Mein Morbi und ich. Iris Weitkamp
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„Welche Krankenkasse?“
‚Dieses Spiel können auch zwei spielen’ dachte ich, legte meinen italienischen Terminkalender auf den Tresen und klopfte mit einem silbernen Stift auf den weichen Kalbsledereinband. Mit voller Absicht lächelte ich nicht.
„Privat. Ich bin nächste Woche auf Madeira ... Ende des Monats in Brüssel ...“ Ich blätterte die chamoisfarbenen Seiten um. „Bringen Sie mich doch bitte für eine OP in der Woche nach Ostern unter.“
Mein Status als Privatpatientin ist ein zweischneidiges Schwert. Ich fühle mich häufig besser abgesichert, komme in den Genuss umfangreicherer Leistungen. Andererseits belastet es mich, den Rechnungs- und Zahlungsverkehr selbst zu verwalten, in Vorleistung zu treten und Anträge an zwei verschiedene Stellen zu richten, um mir die Kosten wieder erstatten zu lassen. Ich gehe ein finanzielles Risiko ein, sobald ich eine Kostenübernahme nicht vorab kläre (und welcher Kranke ist dazu immer in der Lage?) oder eine Rechnung verschlampe (zu spät eingereicht - Pech gehabt). Und die höheren Leistungen wecken Begehrlichkeiten. Sofern diese Begehrlichkeit sich darin äußert, dass man mir den roten Teppich ausrollt, kann das angenehm sein. Aber ich habe leider mehrmals erlebt, dass Ärzte Leistungen abgreifen, selbst wenn dies nicht in meinem Interesse liegt, ja mir sogar schadet. Doch davon später.
Bei dem Zauberwort ‚privat’ gingen auch jetzt die sorgfältig gezupften Augenbrauen leicht nach oben. Der Ton erwärmte sich um mindestens zwanzig Grad.
„Oh, selbstverständlich. Bitte gehen Sie doch gleich durch - der Herr Doktor kommt sofort zu Ihnen.“
Das war nicht übertrieben. Kaum hatte ich den Behandlungsraum erreicht, stand er schon hinter mir. Schnell war meine Fissur begutachtet und die Operation beschlossene Sache.
„So drei, vier Tage könnte es dauern, bis Sie nach der OP schmerzfrei sind, und ein Weilchen werden Sie noch Kompressen für die Wunde brauchen“, schätzte der Chirurg.
‚Na, wenn`s weiter nichts ist’, dachte ich. ‚Einen Tag OP, vielleicht den Tag danach noch frei zum Erholen, drei Tage etwas ruhiger gehen lassen, und gut.’
Du ahnst es schon: die Einschätzung des Arztes war unschlagbar optimistisch und meine eigene Vorstellung jenseits von naiv.
Nach einem diskreten Anruf der chirurgischen Praxis ‚unter Kollegen’ konnte ich das Vorgespräch mit der Narkosearztpraxis direkt im Anschluss erledigen. „Gleich nebenan, gehen Sie ruhig eben rüber ... nein, einen Termin brauchen Sie nicht, wir regeln das schon ...“
In beiden Praxen überhäufte man mich mit einer erstaunlichen Menge Formulare: Registrationsvordrucke, Einverständniserklärungen zur Fremdabrechnung, Verhaltensmaßregeln vor, während, nach der OP .... der Lesestoff hätte für den Rest des Tages gereicht. Ich entschied mich dagegen, ließ mich vom Sog der Ereignisse mitreißen. Alles ging ratz-fatz. Gut gelaunt setzte ich meine Unterschrift auf jeden Vordruck, der mir unter die Nase gehalten wurde. Man hätte mir mühelos die berühmte Waschmaschine andrehen können. Der gesamte Arztbesuch in Chirurgie und Anästhesie dauerte insgesamt eine Stunde, höchstens. Das lief ja großartig! Ich würde mir diese unerfreulichen Knübbelchen am Po wegschneiden lassen, und dann: Bye bye, Hämorrhoiden-Minna - hello, sexy Superwoman!
Anschließend ging ich shoppen. In Vorbereitung eines besonderen Events macht Frau üblicherweise erst einmal einen ausgiebigen Einkaufsbummel. Das war jetzt nicht anders. Mit dem einzigen Unterschied, dass es sich diesmal nicht um neue Schuhe zum schicken Partykleid oder das optimale Strandoutfit handelte. Meine Einkaufsliste war mir teils von meiner Hausärztin, teils von der chirurgischen Klinik verschrieben worden: Wundkompressen, Salbe, Schmerztabletten ...
