Die Einführung des Fernsehens im Senegal. Johannes Hahn
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2.2.2 Partizipationskommunikation
Das Konzept der Partizipations-Kommunikation ist ursprünglich aus den pädagogischen Ideen von Paolo Freire hervorgegangen. Freire kritisierte den “Transmissions-Charakter” der konventionellen Pädagogik, der den Schüler in eine passive Rolle zwänge und ihn dazu verleite, die vermittelten Inhalte für unabänderlich zu halten. Ursache von Unterentwicklung sei nicht ein Mangel an Wissen, sondern vielmehr ein Mangel an kritischer Einstellung. Daher bedürfe es einer Bewusstwerdung der Situation der Unterdrückung, die durch eine veränderte Pädagogik erreicht werden könne. Erziehung müsse ein Dialog sein, bei dem es nicht Lehrer und Schüler, sondern nur “Lernende” gibt23.
Unter dem Einfluss der Dependenzforschung und den eben kurz skizzierten Ideen Freires kritisierten vor allem Wissenschaftler aus Entwicklungsländern die Missachtung der sozio-kulturellen Gegebenheiten durch die bestehende Kommunikationsforschung. Als Kernproblem definierten sie eine mangelnde Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen der Entwicklungsplanung ebenso wie an der Ausführung der Entwicklungshilfe. Sie forderten deshalb Kommunikationsstrukturen, die eine solche Partizipation ermöglichen und rieten beispielsweise zum Einsatz lokaler Kleinmedien:
“Community communications should mean more than programming designed for special or selected groups. They are intended to be based on more than assumed audience needs and interests. Communitiy media are adaptations of media for use by the community, for whatever purpose the community decides. They are media to which members of the community have access, for information, education, entertainment, when they want access. They are media in which the community participates, as planners, producers, performers.”24
Ähnlich utopisch sind auch viele andere Modelle, die die Partizipations-Kommunikation beschreiben - und die Forschung unter dieser Prämisse beschränkt sich auch weitestgehend auf die Formulierung neuer Kommunikationsmodelle, anstatt deren Anwendbarkeit in der Realität zu überprüfen.
Die auf Grundlage von Freires Ideen konzipierten Alphabetisierungskampagnen hatten zwar zum Teil große Erfolge, ob Freires “Rezept” allerdings auch für andere Entwicklungsbemühungen erfolgreich ist, bleibt fraglich. Die in Lateinamerika nach der Theorie der Partizipations-Kommunikation konzipierten Entwicklungsprojekte hatten jedenfalls ohne externe Kontrolle oder Anregung nur eine sehr kurze Lebensdauer25.
Das Ziel eines autozentrierten und eigendynamischen Wandels in Entwicklungsländern ist zwar wünschenswert, muss aber realitätsfern bleiben, solange es bestimmte soziale, strukturelle und nicht zuletzt finanzielle Hindernisse gibt, die durch Partizipations-Kommunikation wohl kaum aus dem Weg geräumt werden können.
2.2.3 Komplexe Innovationssysteme
Das Modell der “Komplexen Innovationssysteme” ist das Resultat der Bemühungen, die Ergebnisse früherer Kommunikationsmodelle und deren Misserfolge in der Entwicklungspraxis in einer neuen und wohl zwangsläufig weniger präzisen Theorie zusammenzufassen. Die Tatsache, dass isolierte Medienkonzepte nur selten Erfolg haben, führte zu der Erkenntnis, dass Wandel und Entwicklungsprozesse sehr viel komplexer sind als von der bisherigen Forschung angenommen - und dass in diesen Prozessen Kommunikation jeglicher Art immer nur ein Faktor unter vielen anderen ist.
“Sozio-kultureller Wandel [wird] als Funktion eines komplexen Innovationssystems verstanden [...], innerhalb dessen verschiedene Subsysteme miteinander interagieren. Das Innovationssystem erbringt seine Leistung um so besser, je konsistenter die Ziele der verschiedenen Subsysteme sind. So ist z.B. der Entwicklungserfolg dann gefährdet, wenn die Problemperzeption der Planungsinstanzen mit derjenigen der Bevölkerung konfligiert”26.
