Menschen, Göttern gleich. H. G. Wells

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Menschen, Göttern gleich - H. G. Wells

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Die kleine Lücke – sie macht aus allem eine phantastische Wahnvorstellung!«

      Das Verständnis, das aus Urthreds Augen leuchtete, war sehr ermutigend.

      Mr. Barnstaple unterließ jeden Versuch, sich an die ganze Versammlung zu wenden, und sprach direkt zu Urthred.

      »Sie leben in Utopia mit einem Vorsprung von Hunderttausenden von Jahren. Wieso ist es möglich, daß Sie ein modernes Englisch sprechen – genau die gleiche Sprache wie wir? Ich frage Sie, wieso kommt das? Es ist unglaublich! Es ist ein Widerspruch. Es macht aus Ihnen einen Traum, und Sie sind doch kein Traum? Es macht mich schon – fast – verrückt!«

      Urthred lächelte freundlich. »Wir sprechen nicht Englisch.«

      Mr. Barnstaple fühlte den Boden unter seinen Füßen entgleiten.

      »Aber ich höre Sie doch Englisch sprechen!«

      »Trotzdem sprechen wir es nicht«, sagte Urthred.

      Sein Lächeln wurde noch breiter. »Wir sprechen – für gewöhnlich – überhaupt nicht.«

      Mr. Barnstaple, dessen Hirn den Dienst versagte, verharrte in einer Haltung, die achtungsvolle Aufmerksamkeit ausdrückte.

      »Vor Zeiten«, fuhr Urthred fort, »haben wir sicherlich Sprachen gesprochen, wir gaben Laute von uns, und wir hörten Laute. Man dachte, dann wählte man Worte, setzte sie zusammen und sprach sie aus. Der Zuhörer hörte, registrierte und übersetzte die Laute wieder in Gedanken. Dann begann man auf irgendeine Weise, die wir noch nicht genau verstehen, den Gedanken zu erfassen, noch bevor er in Worte gekleidet und durch Laute ausgedrückt war. Man begann mit dem Verstand zu hören, sobald der Sprecher seine Gedanken geordnet und ehe er sie bei sich selbst in Wortsymbole geformt hatte. Man wußte, was er sagen wollte, ehe er es sagte. Diese direkte Übertragung ist jetzt allgemein geworden. Man überzeugte sich, daß die meisten Leute mit einer kleinen Anstrengung sich auf diese Weise bis zu einem gewissen Grade miteinander verständigen konnten, und diese neue Art der gegenseitigen Verständigung wurde systematisch ausgebaut.

      Das tun wir nun in dieser Welt gewohnheitsmäßig. Wir denken direkt miteinander. Wir beschließen, den Gedanken zu entsenden, und schon ist er entsandt – vorausgesetzt, daß die Entfernung nicht zu groß ist. Wir verwenden Laute in dieser Welt jetzt nur noch für Dichtungen und zum Vergnügen oder in Augenblicken der Erregung, auch um auf eine weite Entfernung zu rufen oder Tieren gegenüber, aber nie mehr für die Übermittlung von Gedanken von einem menschlichen Geist zu einem verwandten andern. Wenn ich zu Ihnen denke, so wird der Gedanke von Ihrem Kopf reflektiert, sofern er entsprechende Gedanken und passende Worte in Ihrem Geiste vorfindet. Mein Gedanke kleidet sich in Ihrem Geist in Worte, die Sie zu hören glauben – und natürlicherweise in Ihrer eigenen Sprache und in dem Ihnen geläufigen Satzbau. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Mitglieder Ihrer Gesellschaft hören, was ich Ihnen sage, jeder mit den ihm eigentümlichen Verschiedenheiten des Wortschatzes und Satzbaues.«

      Mr. Barnstaple hatte diese Rede mit heftigem und verständnisvollem Nicken begleitet und war manchmal nahe daran, zu unterbrechen. Jetzt platzte er heraus: »Und daher kommt es, daß wir – zum Beispiel als Mr. Serpentin seine wundervolle Erklärung abgab – gerade dann gar nichts hörten, wenn Sie sich zu Gedanken aufschwangen, von denen wir in unserem Verstand keine blasse Ahnung haben.«

      »Gibt es solche Lücken?« fragte Urthred.

      »Viele, fürchte ich – für uns alle!« sagte Mr. Burleigh.

      »Es ist so, als ob man von Zeit zu Zeit taub wäre«, sagte Lady Stella, »und diese Pausen dauern lange.«

      »Und daher kommt es, daß wir uns nicht darüber klar sind, ob Sie Urthred oder Adam heißen und weshalb sich in meinem Kopf die Namen Ardenn, Arbor und Silvia durcheinander mengten.«

      »Ich hoffe, daß Sie sich nun geistig wohler fühlen«, sagte Urthred.

