Mongolei – Gesichter eines Landes. Frank Riedinger

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Mongolei – Gesichter eines Landes - Frank Riedinger

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sich nie vorhersehen, welcher Geist gerade in den Schamanen kommt. Es können mehrere Geister sein, die mit unterschiedlichen Charakteren selbst einen erfahrenen Schamanen in Bedrängnis bringen. Ich ahne einen sehr wilden und bösen Geist, der sich hier in Dashaa zeigt. Der Anblick des Freundes, der wie ein Derwisch in seinem Kostüm tanzt, das mit hellen Glöckchen besetzt ist, lässt mir Schauer über den Rücken laufen.

      Da setzt sich Dashaa an einen eigens für ihn gedeckten Tisch und beginnt mit essen und trinken. Die Speisen sind im Nu verschlungen. Eine zusätzliche Menge Buuz muss geholt werden, um den immensen Hunger des Schamanenschülers zu stillen. Oder den des Geistes, der Wodka trinkt wie Wasser und nach unglaublichen weiteren Portionen verlangt. Ein abstoßendes Schmatzen und Grunzen kommt aus seiner Richtung. Ich muss mir daher in Erinnerung rufen, dass hinter den schwarzen Zottelfransen der Maske auch mein guter Freund steckt, den ich im Winter als cleveren und pfiffigen Geschäftsmann in Nadelstreifen kennengelernt habe.

      Nach dem Fressmahl kippt das absonderliche Geschöpf den Tisch kurzerhand um. Es richtet sich bedrohlich auf, beginnt um die verdutzten Gäste zu tanzen, hart auf die Schamanentrommel pochend, die unter den heftigen Schlägen zerbricht. Der Geist ruft einen Verwandten Dashaas zu sich und offenbart dem erschrockenen Mann unverhohlen die Zukunft. Mit aschfahlem Gesicht nimmt dieser sein Schicksal zur Kenntnis. Diesmal wirft der Geist Dashaa auf die Knie und gestikuliert nach dem Bärenfell, das im Garten über einem Stuhl hängend für die Zeremonie vorbereitet wurde. Sofort bringt ein Helfer das Gewünschte, niemand möchte den Wildgewordenen verärgern. Der prüft das Fell eingehend, ob es für die Ausübung seiner Zwecke annehmbar sei, ebenso wie die Stiefel, die Dashaa später als Schamane tragen soll. Verachtend werden die Gegenstände dem jungen Assistenten vor die Füße geworfen.

      Allmählich verstummen die Glöckchen, nach und nach verklingen die Trommelschläge. Der Schamanenschüler wird ruhiger und erwacht aus seiner Trance. Seine Begleiter helfen ihm aus dem Gewand. Auch ich laufe zu meinem Freund. Von seinen Angehörigen umringt sitzt er erschöpft auf einem Stuhl im Garten. Ob er wisse, dass er Unmengen gegessen und getrunken habe? Er verneint. Dashaa hat keine Erinnerung an das Vorgefallene.

      Es bedarf weiterer Sitzungen, um als Schamane wirken zu können. Dies war aber eine der wichtigsten aller Sitzungen, da sich hier die Geister Dashaa genähert und anvertraut haben.

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      Vorbereitungen werden getroffen.

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      Der Geist hat Besitz von ihm ergriffen.

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      Dashaa während der Schamanenzeremonie.

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      Ein eigenartiges Gefühl beschleicht mich. Etwas nervös stehe ich vor den unbekannten Sprachschülern. Es sind junge Leute im Alter von 18 bis 24 Jahren, die ein Studium an einer mongolischen Hochschule absolvieren oder berufstätig sind und in einem Abendseminar von mir Deutsch lernen wollen. Der Hauptgrund, weswegen sie die Doppelbelastung auf sich nehmen, ist der sehnlichste Wunsch, in einem deutschsprachigen europäischen Land zu studieren. Ich hatte mich bereits in Deutschland auf diese Herausforderung vorbereitet und ein paar Arbeitsblätter kopiert. Es gibt außer einer Kunststoffplatte, die an der Wand als Tafelersatz dient, keinerlei Hilfsmittel für meinen Unterricht.

      Einige tausend Kilometer von zu Hause entfernt, werde ich hier als „Muttersprachler“ unterrichten. In das grelle Licht der Neonröhren eingetaucht, beginne ich vor zwanzig Schülern in dem kleinen Raum mit der Lektion. Zu meinem Konzept gehört, dass ich als Einführung ein paar Fragen stelle, deren Antworten wir auf Deutsch diskutieren, bevor gemeinsam ein deutscher Text gelesen wird. Als ich die Frage „Was ist für Sie typisch deutsch?“ an die Plastikwand schreibe, bekomme ich einhellig die Antwort: Fleiß und Pünktlichkeit. Diese „deutschen Eigenschaften“ sind selbst in den Köpfen der mongolischen Studenten eingeprägt, oder sollten sie tatsächlich solche Erfahrungen gemacht haben?

