Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle
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Eng umgrenzte Machtgruppen, wie z. B. Einheitsparteien, monopolisieren die Besetzung der Herrschaftspositionen. In solchen Gesellschaftssystemen gibt es graduelle Unterschiede der Mündigkeit zwischen Führenden und Geführten; die Führenden beanspruchen für sich allein die Fähigkeit, wichtige Entscheidungen zu fällen und Verantwortung zu tragen, während den Geführten aufgrund des Mangels solcher Qualitäten die Fähigkeit, Führungspositionen einzunehmen oder Vertreter zu wählen, nicht oder nur in beschränktem Maße zugebilligt wird. Weiterhin ist für solche Ordnungen bestimmend, dass offene Kritik und damit das Zutagetreten von Interessengegensätzen und Konflikten in der offiziellen Struktur nur im erlaubten Rahmen oder überhaupt nicht zugelassen werden. Interessenspannungen und Konflikte werden zu latenten, nicht manifesten Konflikten, zu denen dann umso mehr Anlass ist, je stärker die Frustrationen sind, die den Untergebenen zugemutet werden. Aggressionen dienen der Unterdrückung nicht erlaubter Bedürfnisse, der Unterwerfung von Minderheiten und schwächeren Gruppen in der Herrschaftshierarchie sowie der Bekämpfung der äußeren Systemfeinde. Auf der Seite der Herrschenden existiert eine latente Angst vor dem Manifestwerden von Aggressionen gegen die Herrschaftspositionen und ihre Monopolisierung, während auf der Seite der Beherrschten Angst besteht vor den Folgen, die ein offen ausgetragener Konflikt mit den herrschenden Gewalten nach sich ziehen kann. So ist Herrschaft ohne Auftrag tendenziell gekoppelt mit Gewaltandrohung und partiell mit offener Gewaltanwendung, um die herrschenden Normen und ihre Anerkennung zu sichern. Die Anerkennung in Form der Unterwerfung ist sehr oft mit Gewaltandrohung und manifester Gewaltanwendung verbunden11.
Diese Merkmale sind im besonderen Maße kennzeichnend für totalitäre Bewegungen und Systeme. Für sie lassen sich folgende Merkmale abstrahieren: das Fehlen der Gewaltenteilung, die Unterdrückung konkurrierender gesellschaftlicher Gruppen, die Konzentrierung der politischen Macht in der Hand eines Diktators bzw. einer Führungsgruppe, die Herausbildung eines Machtmonopols mithilfe eines autoritär gelenkten Herrschaftsapparates, die Aufhebung oder Einschränkung der rechtlichen Bindungen der politischen Macht (und damit der rechtsstaatlichen Prinzipien), die Eliminierung oder wesentliche Einschränkung der Freiheitsrechte der Bürger sowie der Mitwirkung sozialer und politisch autonomer Gruppen und Verbände am politischen Prozess, auch ein im Zusammenhang mit ideologischem Messianismus auftretender Aktionismus, der auf die Umgestaltung bzw. Disziplinierung der bestehenden Gesellschaft zielt. Die Rhetorik hat hier zumeist eine bedeutende Funktion. Es entsteht ja ein Legitimitätsvakuum, weil keine Rechtfertigung aufgrund traditioneller Institutionen die Herrschaft stützt noch eine echte demokratische Bestätigung vorhanden ist. Insbesondere Bewegungen und Systeme, die im Gegensatz zu mehr traditional orientierten autoritären Systemen grundlegende und umfassende Veränderung in Staat und Gesellschaft anstreben, ideologische Geschlossenheit und weitgehende Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft wollen, Gewalt nach innen und außen ausüben, sind auf permanente „Diktatur“ im Sinne dauernden fanatischen Sprechens zur Mobilisierung der Massen angewiesen. Die totalitären Ideologien mit ihren Zukunftserwartungen, ihren Mythen und Eschatologien, ihrem Sendungsbewusstsein, ihrer Berufung auf höhere Legitimität, ihren Umgestaltungs- und Umerziehungszielen, ihren Freund-Feind-Schemata bedürfen der indoktrinierenden Propagierung. Die Rechtfertigung durch das Charisma von Führergestalten ist auf die rhetorische Verbreitung der Vorzüge von Personen dringend angewiesen. Gewaltanwendung und Gewaltandrohung reichen zur Anerkennung der neuen Werte und Normen nicht aus, die Darstellung der Qualität der Politik in Form politischer Religion ist notwendig. Die Gründe für die Obligation der Beherrschten müssen immer wieder präsentiert werden in Dauerkampagnen ideologischer Rechtfertigung. Jede Macht, auch die ungerechteste, muss den Schein der Legitimität suchen, nicht selten in pseudoreligiöser Weise und mit Einsatz der verschiedensten Strategien rhetorischer Gewalt.
