, ohne ein überlastetes Konzept der Ubiquität und mit ihr das genus maiestaticum vertreten zu müssen.
Zwei Folgeprobleme hätten allerdings die Lutheraner dann zu lösen. Zum einen wäre offen, wie das „Blut“ im Kelchwort zu verstehen ist. Hat Gott auch ein eigenes Blut? – Zum anderen droht das Abendmahlsverständnis wegzukippen, wonach Leib und Blut Christi „nicht allein geistlich“, sondern „mündlich“ (799) empfangen werde. Wie kann der Heilige Geist geschmeckt werden?
Das erste Problem ließe sich relativ leicht lösen: Unter „Blut“ kann nämlich die menschliche Natur verstanden werden, wenn es heißt: „Das ist mein Blut des Bundes“ (Mt. 26,28; Mk.14,24) oder gar „der neue Bund in meinem Blut“ (Lk. 22,20; 1.Kor. 11,25). Das Blut der menschlichen Natur Christi ist dann nur im Gedächtnis an die Knechtsgestalt anwesend, die geschehen und nun abgelegt ist. Der neue Bund ist besiegelt worden durch das menschliche Blut Christi, das in Knechtsgestalt vergossen worden ist. Nicht das Blut muss dazu anwesend sein, sondern der Bund Gottes mit den Gläubigen ist gegenwärtig. Entsprechend könnte die Formel „mein Blut des Bundes“ die Präsenz des Bundes herausstellen und nicht die Präsenz des Blutes Christi. Das ist deswegen möglich, weil sich in dieser Formel auf „Blut“ zwei Genitive beziehen: „mein“ und „des Bundes“. Es muss sich also nicht um „mein Blut“ handeln, sondern um das „Blut des Bundes“, der von Gott („mein“) eingesetzt worden ist.
Das zweite Problem, wie Leib und Blut Christi „mündlich“ empfangen werden, wenn der Leib der Geist ist und das Blut die abgelegte Knechtsgestalt, bedarf dagegen einer genaueren Prüfung. Denn die Lutheraner weisen ja die römisch-katholische Transsubstantiationslehre zurück, wonach sich Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandeln. Schon Luther hat bekannt: „Ich glaube, daß Brot und Wein bleiben“ (H 226). Im Sakrament empfangen wir die Vergebung der Sünden „darum, daß die Wort da stehen“ (H 228). „Nicht am Brot und Wein, nicht am Leibe und Blut Christi, sondern am Wort“ (ebd.). Das Wort ist daher das Verbindungsstück, das die Identifikation zwischen Brot und Leib überhaupt erst erreicht.[43] Zwar weist Luther zurück, dass das Brot den Leib Christi nur „bedeute“ (ebd.). Und doch wird die Identifikation nur vermittelt durch das Wort. Wie in der katholischen Messe Brot und Leib Christi durch die Wandlung vermittelt wird, so wird sie im lutherischen Verständnis durch das Wort vermittelt. Das Wort ist das Vorzeichen, das überhaupt erst das Gleichheitszeichen wirkt. An dieser Stelle besteht ein Vorrang des Bedeutens vor dem Sein: Brot und Wein bedeuten das auf sinnliche Weise, was das Wort sagt. In diesem Bedeutungsrahmen aber sind Brot und Wein der Leib und das Blut Christi.
Wenn nun Christi Leib „mündlich“ empfangen wird, so wird Gottes Leib „mündlich“ empfangen, aber nicht unvermittelt, sondern durch das Wort. Ebenso wird nicht Jesu Blut getrunken, sondern der Bund Gottes geschmeckt, dessen Bedeutung im Wort gegeben wird.
Nach meinem Eindruck ist also die Realpräsenz Christi nicht auf das genus maiestaticum festgelegt. Es ist der Geist, der auch vom Sohn ausgeht und deshalb der Geist Christi ist, der im Abendmahl anwesend ist und in Brot und Wein geschmeckt wird. Anstelle der Übereignung der göttlichen Eigenschaften auf die menschliche Natur kann eine trinitätstheologische Antwort gegeben werden, wie der Leib Christi im Abendmahl präsent ist. Wird dagegen am genus maiestaticum festgehalten, so muss ein ontologisches Zwischenstück zwischen beiden Naturen gefunden werden, das beide vermittelt, ohne dass sie fusionieren. Dieses ontologische Zwischenstück habe ich in der Konkordienformel mit dem Begriff der Knechtsgestalt ausgemacht. Die Knechtsgestalt muss dabei keine eigene Natur oder Kategorie sein, wohl aber etwas ontologisch Eigenes. In meiner Weiterinterpretation ist sie ein geschichtlicher Effekt der Gemeinschaft beider Naturen. Weil die menschliche Natur nicht sterblich und unsterblich zugleich sein kann, ereignet sich unter geschichtlichen Bedingungen die Knechtsgestalt als die Darstellung dieses Widerspruchs. Gerade darin liegt die Knechtsgestalt, dass sich Christus unter irdischen Bedingungen nicht entfalten kann als der, der er ist. In seiner Erhöhung dagegen ist der Widerspruch aufgelöst, dass die erhöhte menschliche Natur unsterblich ist, obwohl sie gestorben ist. Die Eigenschaften der menschlichen Natur sind zwar vergangen, aber dennoch geschehen. Sie werden nicht dadurch rückgängig gemacht, dass die menschliche Natur nun vollständig von den übereigneten Eigenschaften der göttlichen Natur Gebrauch macht.
Abschließend möchte ich den Erklärungswert einer Communicatio Idiomatum überhaupt untersuchen, also vor allem in den beiden Genera, die zwischen Lutheranern und Reformierten unumstritten sind. Das Chalcedonense hat die Aufgabe umrissen, wie die Einheit Christi in seinen zwei Naturen zu bestimmen ist, ohne diese Aufgabe selbst übernommen zu haben. Erfüllt die Lehre von der Communicatio Idiomatum die Anforderungen des Chalcedonense? Und ist sie ontologisch adäquat? Die Communicatio Idiomatum ist der Versuch, der Personalunion der zwei Naturen gerecht zu werden und beide Naturen dabei unvermischt und ungetrennt sein zu lassen. Das Anliegen