      Überrascht von dem Wissensdurst der jungen Menschen und ihren bereits hervorragenden Kenntnissen über Deutschland kann ich meiner Bewunderung nicht genug Ausdruck verleihen. Dabei stellt sich heraus, dass die meisten ihrer Eltern in der ehemaligen DDR studierten und heute zum Teil gut bezahlte Jobs in Ulaanbaatar ausüben. Diesem Privileg verdanke ich das große Interesse an meinem Seminar. Die Neugier auf den deutschen Lehrer und seine Lehrmethoden ist enorm. In den ersten Tagen droht der kleine Raum aus den Nähten zu platzen. So viele Schüler sind noch nie zum Deutschunterricht gekommen, bestätigt mir die Schulleiterin der Privatschule.

      Vor allem ist ihr Wunsch nach Pünktlichkeit ausgeprägt. Nur lässt sich diese Tugend hier schwer realisieren. Das unbeschreibliche Verkehrschaos der Hauptstadt verhindert in der Regel, dass vereinbarte Termine eingehalten werden können. Die Millionenstadt hat kein funktionierendes Netz öffentlicher Verkehrsmittel, weder U-Bahn noch S-Bahn. Stattdessen blockieren Unmengen von Autos die Straßen, denn die Buslinien sind genauso überlastet wie die privat betriebenen Mikrobusse.

      Ich wohne in der Nähe der Dragon Abfahrtsstelle im Westen der Stadt. Von dieser Station starten die Überland- bzw. Postbusse ihre Fahrten in die entlegenen Gebiete des Landes. Den Sukhbaatar-Platz, an dem sich die Schule befindet, erreiche ich bei wenig Verkehr in zehn bis zwölf Minuten mit einem der städtischen Linienbusse. An einem Spätnachmittag im Winter benötige ich dagegen sechzig bis neunzig Minuten. Das Problem der Verkehrsmittel ist eine logistische Herausforderung der Stadt, die Bevölkerungsdichte nimmt zu und das Verkehrsaufkommen steigt. Die Umsetzung eines großen Brückenprojektes wird noch Jahre dauern. Ein U-Bahnsystem ist technisch nicht einfach zu realisieren, da der Stadtuntergrund von Fernwärmerohren durchzogen ist.

      Also habe auch ich Probleme mit meiner Pünktlichkeit. Doch die gemeinsame Ausgangslage verbindet die Studenten und mich, und wir beginnen einander kennenzulernen.

      Die Inhaberin der Schule lädt mich zu einem Essen in ein Nobel-Restaurant ein. Wir sitzen an einem Zweiertisch in dem fast leeren Speisesaal. Sie berichtet von dem nur zur Hälfte ausgebuchten Chinesischkurs des neuen Semesters. Auch die Fremdsprache Englisch ist an dieser Schule für die jungen Leute nicht so richtig attraktiv. Deutsch ist in Anbetracht der Weltwirtschaftslage eine Sprache mit Zukunft, versuche ich das Interesse an meinem Sprachangebot zu erklären, wohl wissend, dass dies praktisch wohl nicht der Fall ist. Es gibt starke Ressentiments seitens der Mongolen gegenüber den Chinesen, insbesondere aufgrund der schwierigen Beziehungen beider Länder in der Vergangenheit. Aktuell sind es die Billigprodukte „Made in China“, die überall in Ulaanbaatar die Märkte überschwemmen, und die qualitativ so wenig überzeugen, dass die Mongolen ihrem südlichen Nachbarn eher mit Skepsis begegnen.

      Ein Semester an der Privatschule, mit zwei Stunden pro Tag, an fünf Tagen der Woche, kostet 600 US-Dollar. Das ist sehr viel Geld, das nicht einmal die besserverdienenden Eltern ohne weiteres zur Verfügung haben. Die Erwartung der Schüler an eine erfolgreiche Ausbildung ist von daher groß, und nach besten Kräften tun sie alles, um sich diesen Traum zu erfüllen. Nach der Ausbildung in Deutschland, Österreich oder der Schweiz wollen sie zurückkehren, um ihr Land wirtschaftlich voranzubringen. Heimat ist Heimat, bekomme ich als Antwort auf meine Frage, wo sie später leben möchten. Ich höre diese Einstellung immer wieder während meiner vielen Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen in der Mongolei.

      Wie

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