DIE EISERNE FERSE. Jack London

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DIE EISERNE FERSE - Jack London

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antwortete ich kurz. »Sehen Sie seinen linken Ärmel«, sagte Ernst höflich. Ich blickte hin und sah, dass der Ärmel leer war. »Blut von diesem Arm war es, das ich von Ihren Dachbalken tropfen hörte«, sagte Ernst mit immer gleich bleibender Höflichkeit. »Er verlor seinen Arm in den Sierra-Spinnereien, und wie ein niedergebrochenes Pferd warfen sie ihn zum Sterben auf die Landstraße. Unter sie verstehe ich den Generaldirektor und die Beamten, die von Ihnen und den anderen Aktionären für die Leitung der Spinnerei bezahlt werden. Es war ein Unfall. Er erlitt ihn bei dem Versuch, der Gesellschaft ein paar Dollar zu retten. Er geriet mit dem Arm zwischen die Zahnräder. Er hätte das Steinchen ruhig lassen können, das er zwischen den Zähnen sah. Es wäre nur eine Reihe von Stiften verbogen worden. Aber er griff nach dem Stein, und dabei wurde sein Arm gepackt und von den Fingerspitzen bis zur Schulter zerfleischt. Es war Nacht. Die Spinnerei machte Überstunden. Sie schütteten damals eine fette Dividende aus. Jackson hatte viele Stunden gearbeitet, seine Muskeln waren erlahmt, und so führten sie die Bewegung ein wenig langsam aus. Deshalb packte ihn die Maschine. Er hat eine Frau und drei Kinder.«

      »Und was tat die Gesellschaft für ihn?«, fragte ich darauf. »Nichts. Ach ja, doch, etwas taten sie. Sie führte den Prozess, den Jackson nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus auf Schadenersatz anstrengte, erfolgreich durch. Die Gesellschaft beschäftigt sehr tüchtige Rechtsanwälte, wissen Sie.«

      »Sie haben nicht alles erzählt«, sagte ich mit Überzeugung. »Oder Sie wissen nicht alles. Vielleicht war der Mann unverschämt.«

      »Unverschämt! Ha! Ha!« Sein Lachen war teuflisch. »Du lieber Gott, unverschämt! Mit seinem verstümmelten Arm! Trotz allem war er demütig und bescheiden und dachte gar nicht daran, unverschämt zu sein.«

      »Aber das Gericht«, drängte ich. »Der Prozess wäre doch nicht zu seinen Ungunsten entschieden worden, wenn nicht noch etwas gewesen wäre, das Sie nicht erwähnt haben.«' »Der erste Anwalt der Gesellschaft ist Ingram, ein scharfsinniger Jurist.« Ernst sah mich einen Augenblick gespannt an, dann fuhr er fort: »Ich will Ihnen etwas sagen, Fräulein Cunningham. Untersuchen Sie den Fall Jackson.«

      »Das hatte ich mir sowieso vorgenommen«, sagte ich kühl.

      »Schön«, meinte er freundlich. »Und ich will Ihnen sagen, wo Sie den Mann finden können. Aber ich zittere für Sie, wenn ich daran denke, was Sie durch Jacksons Arm erfahren werden.«

      Und so kam es, dass sowohl der Bischof wie ich auf den Vorschlag Ernsts eingingen. Die beiden entfernten sich und ließen mich allein mit dem schmerzlichen Gefühl eines Unrechts, das mir und meiner Klasse angetan war. Dieser Mann war ein wildes Tier. Ich hasste ihn und tröstete mich nur mit dem Gedanken, dass man eben von einem Angehörigen der arbeitenden Klasse kein anderes Benehmen erwarten konnte.

      (1) In jenen Tagen machte man einen scharfen Unterschied zwischen Eingeborenen und Eingewanderten.

      (2) Dieses Buch wurde in den dreihundert Jahren der Herrschaft der Eisernen Ferse immer wieder heimlich gedruckt. In der Nationalbibliothek von Ardis befinden sich eine ganze Reihe von Ausgaben verschiedener Verleger.

      (3) In jenen Tagen übten räuberische Individuen die Kontrolle über alle Transportmittel aus und erhoben vom Publikum eine Abgabe für deren Benutzung.

      (4) Diese Streitigkeiten waren in jenen irrationellen und anarchistischen Zeiten sehr häufig. Zuweilen weigerten die Arbeiter sich, zu arbeiten. Zuweilen weigerten die Kapitalisten sich, die Arbeiter arbeiten zu lassen. Bei der Heftigkeit und Verwirrung solcher Unstimmigkeiten wurde viel Eigentum zerstört und manches Leben vernichtet. Alles dies ist uns heute unverständlich - ebenso unverständlich wie eine andere Gewohnheit jener Zeit, nämlich die Gepflogenheit von Männern der niederen Klasse, die Einrichtung zu zertrümmern, wenn sie sich mit ihren Frauen zankten.

