Die Sozialdemokratie. Karl Glanz
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Österreichs Volk seufzte unter dem Druck der Steuerschraube, die Industrie blieb zurück, die Zollschranken wurden ausgedehnt, und das Alles aus Rücksicht auf Galizien und Ungarn. Hinweg mit diesen Volksvertretern, die durch eine Hintertreppenpolitik ihre eigenen Interessen schützten, die Volksinteressen preisgebend. Hinweg mit den Kapitalisten, Feudalen und Klerikalen, die Sonderinteressen verfolgten, die Volksrechte mit Füßen traten. Entweder eine wahre Volksvertretung oder gar keine — das war ihr Wunsch zur Jahreswende 1900. Und wenn im kommenden Jahr das Abgeordnetenhaus aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben werden würden, dann könnte die Regierung — sobald sie ehrlich sein sollte — das freie Wahlrecht schützen: denn ohne dieses wird nicht das Volk, sondern das Kapital, der Adel und die Kirche vertreten und der alte Zustand wird wieder hergestellt sein. Also weg damit.
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Das Jahr 1899 hatte nur ein Ereignis von weittragender Bedeutung gebracht — der Kalif ist endgültig vernichtet worden und damit ist Zentral-Afrika wohl erlöst und der europäischen Kultur eröffnet. Möchte doch auch österreichischer Unternehmungsgeist sich an der ökonomischen Erschließung Afrikas beteiligen Der abgeschlossene sogenannte Samoavertrag beseitigte alte Differenzpunkte zwischen den drei großen germanischen Kolonialreichen England, Nord-Amerika und Deutschland und war zu begrüßen. Wenn der Verfall der Türkei sich auch offenkundig gemacht hatte, so war das ziemlich alles, was sich 1899 an wirklich politisch bedeutsamen Dingen zugetragen hatte.
Was den Menschen noch Sorgen machte, war die Situation in Serbien. Die große Skupschtina ist feierlich geschlossen worden, nachdem sie nach einer ebenso kurzen als würdevollen Debatte die neue Verfassung angenommen hat. Der Minister des Äußern Mijatovicś hatte in seiner Rede an die Skupschtina den Wert der neuen Verfassung und deren Bedeutung als "königliches Geschenk" so treffend charakterisiert. Über den inneren Wert der überaus liberalen Verfassung, sie wird ihre Zweckmäßigkeit durch den praktischen Gebrauch erproben, ihre Ergänzung durch Spezialgesetze finden müssen, welche eine am 27. Oktober eigens hierzu einzuberufende Skupschtina schaffen soll. In Belgrad kursierten offenbar Nachrichten, welche seit Wochen über die bevorstehende Demission des Kabinetts Christics zirkulieren, in welchem sich teils fortschrittliche, teils farblose Elemente, aber kein einziger Radikaler befindet. Wenn nun die Majorität der großen Skupschtina eine Vertretung in dem heutigen Ministerium fordert, so steht dem doch die Tatsache gegenüber, dass ein Christics schwerlich neben einem oder zwei Radikalen regieren könnte und wollte. Das Verbleiben des heutigen Ministeriums im Amte, denn nachdem es durch seine Objektivität und opferwillige Selbstverleugnung im Stande war, die Wahlen für die große Skupschtina zu leiten und während der ganzen Zeit die Ruhe und Ordnung im Lande aufrechtzuerhalten, so liegt die Erwartung nahe, dass unter seiner Ägide auch die Vorarbeiten und Wahlen für die nächste Skupschtina ebenso glatt und erfolgversprechend erledigt werden könnten. Die Wahl war zwar gut verlaufen, aber dem gegenüber steht doch immer die Rücksicht auf die moralische Erschöpfung der bisherigen Minister und auf die Macht und Ambition der parlamentarischen Masse, welche schwerlich noch eine einjährige Geduldprobe ertragen möchte. Die politischen Stimmungen und Dispositionen, wie sie eben in Serbien herrschen, liefern, mit der Angabe der ungefähren Richtung, in der sich die Ereignisse im Verlaufe der nächsten Wochen und Monate entwickeln dürften. Wir sind überzeugt, dass König Milan, der im Laufe der letzten zehn Wochen maßgebende Beweise seiner Entschlossenheit und seines Scharfblickes gegeben hat, auch im Falle eines Ministerwechsels eine gute Wahl treffen werde. Wir hätten gar keine Ursache, selbst einem radikalen Ministerium unsere Sympathien zu versagen, nachdem seine Entstehung nur eine durchaus logische Konsequenz der bisherigen Ereignisse wäre, und nachdem von maßgebendster Seite in Belgrad bereits die Versicherung gegeben wurde, dass die auswärtige Politik Serbiens unverändert und der direkten Führung des Königs Untertan bleiben werde. Wir sehen der weiteren Entwicklung der Dinge in Serbien mit vollständiger Ruhe und Zuversicht entgegen.
