Spiritualität - ganz ohne Spiritualität. Anton Weiß

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Spiritualität - ganz ohne Spiritualität - Anton Weiß

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um es zu erleben, man braucht keine Kenntnis von diesen Zusammenhängen zu haben, um von ihnen betroffen zu sein.

      Ich erlebe das Ich als eine massive Gestalt, eine Mächtigkeit, die dermaßen rabiat an sich selbst festhält, dass sie durch nichts und niemanden davon abzubringen ist. Nur der Tod des Ichs kann aus dieser Ausweglosigkeit herausführen, und den führt kein Ich selbst herbei. Wäre das Ich in diesem Leben, durch Einwirkung der Eltern oder anderer Umweltfaktoren entstanden, müsste es erstens relativ leicht sein, den Ich-Zustand zu überwinden, und zweitens müsste durch eine günstige Erziehung nur wenig Ich aufgebaut worden sein. Was ich sehe ist, dass quer durch alle Milieus, quer durch fast alle Kulturen, quer durch den gesamten Lauf der menschlichen Geschichte der Mensch von seinem Ich beherrscht ist. Inzwischen hat man festgestellt, dass es sogar im Primatenbereich kriegerische Auseinandersetzungen gibt – im menschlichen Bereich eine klare Behauptung des Egos. Ich bin überzeugt, dass das, was sich im Menschen als Ich zeigt, im Leben insgesamt die Selbstbehauptung des Individuums darstellt, die seit Beginn des Lebens wirksam ist. Im Menschen wird die dem Individuum eigene Selbstbehauptungstendenz zur Ich-Behauptung.

      Das Ich entsteht unter allen Bedingungen, aber es ist nicht identisch mit dem Menschsein. Das Ich, durch das die Trennung in die Welt kommt, ist nicht primär, also nicht unabdingbar mit dem Menschsein verbunden; nur deshalb kann es überwunden werden. Aber es ist meiner Überzeugung nach nicht durch Erziehung bzw. durch die Gesellschaft bewirkt, sondern eine Grundgegebenheit des Menschseins.

      Mir leuchtet am meisten ein, dass das Ich die im Menschen zu Bewusstsein gekommene Selbstbehauptung in der Natur ist. Leben will überleben, und dazu haben sich Mechanismen im Laufe der Evolution herausgebildet, die das Überleben sichern. Und diese Sicherung und Erhaltung des Lebens beruht auf zwei fundamentalen Faktoren: der Sexualität und der Selbstbehauptung. Während aber Selbstbehauptung im Tierreich völlig problemlos zu sein scheint – der Löwe reißt die Gazelle sicher ohne schlechtes Gewissen – entsteht im Menschen das Bewusstsein, dass der andere auch ein Lebensrecht hat. Und damit gerät der Mensch in einen ganz großen Konflikt. Das ist ein Punkt, in dem ich das Vorwärtsdrängen der Entwicklung sehe, denn es ist ja nicht ein bewusstes Tun, das nun die Lebensberechtigung des anderen Menschen sieht; der Mensch hat ja größte Probleme damit, dem gerecht zu werden. Darin liegt ja das Problem, dass sich alles im Menschen dagegen wehrt, den anderen als gleichwertig anzusehen. Es steht sozusagen Natur gegen Natur.

      Der Prozess der Selbstwerdung ist deshalb so schwierig, weil es im Grunde ein Prozess gegen die Natur ist. Auf der einen Seite gibt es in der Natur die beharrende Tendenz, das Bewährte zu bewahren, und auf der anderen Seite enthält sie die Tendenz zum Neuen hin, eine über sich selbst hinaustreibende Kraft. Das von der Natur aus Gewordene wird von der Natur zerstört, damit etwas Neues entstehen kann. Beide Kräfte sind Inhalte des Unbewussten, und beides sind außerordentlich starke Kräfte, und genau aus diesem Grund hat der Mensch, der noch im Ich steht, aber die Tendenz spürt, über sich hinauswachsen zu sollen, aus dem Ich heraus keine Chance dazu. Er braucht eine Kraft, die jenseits seiner selbst liegt.

      Es ist die in der Entwicklung enthaltene Tendenz zu höherem Bewusstsein, wenn man so will, und sie besteht darin, dass nun ein Individuum nicht mehr nur sich selbst lebt, sondern gezwungen wird, auch das Lebensrecht anderen Lebens anzuerkennen.

      Ich würde den Vorgang der Ich-Entstehung aber nicht mit Schuld in Zusammenhang bringen. Es ist keine Frage von Schuld. Die Entstehung des Ichs ist ja keine Schöpfung des Menschen, sondern ein Schritt in der Evolution und damit wohl eine notwendige Durchgangsphase. Sie ist verknüpft mit einer ganz wichtigen Eigenschaft, die sich in der Evolution entwickelt hat: der Fähigkeit, durch Denken und Wollen sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen gestalten zu können. Damit kann der Mensch über die Dinge verfügen, und das ist nur möglich, indem er Distanz zu den Dingen, aber auch zur Natur, zu der er gehört und zu seinen Mitmenschen hat. Diese Distanz bedeutet Trennung, Trennung von der Natur, den anderen Menschen und von sich selbst. Es ist das, was Karl Marx als Entfremdung bezeichnet hat. Im Ich ist der Mensch von sich selbst und seiner Welt entfremdet. Das erlaubt ihm großartige Möglichkeiten der Weltbeherrschung, es ist aber erkauft durch die Trennung und damit durch Beziehungslosigkeit. Der Mensch im Ich lebt in einem Gefängnis, in einem abgeschlossenen Raum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ego-Tunnel wird das von der heutigen Gehirnforschung genannt (Metzinger).