Vor der OP musste noch eine extra Blutuntersuchung erfolgen, ich weiß nicht einmal mehr, wofür. Von den unzähligen Blutentnahmen sahen meine Arme wie die einer Fixerin aus. Ich erinnere mich nur noch, dass es – wie so oft – ein terminlicher Balanceakt wurde. Aus irgendwelchen Gründen wurde die Blutabnahme bei der Hausärztin vorgenommen, die Analyse in einem auswärtigen Labor durchgeführt, das Ergebnis von einem anderen der involvierten Ärzte bewertet. Ich sollte danach nochmals mit der chirurgischen Praxis telefonieren und meinen OP-Termin bestätigen.
Am Donnerstag vor Ostern rief ich aus einer Telefonzelle im Frankfurter Flughafen in der Praxis an, um abzuchecken, ob meine Laborwerte okay sind, und um die OP endgültig festzusetzen.
Und am Dienstag nach Ostern wurde ich morgens, ohne dass der Chirurg oder ich die ganze Tragweite begriffen, zum ersten Mal wegen der Auswirkungen von Morbus Crohn operiert.
Das ‚Merkblatt zur ambulanten Operation’ umfasste fünf Seiten und entbehrte nicht einer gewissen Komik. In der Einleitung wurde den Patienten versichert, dass es im OP sauber sei: „Operationssäle, die ... den ... hygienischen Anforderungen Rechnung tragen“. Eine geradezu revolutionäre Idee. Auf der nächsten Seite folgte eine Auflistung aller in der Praxis durchführbaren Operationen. Als würde jemand, der sich wegen eines Leistenbruchs operieren ließ, spontan zugreifen: „Oh, die haben hier auch Zehenkorrekturen im Angebot, davon nehme ich doch gleich zwei - wo ich schon mal da bin.“ Die Patienten wurden aufgefordert, „morgens geduscht“ zu erscheinen. „Bei starker beruflicher Schmutzbelastung von Händen und Füßen ist eine intensive Reinigung geboten“ hieß es noch. Verwirrend, diese Unterscheidung zwischen beruflichem und privatem Dreck. Warum sollte der Landschaftsgärtner seine Fingernägel schrubben, die Hausfrau, die im Garten wühlte, dagegen nicht? Unterstellte man dem niederen Volk eine höhere Grundverschmutzung? Weiterhin wurde mehrfach auf die Diebstahlgefahr in der Praxis hingewiesen: „Wertsachen zu Hause lassen“. Dass die das so einfach zugaben ... Sogar einen Dresscode fand ich: „Bequeme, weite und unempfindliche Kleidung in dunklen Farben“. Vermutlich der Versuch, den Patienten so schonend wie möglich beizubringen, dass sie nach der Operation ihre gute Garderobe vollbluten könnten.
Am Morgen der OP fühlte ich mich, von einem knurrenden Magen abgesehen, relativ gut. Normalerweise bin ich ziemlich unleidlich, wenn ich Hunger habe. Ich musste ja morgens ‚nüchtern’, wie es so schön heißt, antreten. Aber ich war nicht nervös, verspürte keine Angst und freute mich darauf, später mit makellosem Po aufzuwachen.
Ich bekam ein weißes OP-Kittelchen verpasst, so eines, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, und wie es Jack Nicholson in ‚Was das Herz begehrt’ trägt (vorne züchtig hochgeschlossen, im Nacken gebunden und hinten komplett offen). Die Narkose wirkte schnell. Ich konnte grad noch denken ‚alles wie im Film hier’ –schon war ich weg.
Aufgewacht bin ich im Ruheraum, in einem schönen Bett am Fenster. Die Sonne warf Lichtkringel auf meine mollige Steppdecke. Hinter halb zugezogenen Vorhängen dösten weitere Patienten, wieder genau wie im amerikanischen Kino. Ich hatte stundenlang tief und fest geschlafen, so gut wie ewig nicht. Wenn man danach so wohlig ausgeruht und entspannt war, sollte man sich vielleicht öfter mal eine kleine Narkose gönnen ... Übelkeit, Kopfschmerzen und was man sonst für Nebenwirkungen von der Narkose bekommen konnte, stellten sich nicht mal ansatzweise ein. Auch Schmerzen spürte ich nicht. Es ging mir einfach bombig. Eine Schwester bot mir Kaffee und Kekse an, ich las in meinem Buch und dachte an gar nichts.
Die nächsten zwei Tage verbrachte ich zu Hause und verspürte immer noch keine nennenswerten