Und nur in der allgemeinen, unterschiedslosen Erfüllung jener öffentlichen Pflicht liegt die Sicherung gegen die Furcht, liegt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hierin aber liegt die zwingende Aufforderung an alle politischen Fraktionen, den Boden aufzusuchen, wo sie sich einigen können und jenen verstreuten Etappen, welche ihre Gegnerschaft bezeichnen, fern zu bleiben: denn Einigung in der Pflicht, welche den Staat und seine Bürger im Interesse der Existenz und des Gedeihens Beider verbindet, ist das einzige mögliche Programm der Gegenwart. Es ist das Programm der Mäßigung, der Solidarität in einer Zeit der schwerer Not.
Nur der tut seine Pflicht ohne Furcht und ohne Rückhalt, dem der Weg der Pflicht auch der Weg der Ehre ist, und so nur vermag die Ehre auch jederzeit die treue Pflichterfüllung im Staate zu sichern. In den meisten Staaten Europas kämpfen die Parteien weniger für das Wohl des Gemeinwesens als für die eigenen Interessen.
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Je mehr sich die Scheidewand zwischen der Vereinigung deutschen Linken und der Deutschnationalen Vereinigung aufbaut, umso unbehaglicher suhlt sich offenbar die "Deutsche Zeitung", welche doch als Organ der erstgenannten Fraktion gelten, dabei aber sich es durchaus nicht mit zwei Herren verderben will. Der Tribun wurde recht unsanft der Stuhl vor die Tür gesetzt. Und das in Deutsch-Böhmen.
Mehr noch machten sich die Österreicher Sorgen um die Krankenversicherung. Das Ministerium des Innern hat nach geflogenem Einvernehmen mit dem Handelsministerium am 25. November v. I. an alle Landesbehörden einen Erlass gerichtet, welcher die Umbildung der genossenschaftlichen und Betriebskrankenkassen nach dem Krankenversicherungsgesetz betrifft. Nach einer diesbezüglichen Verordnung vom 13. November v. I. hat die erwähnte Umbildung bis längstens 1. März 1889 zu geschehen. Nach Ablauf dieser Frist ist auf Grund der neuen Verordnung bei säumigen Kassen diese Umbildung von der politischen Landesbehörde mit rechtsverbindlicher Wirkung von Amtswegen vorzunehmen, und zwar in den Monaten März und April, damit im Zeitpunkt des Beginns der Wirksamkeit der Krankenversicherung, als welcher der 1. Mai 1889 in Aussicht genommen wurde, die Umwandlung aller bestehenden Krankenkassen der genannten zwei Kategorien vollendet erscheint. Bis zu diesem Zeitpunkte (1. Mai 1889) ist auch die Errichtung von Betriebskrankenkassen bei jenen Betrieben zu veranlassen, welche zur Errichtung solcher Kassen verpflichtet sind, bei welchen aber Krankenkassen bisher nicht bestehen. Was speziell die bestehen den genossenschaftlichen Krankenkassen anbelangt, so hat sich aus der dem Handelsministerium vorgelegten Ausweisen ergeben, dass viele dieser Kassen eine minimale Anzahl von Mitgliedern umfassen, bei welcher ein ordnungsmäßiges Funktionieren der Kasse geradezu unmöglich ist, weshalb mit Grund angenommen werden kann, dass viele der als bestehend ausgewiesenen genossenschaftlichen Krankenkassen tatsächlich gar nicht fungieren. Die Angehörigen solcher genossenschaftlichen Krankenkassen, die keinen Ersatz für die durch das allgemeine Institut der Bezirkskrankenkassen gewährleistete Krankenversicherung bieten, sind in die Bezirkskrankenkassen einzubeziehen. Über die fortschreitende Umbildung, respektive Neubildung, der genossenschaftlichen und Betriebskrankenkassen haben die Landesbehörden besondere Berichte an das Ministerium des Innern zu erstatten.
Nicht die Gegner des Friedens, der Ordnung sind es, denen ihre Streitreden gelten, sondern nur die Rivalen zeigen gegenseitige Feindschaft. Das erzeugt aber einen kleinlichen Egoismus, welcher jedes gesunde Urteil trübt, welcher in seiner Verblendung der eigenen Ansprüche vergisst, und nur in der Demütigung des Gegners Befriedigung sucht. Dieser Stand des Parteienstreites füllt die Herzen der Bürger täglich mit eitler Hoffnung und törichter Furcht und vermehrt also die Not der schweren Zeit.
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