Oder einfacher gesagt: die unübersichtlich vielen Faktoren, die den Wandel beeinflussen, sollten besser aufeinander abgestimmt werden. Folglich müssten zunächst diese Faktoren erkannt und dann einzeln untersucht werden - was in einem utopisch anmutenden, interdisziplinären Kraftakt gipfeln dürfte.
Verständlicherweise beschränkte sich die Kommunikationsforschung auf Untersuchungen des ihr ureigenen, meist massenkommunikativen “Subsystems” und dessen Beziehungen zu anderen “Subsystemen”, die als für den Entwicklungsprozess wesentlich eingestuft wurden. Katz und Wedell untersuchen beispielsweise statistisches Material aus 91 Entwicklungsländern und vergleichen die in Radio und Fernsehen gesetzten Erwartungen mit den erzielten Resultaten, um sich so den Beziehungen zwischen Entwicklungs- und Medienpolitik zu nähern27. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass - abgesehen von Peru und Tansania - in keinem der untersuchten Länder die Rolle von Radio und Fernsehen im Entwicklungsprozess definiert wurde, als diese Medien etabliert wurden, und betrachten diese Tatsache als Grund für das Scheitern zahlreicher Entwicklungsbemühungen.
Um diesem Problem zu begegnen, beauftragte die UNESCO Alan Hancock mit einer Studie, die einen Rahmen für die Kommunikationsplanung in Entwicklungsländern aufzeigen sollte28. “Entwicklung” ist für Hancock der Abbau von Ungleichheiten - und “Entwicklungskommunikationsplanung” könne diesem Ziel dienen, indem sie zwischen den drei Hauptbereichen “Entwicklungspolitik”, “Kommunikationsinfrastruktur” und “Technologie” einen bestmöglichen Ausgleich herstelle. Wünschenswert sei ein “Bottom-Up Planning” - aber Hancock zweifelt berechtigterweise an dessen Durchführbarkeit beispielsweise auf nationaler Ebene und räumt überdies ein, dass seine Ausführungen über die partizipative Planung mangels empirischer Basis eher spekulativ seien.
Saxer und Grossenbacher untersuchten 1987 viele Aspekte moderner und traditioneller Kommunikationssysteme in Benin und entdeckten auch dort Diskrepanzen zwischen den Zielen von Kommunikations- und Entwicklungspolitik und schließen, dass nicht zuletzt die Komplexität des Entwicklungsprozesses die “Grenzen der Funktionalisierung von Mediensystemen für gezielten gesellschaftlichen Wandel in Entwicklungsländern” erkennen lasse29.
Das größte Verdienst des Modells “Komplexe Innovationssysteme” ist zweifelsohne das Eingeständnis der Komplexität von Wandlungsprozessen, die eine exakte Steuerung dieser Vorgänge unmöglich machen dürfte. Und so ist dieses Modell wohl auch weniger als Leitfaden für zukünftige Entwicklungspraxis zu verstehen, sondern vielmehr als konzeptioneller Rahmen für die Forschung, um sich einem Verständnis von Wandlungsprozessen (und der Bedeutung von Kommunikation innerhalb dieser Prozesse) zumindest zu nähern. Wer wie Hancock dieser Prämisse folgt und trotzdem der Versuchung erliegt, “das” Rezeptbuch der Entwicklungskommunikation verfassen zu wollen, kann nur im Bereich der Spekulation enden.
2.3 Resümee
Wie bereits in der Einleitung dieses Kapitels erwähnt, lassen die verschiedenen Theorien die unterschiedlichsten wissenschaftlichen und ideologischen Prämissen erkennen. Gemein ist ihnen lediglich ihr unrühmliches Ende, da alle diese vermeintlichen Gesetze über die Rolle der Kommunikation im Prozess des Wandels einer Überprüfung nicht stand hielten. Was im einen Fall als wiederkehrendes Muster erkannt wurde, war im nächsten Fall oft gar nicht erst anzutreffen. Und so verdeutlichen die vorschnell als “Gesetze” geadelten Ergebnisse einzelner Studien in ihrer Summe, dass die Wirkung und Bedeutung von Kommunikation von sehr viel mehr als den in den einzelnen Studien untersuchten Faktoren abhängt.
Die Kommunikationswissenschaftler Mowlana und Wilson resümieren im Jahre 1988:
“In