Mein Morbi und ich. Iris Weitkamp
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Doch die erste Frage, die jedem Autor oder Buchhändler gestellt wird, lautet: „In welche Kategorie gehört das?“ Der Drang zum Schubladendenken ist übermächtig. Und die Kriterien der Sortierung bleiben trotzdem ein Rätsel. Zum Beispiel fand ich ‚Dilbert’ in einem großen Berliner Büchertempel nicht unter ‚Comics’, sondern unter ‚Wirtschaft’. Liegt das nun am Zustand unserer Wirtschaft - oder der Schlagfertigkeit des Händlers?
Vielleicht steht ‚Mein Morbi und ich’ ja unter ‚Reiseliteratur’ - das würde sogar passen.
ERSTES KAPITEL: Eher keine Partygespräche
Eine Darmerkrankung ist leider kein bisschen schick.
Sie ist lästig, oft peinlich, manchmal sogar ekelig, und taugt überhaupt nicht zum Smalltalk auf Parties. Erkrankungen im Magen-Darm-Bereich haben nichts Heldenhaftes an sich. Eher schleicht sich das Bild eines mickrigen Verlierers vor das geistige Auge, als das eines tapferen Recken, der im edlen Kampf mit den Elementen seine Blessuren davongetragen hat. Man denke nur an die Gespräche am Arbeitsplatz, nachdem sich ein Kollege krank meldete:
„Herr Schulze hat sich beim Snowboarden die Schulter gebrochen.“
„Was Sie nicht sagen! Ich wusste gar nicht, dass der Snowboard fährt. Mann, das tut bestimmt sauweh. Und in zwei Wochen will der schon wiederkommen?“
(Ein ganzer Kerl!)
„Kollege Müller hat Magen-Darm ...“
„Ja ... der fehlt jetzt schon den dritten Tag ...“
(Nur Loser kriegen so einen Kram. Was für eine Lusche).
Durchfall ist nichts Schlimmes. Gelegentliche Bauchschmerzen sind nichts Ungewöhnliches. Beides zusammen fand ich zunächst einmal unangenehm und lästig, aber die Beschwerden kamen und gingen - ich dachte jedesmal „Ok, das war`s endlich“. Und nach ein paar Wochen, nach einem Monat: „Och nee, wohl schon wieder was Falsches gegessen“. Unmerklich wurden die Abstände zwischen den vermeintlich einzelnen Erkrankungen immer kürzer. Noch immer sah ich den Zusammenhang nicht, ja wusste nicht einmal, dass ich unter einer ganz bestimmten, schon längere Zeit andauernden Erkrankung litt.
Die in meinem Körper lange ein relativ ungestörtes Dasein fristen konnte. Ich war ja so beschäftigt! Meine Arbeit als Verwaltungsbeamtin, zahlreiche Hobbies, ein großer Freundeskreis - das Leben um mich herum beanspruchte meine volle Aufmerksamkeit. Leerlauf fand nicht statt. Zusätzlich hatte ich diese beinharte Einstellung, von klein auf wacker geübt: geht nicht, gibt`s nicht. Meinen Körper nahm ich als ein williges Werkzeug, das mir unbegrenzt zur Verfügung stand, das gefüttert und gereinigt wurde, Wartung auf ein Minimum beschränkt. Ich stellte ein geradezu ideales Biotop für eine Krankheit dar. Morbus Crohn wäre schön blöd gewesen, hätte er sich diese Gelegenheit entgehen lassen. Allerdings ist der Crohn weit davon entfernt, dumm zu sein. Er ist ein ganz cleveres Kerlchen.
Viele chronische, ernste Erkrankungen kommen nicht mit einem Paukenschlag von einem Tag auf den anderen. Sie erobern, in bester Guerillataktik, unbemerkt ihr Terrain.
Nur weil man ab und zu Durchfall hat, ist man doch nicht krank. Jedenfalls nicht so richtig. Die Bauchschmerzen sind lange Zeit nicht besonders stark, und zwischendurch geht es einem ja auch wieder gut. Dass diese Feuerpausen immer kürzer werden und der Virus es sich währenddessen im Körper hübsch gemütlich macht, bleibt lange unbemerkt.