Hitler unterschied zwischen totalitärer Propaganda und Propaganda im totalen Staat. Totalitäre Propaganda habe die Machtergreifung durch „Zersetzung des bestehenden Zustands“ und die gleichzeitige „Durchsetzung dieses Zustands mit der neuen Lehre“ vorzubereiten. Sie solle den politischen Gegner lähmen und das Volk für den Sieg der Idee reif machen, „während die Organisation den Sieg erficht“. Totalitäre Propaganda gilt hier als wichtigstes Mittel zur Niederringung des Gegners und zur Eroberung von Macht und Herrschaft.
Aber auch in Herrschaftssystemen, bei denen die Beauftragung durch Wahlakte (Auftragsautorität!) erfolgt und die Überprüfung durch Kontrollorgane (Parlamente!) und eine kritische Öffentlichkeit (besonders durch die veröffentlichte Meinung) wahrgenommen wird, ist Rhetorik ein zentrales Element, um Einfluss und Macht zu gewinnen und Mehrheiten auf politische Ziele, Handlungen und Führungspersonen zu vereinigen12. Dabei gilt jedoch hier, wo verbale Gewalt eher eine Ausnahme darstellt, diese als unvereinbar mit demokratischer Ordnung herauszustellen und offen zu bekämpfen.
3. Öffentlichkeit als Signatur freiheitlicher Systeme13
Als zentraler Unterschied zwischen Diktaturen und freiheitlichen Systemen wird unter kommunikativen Aspekten die große Bedeutung von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung für demokratische Ordnungen herausgestellt. „Öffentlichkeit gehört zur verfassungsrechtlich gesicherten Grundausstattung der Demokratien“14. Ein öffentlicher Prozess geistiger Auseinandersetzung, in dem sich Meinungen frei bilden und verändern können, ist Voraussetzung für politischen Wettbewerb. Demokratie verlangt die Publizität öffentlicher Angelegenheiten. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 5 GG beinhaltet kennzeichnenderweise einen offenen, freien Meinungsmarkt, da erst dieser den für das Demokratieverständnis des Grundgesetzes konstitutiven politischen Wettbewerb ermöglicht15.
Öffentlich sind Kommunikationen, die allen Mitgliedern freier Gesellschaften zugänglich sind, die jeder verfolgen und an denen er sich beteiligen kann, bei denen sich private Abschirmung gegen Mitteilungen und Beobachtungen verbietet. Öffentlichkeit ist also ein Kommunikationsraum, in dem allgemeine Themen und Meinungen transparent gemacht werden, „die Gesellschaft spiegelt sich mit dem, was sie von sich gibt, im Medium der Öffentlichkeit16.“ Über öffentliche Kommunikation können sich die Akteure wechselseitig beobachten und durch ihre Handlungen in die Öffentlichkeit hineinwirken und Einfluss ausüben. Die Bürger haben die Chance, sich durch öffentliche Kommunikation über relevante Ereignisse, Themen und Meinungen zu informieren. Politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse von allgemeiner Relevanz gehen in der Regel unter öffentlicher Anteilnahme vor sich, politisch-soziale Verhältnisse und Veränderungen sind ständigen Rechtfertigungs- und Begründungszwängen in der Öffentlichkeit ausgesetzt. Permanentes „Hinterfragen“ wird zur Signatur moderner freiheitlicher Systeme, öffentliche Meinung ist das Korrektiv zu Macht und Herrschaft, d. h. das Wechselspiel zwischen öffentlicher Meinung und den politisch Mächtigen gehört zur Grundstruktur der Demokratie. Ansonsten würde ja den Bürgern die Mündigkeit im Sinne das Mundgebrauches beschnitten, sie wären im Wesentlichen nur Herrschaftsunterworfene. Die Demokratie unterstellt jedoch für alle Bürger eine grundlegende politische Mündigkeit, Besitz und Bildung oder andere soziale Kriterien sind nicht mehr entscheidend für die Zubilligung politischer Mündigkeit, Vormundschaft im Sinne von Aussperrung aus öffentlicher Kommunikation ist obsolet. Neben der Bedeutung des Begriffes der Öffentlichkeit als einer sozialen Handlungssphäre, die frei zugänglich ist und in der soziale Akteure sich an ein unabgeschlossenes Publikum wenden und der Beobachtung durch ein solches Publikum ausgesetzt sind, bezieht sich der Terminus auf allgemeine Angelegenheiten oder Aktivitäten, die Gegenstand kollektiver Verantwortlichkeit und Entscheidungen sind. Gedacht ist insbesondere an politische und Staatsangelegenheiten, an kollektive Probleme, die geregelt sind oder geregelt werden sollen. Die öffentliche Selbstverständigung ist freilich nicht zu beschränken auf unmittelbar entscheidungsbedürftige oder -fähige praktische Fragen; hierher gehören auch Debatten über moralische Prinzipien, grundlegende Werte, das Verhältnis zu kollektiven Vergangenheiten und Zukunftserwartungen. Peters17 fasst zusammen: „Öffentliche Diskurse behandeln praktische