Von Bremerhaven bis Kiel. Wolfgang Max Reich
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Vorfreude auf die Einschulung
Meinem Vater ist es tatsächlich spielerisch und ohne jeglichen Druck gelungen mich für das Lernen zu begeistern. Im nach hinein betrachtet war der damalige Arbeitsunfall meines Vaters für mich ein Glücksfall. Mein Vater hätte ohne dies einschneidende Ereignis für mich nicht so viel Zeit gehabt. Inzwischen hatte mein Vater zur Genesung eine Kur genehmigt bekommen und ich war mit meiner Mutter für drei Wochen wieder allein. Norddeutschland ist ja keine Karnevalshochburg aber im Dorf gab es in der einen von zwei Gaststätten im Tanzsaal eine Kinderfaschingsveranstaltung. Meine Mutter hatte für uns zwei auch Karten besorgt. Sie hatte mir eine Spielzeugpistole mit Zündplättchen einen Pistolengurt und dazu einen zünftigen Cowboyhut spendiert und so ausstaffiert nahm wir an der Veranstaltung teil. Gegen 16 Uhr war der Kostümball für Kinder zu Ende. Das sollte auch die einzige Teilnahme an einer Karnevalsveranstaltung in meinem Leben bleiben. Nun folgte mein 6. Geburtstag. An Geburtstagen war es bei uns üblich, dass es keine ausschweifenden Geschenke gab. Aber ein Spielzeugauto durfte ich mir dennoch aussuchen. Ich entschied mich für einen Polizeiwagen aus Blech. Mein Geburtstag war bereits eine Woche vorbei als es an der Tür klingelte. Meine Mutter öffnete und mein großer Bruder Heinzi stand vor der Tür. Das war für mich die schönste Überraschung. Auch meine Mutter war zu Tränen gerührt. Nun gab es nach so langer Zeit der Abwesenheit so viel zu erzählen. Man wusste gar nicht was man zuerst Fragen sollte. Aber die Freude zum Wiedersehn war uns allen ins Gesicht geschrieben. Nachträglich zu meinem Geburtstag schenkte er mir die ersten Legosteine. Das war der Grundstein für jahrelangen Spielspaß. Mein Bruder hatte beschlossen für unbestimmte Zeit an Land zu bleiben. Dieser Entschluss erfreute mich besonders, denn ich hatte meinen Heinzi doch sehr vermisst. Aber dieser Umstand sollte nicht lange andauern. Im Stadtteil Einswarden wurde vor Ostern ein kleiner Jahrmarkt aufgebaut. Bei der Raupenbahn, einem Fahrgeschäft, suchte der Schausteller einen jungen Mann zum Mitreisen. Mein Bruder hatte sich kurzer Hand dazu entschlossen. Nun besuchten wir ihn noch an seiner neuen Arbeitsstelle auf dem Jahrmarkt. Nun durfte ich umsonst so viel Karussell fahren wie ich mochte. Aber dann kam der Abschied schneller als gedacht und mich überkam wieder eine große Traurigkeit. Der Termin meiner
Einschulung rückte immer näher und meine Vorfreude war ungebrochen. Da mein Interesse an Schiffen meiner Mutter nicht verborgen geblieben war organisierte sie einen Tagesausflug mit einem kleinen Ausflugsschiff, der „Schreiber-Linie“, von Bremerhaven nach Bremen und zurück. Als meine Mutter mir von dem Plan erzählte war ich so begeistert das ich die Tage bis zu unserem Ausflugstermin zählte und ich malte mir aus was wir wohl erleben würden. Am Tag zuvor wurden Frikadellen gebraten und Kartoffelsalat zubereitet, damit auf unserem Ausflug kein Hunger aufkommen sollte. Früh am Morgen machten wir uns auf den Weg zum Fähranleger, um mit einer der ersten Fähren nach Bremerhaven überzusetzen. Dort angekommen mussten wir noch zu Fuß zur Anlegestelle des Ausflugsschiffs laufen. Das Schiff war gut besucht und das Wetter spielte auch mit, denn wir hatten strahlenden Sonnenschein und Mutter meinte dazu nur „Wenn Engel reisen“. Für mich gab es auf der Fahrt nach Bremen so viel Neues zu entdecken das ich meiner Mutter Löcher in den Bauch fragte. Wir saßen an Oberdeck und genossen das schöne Wetter und verspeisten unseren mitgenommenen Reiseproviant. Gegen Mittag erreichten wir Bremen und das Schiff machte an dem Martinianleger fest. Nun hatten wir eine Stunde Zeit, um etwas spazieren zu gehen. Pünktlich um 14 Uhr mussten wir wieder an Bord sein. Nun ging es zurück nach Bremerhaven. Als wir wieder zuhause waren freute ich mich über den gelungenen Ausflugstag. Dieser Tag ließ mich den Abschiedsschmerz von meinem Bruder vergessen. Mein Vater war nun wieder aus seiner Kur zurück und suchte nach einer neuen Anstellung. Da sich bei uns in Blexen ein großes Unternehmen, die Titan-Werke, ansiedelte hatte die Rammfirma, Vaters alter Arbeitgeber, ein Großauftrag auszuführen. Für die neuen Werkshallen