      »Oh, völlig«, sagte Mr. Barnstaple, »völlig. Und wenn man es recht überlegt, so ist diese Methode der Verständigung für uns wirklich sehr bequem. Denn andernfalls wüßte ich nicht, wie wir es hätten vermeiden können, uns wochenlang mit der Sprachlehre zu quälen, mit den Anfangsgründen unserer beiderseitigen Grammatik, Logik, Schriftzeichen und so weiter, meist langweiliges Zeug, ehe wir uns annähernd so hätten verstehen können wie jetzt.«

      »Da haben Sie recht, da haben Sie ganz recht«, sagte Mr. Burleigh, der sich freundlich zu Mr. Barnstaple umdrehte. »Ich hätte es niemals bemerkt, wenn Sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätten. Es ist ganz außergewöhnlich, ich hätte nichts von diesem – diesem Unterschied bemerkt. Ich muß gestehen, ich war mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt. Ich setzte voraus, daß sie Englisch sprachen, ich hielt das für ganz selbstverständlich!«

      16

      Mr. Barnstaple erschien, was er in so wunderbarer Weise erfahren hatte, so vollkommen in sich abgeschlossen, daß außer der absoluten Glaubwürdigkeit dieses Erlebnisses selbst nichts mehr übrig blieb, worüber man sich wundern mußte. Er saß in diesem schönen kleinen Gebäude inmitten einer merkwürdigen Mischung von englischer Sonntagskleidung und der mehr als olympischen Nacktheit, die ihn schon längst nicht mehr befremdete, und blickte hinaus auf Traumlandblumen und den sonnenbeschienenen See; er lauschte und beteiligte sich gelegentlich an der langen ungezwungenen Unterhaltung, die nun folgte. Es entspann sich eine Diskussion, die äußerst seltsame und grundlegende Verschiedenheiten der moralischen und sozialen Ansichten ans Licht brachte. Alles hatte nun so greifbare Gestalt angenommen, daß Barnstaple es sich als ganz selbstverständlich dachte, er werde bald nach Hause gehen, um darüber im Liberal zu schreiben und seiner Frau über das Benehmen und die Kleidung in dieser bisher unentdeckten Welt zu berichten, soweit ihm dies zur Zeit ratsam erscheinen würde. Für die dazwischenliegende Entfernung hatte er schon jeden Begriff verloren. Sydenham schien ihm gerade nur um die Ecke zu liegen.

      Jetzt bereiteten zwei hübsche junge Mädchen Tee auf einem fahrbaren Tischchen zwischen den Rhododendren und reichten ihn herum. Tee! Wir hätten ihn als chinesischen Tee bezeichnet, er war sehr wohlschmeckend und wurde in kleinen henkellosen Schalen nach chinesischer Art serviert, ja es war wirklicher und sehr erfrischender Tee.

      Die Neugierde der Erdlinge drehte sich zunächst um die Regierungsform; das war in Gegenwart zweier solcher Staatsmänner, wie Mr. Burleigh und Mr. Catskill, vielleicht selbstverständlich.

      »Was für eine Regierungsform haben Sie«, fragte Mr. Burleigh, »Monarchie, Autokratie oder reine Demokratie? Trennen Sie die Exekutive von der Legislative? Und gibt es eine Zentralregierung für Ihren ganzen Planeten, oder gibt es verschiedene Regierungszentren?«

      Mit einiger Mühe wurde es Mr. Burleigh und seinen Gefährten klargemacht, daß es in Utopia überhaupt keine Zentralregierung gebe.

      Er zeigte dafür kein Verständnis. »Aber«, sagte Mr. Burleigh, »sicherlich gibt es doch irgend jemanden oder irgend etwas, einen Rat, ein Büro oder sonst etwas, irgendeine Stelle, der die letzte Entscheidung vorbehalten ist, wenn es sich um ein gemeinschaftliches Vorgehen im Interesse des Gemeinwohles handelt. Meiner Meinung nach muß es irgendeine letzte Instanz und ein Organ der Regierungsgewalt geben …«

      Nein, die Utopen erklärten, daß es in ihrer Welt keine derartige Konzentration der Macht gebe. In der Vergangenheit habe es eine gegeben, aber schon seit langem habe sie sich im großen Körper der Allgemeinheit aufgelöst. Entscheidung über irgendwelche besondere Angelegenheiten würden von jenen getroffen, die am meisten von der Sache verstünden.

      »Aber angenommen, es wäre eine

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