Es verhält sich ähnlich wie mit der Baustelle von nebenan, auf der monatelang hinter hohen Absperrungen gewerkelt wird: Eines Morgens ist der Bauzaun verschwunden und man steht vor vollendeten Tatsachen in Gestalt eines Scientology-Centers oder eines Spielcasinos oder irgendeiner anderen Einrichtung, die das Letzte ist, was man jemals in seiner Nachbarschaft haben wollte. Noch schlimmer, man bemerkt zunächst nicht einmal die Baustelle an sich. So trug ich also ahnungslos pfeifend eine Großbaustelle mit mir herum, während der Virus schon längst eingezogen war und sich Bilder an die Wände hängte.
Mit Freunden, Kollegen und Nachbarn redete ich nicht darüber. Zum Thema Erkältung oder Rheuma wird laufend gefachsimpelt. Im Büro, auf Geburtstagsfeiern, beim Yoga ist die angeregte Diskussion über Hausmittel ebenso selbstverständlich wie Bemerkungen über das Wetter. Man tauscht Tipps aus, erwägt die Vorteile von Erkältungsbädern und Medikamenten. Dagegen werden die ‚unteren Regionen’ sorgfältig ausgespart (außer unter wirklich guten Freundinnen, was natürlich den Horizont für einen Erfahrungsaustausch ziemlich begrenzt).
Oder kannst du dich erinnern, dass jemals eine Kollegin in die Kaffeerunde hinein gefragt hätte:
„Sagt mal, Leute, ich hab` schon seit drei Wochen Last mit diesem schleimigen Durchfall - weiß von euch einer `nen guten Tipp?“
Und dass jemand antwortete:
„Sorry, da fällt mir so spontan nichts ein. Aber ich hab` eine ganz tolle Hämorrhoidencreme entdeckt, die wär` doch vielleicht was für dich, Detlev, gegen deine Knübbelchen am Po“?
Nicht wirklich, oder? Das wäre doch zu peinlich.
Nach circa einem halben Jahr mit mehr oder weniger starkem Durchfall (teilweise explosionsartig nach dem Essen, teilweise auch mit einigen Tagen ‚Ruhe’ zwischendurch), mit Magenkrämpfen und Blähungen, dämmerte mir allmählich, dass etwas passieren müsste. Also ging ich zum Arzt: „Schönen guten Tag, ich hab' so oft Last mit Durchfall, ich glaube, ich hab' einen nervösen Magen.“ (So ganz falsch lag ich ja schon mal nicht mit ‚nervös’, sollte ich später lernen).
Ich probierte es zunächst bei meinem Homöopathen, der bis dahin schon die wunderlichsten Dinge vollbracht hatte, und auf den ich große Stücke hielt. Ein paar Globuli aus der umfangreichen Fläschchensammlung in seinem Behandlungszimmer, und mir war es immer sofort besser gegangen. Hoffentlich fragte er mich nicht detailliert über meinen Stuhlgang aus. Einer Ärztin gegenüber wäre mir das schon unangenehm genug gewesen. Mit ihm darüber zu reden erschien mir hoch peinlich. Ich hoffte sehr, darum herum zu kommen.
Er fragte nicht. Seine Diagnose lautete: Bauchspeicheldrüse gestört, vor allem psychisch bedingt durch Stress. Das machte Sinn. Ich hatte Stress, das war mir klar. Die Symptome bekam er mehr oder weniger in den Griff, zeitweise, die Behandlung drang nicht zum Kern des Problems durch.
Vier Wochen später saßen wir uns schließlich ziemlich bedröppelt gegenüber.
„Sie sind wirklich ein ganz schwieriger Fall. Es ist sehr viel im Ungleichgewicht.“ Mein Homöopath fühlte sich mit seinem Latein am Ende. „Ich komme bei Ihnen nicht weiter.“
Er hatte Recht. Was alles bei mir im Ungleichgewicht war, und über wie viele Jahre schon, sollte mir erst Monate später dämmern. So weit war ich damals noch lange nicht. Ich hatte einen Körper zu reparieren, mehr sah ich nicht bei meiner Strampelei im Hamsterrad. Von sich aus einzugestehen, mit seinem Wissen an seine Grenzen gestoßen zu sein, fand ich sehr korrekt von dem Arzt. Wie oft hört man von Scharlatanen, die so lange herumstümpern, bis der Patient entweder die Flucht ergreift oder stirbt. Natürlich braucht die Homöopathie ihre Zeit, und man muss manch verschlungene Wege gehen. Rückblickend denke ich, dass dieser Doc nicht zu früh und nicht zu spät das Handtuch warf.
Zu meinen bereits ‚üblichen’ Beschwerden