und Gebäude mussten viele Pfähle gerammt werden, um ein sicheres Fundament zu gewährleisten. Mein Vater fuhr mit seinem Fahrrad zur Baustelle, um vor Ort nach Arbeit zu fragen. Allerdings wurde nur ein Kalfaktor für die provisorische Baustellenkantine gesucht. Um schnell wieder eine Beschäftigung zu haben nahm mein Vater die Stelle an. Jetzt konnte mein Vater mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und war am Abend wieder daheim. Meiner Aufmerksamkeit war es nicht entgangen, dass in der Nähe des Fähranlegers ein anderes großes Projekt entstand. Mein Vater erklärte mir das dort ein riesengroßes Schwimmdock gebaut wurde und das in solch einem Dock Schiffe für Reparaturen aus dem Wasser geholt werden. Nun wurde ich wieder von meiner Neugier beherrscht. Mein Vater musste mir genau erklären wie das funktioniert. Als mein Vater dann in der Zeitung das Inserat der Gutehoffnungshütte las in dem auch der Stapellauf des fertiggestellten Schwimmdocks bekanntgegeben wurde, war sofort klar, dass er mit mir dort hinging, um dem Schauspiel beizuwohnen. Wir hatten einen guten Platz zum Beobachten gefunden und warteten gespannt auf das Signal für die Arbeiter, die mit ihren großen Beilen die Halteseile gleichzeitig durchtrennen sollten. Endlich war es soweit mit einem Sirenensignal wurden die Halteseile durchtrennt und der riesen Stahlkoloss begann sich zu bewegen. Erst ganz langsam und dann immer schneller werdend glitt er in die Weser. Dort wurde er von mehreren großen Schleppern in Empfang genommen, um dann zu seinem Bestimmungsort geschleppt zu werden. Für dieses Ereignis hatte mein Vater sich extra einen Tag frei genommen, um mir eine Freude zu machen. Auch wenn wir jetzt in Blexen wohnten ist mein Vater mit mir an den Wochenenden immer noch das eine oder andere Mal in unsere alte Heimat nach Einswarden spaziert, und zwar immer auf dem Weserdeich entlang, um einen freien Blick auf den Fluss zu haben. Damals war in Richtung Bremen noch reger Schiffsverkehr und es gab immer etwas zu sehen. Unser Ziel war meistens ein kleiner Kiosk am Ortsanfang. Hier durfte ich mir für zwanzig Pfennig etwas zum Naschen kaufen. Den Inhaber kannte mein Vater recht gut und somit gab es auch immer Anlass zu einer Unterhaltung. Der Kioskbesitzer nahm eine kleine Spitztüte aus Papier und ich durfte mir etwas aussuchen. Gummibärchen und vieles andere gab es lose zu je 1 Pfennig. Der Besitzer sagte mir immer an, wie viele Teilchen ich noch aussuchen durfte. Da ich ja vom Papa das zählen schon gelernt hatte, sagte ich nach dem wir aus der Reichweite vom Kiosk auf dem Heimweg waren zu meinem Papa, dass Herr Haddaschik sich wohl zu meinen Gunsten verzählt haben musste. Als ich älter war, begriff ich, dass Herr Haddaschik sich nicht verzählt hatte, sondern weil er mich mochte, einfach nur großzügig war. Da der Zeitpunkt meiner Einschulung nun immer näher rückte, war ich mit meinen Gedanken jetzt immer häufiger bei diesem Thema und ich hatte viele Fragen an meine Eltern. Wie würde es wohl sein? Aber anders wie bei den meisten Kindern, freute ich mich darauf. Die Arbeit meines Bruders bei dem Schausteller war nicht von langer Dauer und mein Heinzi war wieder daheim. Er hatte von einem Bekanntem erfahren, dass in Bremerhaven ständig Männer für die Hochseefischerei gesucht werden und dass die Arbeit auf einem Trawler gut bezahlt wird. Bereits einen Tag nach seiner Heimkehr fuhr er nach Bremerhaven, um sich vor Ort zu informieren. Da er bereits zur See gefahren war bekam er sofort einen Heuervertrag um als Decksmann auf dem Seitenfänger „Hermann Krause“ einsteigen zu können. In zwei Tagen sollte das Schiff auslaufen. Wir beschlossen, dass wir ihn gemeinsam zum Schiff bringen. Ich freute mich, dass ich noch nicht eingeschult war. Denn so konnte ich dabei sein. Um 10 Uhr sollte das Schiff ablegen. Wir hatten unseren Heinzi pünktlich an Bord gebracht und standen jetzt zum Abschied auf dem Kai im Fischereihafen. Mit kleiner Verspätung setzte sich das Schiff zur Doppelschleuse in Bewegung. Da es nur ein kurzer Weg bis zur Schleuse war liefen dorthin, um ihm noch
hinterherwinken zu können. Als wir auf der Schleuse ankamen wartete das Schiff auf seine Ausfahrt. Nun öffnete sich das schwere Schleusentor und wir wünschten unserem Heinzi nochmal eine gute Reise und eine gesunde Heimkehr. Nach langem