      Man kann das Ich als Fehlentwicklung ansehen, aber vielleicht ist es gar keine Fehlentwicklung, sondern eine notwendige Phase, um zu einem Selbstbewusstsein zu gelangen. Es wäre die zweite Phase eines Bewusstseins, eben ein Ich-Bewusstsein, nachdem die erste Phase sicher schon im Tierreich – vielleicht schon im Pflanzenreich - gegeben ist. Und diese Phase muss dann transzendiert werden, man muss über das Ich hinausgelangen. Dann könnte man sagen, dass sich das Bewusstsein in einer dritten Phase jetzt ohne Vermittlung durch ein Ich sich seiner selbst bewusst wird. Vielleicht ist das das angestrebte Ziel des Unternehmens „Schöpfung“ überhaupt. Ein Leben aus dem transzendierten Ich wäre das Paradies auf Erden. Es würde der Zustand eintreten, den alle endzeitlichen Erwartungen zum Ausdruck bringen: ein neuer Himmel und eine neue Erde.

      Die Subjekt-Objekt-Spaltung

      Die Grundgegebenheit des Ich-Seins besteht in der Subjekt-Objekt-Spaltung. Das meint die Spaltung der einen Welt, zu der ich gehöre, von der ich ein Teil bin, in Ich und Welt, wobei das Ich dann der Welt gegenübertritt. Ich bin damit nicht mehr Teil innerhalb dieser Welt, sondern stehe der Welt gegenüber. Die Welt ist nun Objekt und ich bin das Subjekt. Jetzt habe ich eine Welt und bin nicht mehr Teil dieser Welt. Ich bin ein anderer. Und damit geht ein tiefer Riss durch die eine Welt, von der ich eigentlich ein Teil bin. Und ich habe nun nicht nur die Welt als Objekt, sondern sogar mich selbst. Ich kann mich selbst zum Objekt meines Nachdenkens machen. Damit bin ich Subjekt und Objekt zugleich, ich bin gespalten in Subjekt und Objekt. Damit ist der, der nachdenkt ein anderer als der, über den er nachdenkt. Die Kluft geht durch den Menschen selbst. Er ist von sich selbst abgespalten, getrennt. Er ist somit nicht nur von der Welt getrennt, sondern auch von sich selbst. Der Mensch ist sich selbst entfremdet, er ist sich fremd geworden und erlebt sich als getrenntes Wesen – getrennt von der Welt, der Natur, dem Mitmenschen und sich selbst. Die ursprüngliche Einheit mit der Welt und damit mit dem anderen Menschen und mit sich selbst ist verloren gegangen. Nun leidet der Mensch an dem Verlust der Einheit mit sich selbst, dem Verlust seiner Ganzheit.

      Der Verlust dieser Einheit mit sich selbst ist die tiefste Ursache für seine Unfähigkeit, ein erfülltes Leben zu führen. Es ist einzig und allein das verloren gegangene Einssein mit sich selbst, nach dem der Mensch auf der Suche ist, und dieses Einssein findet der Mensch durch nichts, was er sich aneignen könnte. Alles Suchen ist ja immer die Suche in anderem und damit in einem anderen als man selbst. Und dadurch verfehlt man gerade das, was einen allein befreien würde von der Suche: nämlich sich selbst. Da man es in einem oder etwas anderem sucht, kann man es nicht finden, denn finden könnte man nur, wenn man in sich selbst suchen würde. Und da ist der Mensch völlig hilflos und weiß gar nicht, wie er es anstellen sollte, sich selbst zu finden, eins mit sich zu werden. Er kann nicht begreifen, dass er dadurch nicht eins mit sich ist, weil er immer sucht, denn das, was er sucht, ist er selbst.

      Schon die Tatsache, dass er sich selbst sucht, ohne sich dessen bewusst zu sein, zeigt die tragische Spaltung: denn der, der sucht, ist ein anderer, als der, den er sucht. Wenn ich mich suche, wenn ich mit mir eins werden soll, wer ist dann ich und wer ist der, mit dem ich eins werden soll? Ist das der gleiche oder ist das ein anderer? Die Tragik besteht darin, dass der, der sucht, schon der ist, den er sucht, ohne es zu wissen.

      Die Spaltung, der Kern des Übels, ist im Denken begründet: Indem der Mensch über sich nachdenkt, besteht schon die Spaltung. Der, der nachdenkt, ist ein anderer als der, über den nachgedacht wird. Und damit ist die Urspaltung gegeben, die im Denken nicht überwunden werden kann. Die Überwindung der Spaltung ist keine Möglichkeit des Denkens, sondern nur des Lebens und sie setzt den Tod des

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