      (5) Proletariat: stammt ursprünglich von dem lateinischen proletarii, ein Name, der zur Zeit des Servius Tullius denen gegeben wurde, die für den Staat nur als Erzeuger von Nachkommenschaft (proles) Wert hatten; mit anderen Worten, sie kamen weder für Besitz und Stellung, noch für außergewöhnliche Befähigung in Betracht.

      (6) Von den Sozialisten bei der Wahl im Jahre 1906 der christlichen Zeitrechnung aufgestellter Kandidat für den Gouverneursposten von Kalifornien. Er war Engländer von Geburt, Verfasser vieler national-ökonomischer und philosophischer Bücher und einer der bedeutendsten Sozialistenführer seiner Zeit.

      (7) Es gibt kein schrecklicheres Blatt in der Geschichte als die Behandlung von Kindern und Frauen in den englischen Fabriken in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung. Aber manche der stolzesten Schicksale jener Tage erwuchsen aus diesen Industriehöllen.

      (8) Ein noch besseres Beispiel hätte Everhard vorbringen können, wenn er daran gedacht hätte, wie die Kirche vor ihrer Zeit für die Sklaverei eingetreten war. Im Jahre 1835 stellte die Versammlung der presbyterianischen Kirche fest: »Sklaverei ist sowohl im Alten wie im Neuen Testament anerkannt und von Gott nicht verboten.« Die Charlestoner Baptisten-Gesellschaft veröffentlichte im Jahre 1835 folgendes: »Das Recht des Herrn, über die Zeit seiner Sklaven zu verfügen, ist klar vom Schöpfer aller Dinge anerkannt, der unbedingt das Besitzrecht über jeden Gegenstand zu erteilen kann, wem ihm beliebt.« Reverend E.D. Simon, Doktor der Religionsgeschichte und Professor am Randolph-Macon Methodist-College in Virginia, schrieb: »Die Heilige Schrift bestätigt an vielen Stellen unwiderruflich das Recht auf Sklavenhaltung in Gemäßheit des allgemeinen Besitzrechtes. Das Recht, zu kaufen und zu verkaufen, ist klar bestätigt, ob wir nun die von Gott selbst vorgeschriebene Politik des jüdischen Staates oder die gleichartige Behandlung dieser Angelegenheit durch die Gesetze in allen Jahrhunderten, die Vorschriften des Neuen Testamentes oder unsere Moralgesetze befragen. Immer kommen wir zu dem Schluss, dass Sklaverei nicht unmoralisch ist. Wenn einmal feststeht, dass die ersten afrikanischen Sklaven gesetzmäßig in die Sklaverei gebracht worden sind, so folgt daraus unerbittlich das Recht, auch ihre Kinder in der Sklaverei zu behalten. Wir sehen also, dass die Sklaverei in Amerika zu Recht besteht.«

      Es ist durchaus nicht merkwürdig, dass wir dieselben Anschauungen etwa eine Generation später wieder von der Kirche vertreten sehen, und zwar zur Verteidigung des kapitalistischen Eigentums. Im Museum zu Asgard befindet sich ein Buch Henry van Dykes, Angewandte Essays. Das Buch erschien im Jahre 1905 der christlichen Zeitrechnung, und wir können daraus ersehen, dass van Dyke Geistlicher gewesen sein muss. Es ist ein gutes Beispiel für das, was Everhard bourgeoises Denken genannt haben würde. Man beachte die Ähnlichkeit zwischen den oben zitierten Äußerungen der Baptistengesellschaft von Charleston und dem folgenden, siebzig Jahre später von van Dyke geprägten Satze: »Die Bibel lehrt, dass die Welt Gott gehört. Er teilt jedermann nach Gutdünken in Überreinstimmung mit den allgemeinen Gesetzen aus.«

      Ich ließ mir nicht träumen, welch verhängnisvolle Rolle Jacksons Arm in meinem Leben spielen sollte. Jackson selbst machte, als ich ihn aufsuchte keinen besonders starken Eindruck auf mich. Ich fand ihn in einem wackligen, baufälligen (1) Hause, dicht an der Bucht, am Rande des Sumpfes. Rings um das Haus waren Tümpel stagnierenden Wassers, dessen Oberfläche von grünem fauligen Schlamm bedeckt war, und aus denen ein unerträglicher Gestank aufstieg.

      Ich fand Jackson so demütig und bescheiden, wie Ernst ihn geschildert hatte. Er war mit der Herstellung eines Rohrgeflechts beschäftigt und arbeitete stumpf weiter, während ich mit ihm sprach. Aber trotz seiner Demut und Bescheidenheit glaubte ich in ihm das erste Anzeichen einer keimenden Erbitterung zu entdecken, als er sagte:

      »Man hätte mich aber doch wenigstens als Wächter (2) einstellen sollen.«

      Ich bekam nur wenig aus ihm heraus. Er machte den Eindruck eines Stumpfsinnigen, und doch schien die Gewandtheit, mit der er mit seiner einen Hand arbeitete,

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