Menschen, Göttern gleich. H. G. Wells
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Читать онлайн книгу Menschen, Göttern gleich - H. G. Wells страница 13
»Aber angenommen, jemand würde sich weigern, es zu befolgen?«
»Wir würden nachforschen, warum der oder die Betreffende nicht unserer Meinung ist. Er könnte irgendeinen besonderen Grund dafür haben.«
»Aber mangels eines solchen?«
»Wir würden ihn auf seinen geistigen und sittlichen Gesundheitszustand hin untersuchen.«
»Der Irrenarzt tritt an die Stelle des Polizisten?« sagte Mr. Burleigh.
»Ich zöge den Polizeimann vor«, sagte Mr. Rupert Catskill.
»Das würdest du, Rupert«, sagte Mr. Burleigh, als ob einer sagte ›jetzt habe ich dich ertappt!‹
»Dann wollen Sie also sagen«, fuhr er fort, und wandte sich mit einem besonders schlauen Gesichtsausdruck an die Utopen, »daß alle Ihre Angelegenheiten von besonderen Körperschaften oder Organisationen – ich weiß wirklich nicht recht, wie ich sie nennen soll – durchgeführt werden, ohne daß irgendeine Koordination ihrer Tätigkeit stattfindet?«
»Die Aktivitäten unserer Welt«, sagte Urthred, »sind alle so aufeinander abgestimmt, daß sie die allgemeine Freiheit sichern. Wir besitzen eine Anzahl von Intellektuellen, die sich mit der Psychologie der Menschheit und der Wechselwirkung kollektiver Funktionen befassen.«
»Gut, stellt nicht diese Gruppe von Intellektuellen eine herrschende Klasse dar?« fragte Mr. Burleigh.
»Nicht in dem Sinne, daß sie irgendeinen eigenmächtigen Willen ausüben«, sagte Urthred. »Sie befassen sich mit den allgemeinen Verhältnissen, das ist alles. Aber sie nehmen keinen höheren Rang ein, sie haben deswegen keine größeren Vorrechte, als sie ein Philosoph einem gelehrten Spezialisten gegenüber hat.«
»Das nenne ich eine Republik!« sagte Mr. Burleigh. »Aber wie sie funktioniert und wie es dazu kam, kann ich mir nicht vorstellen. Ihr Staat ist wahrscheinlich in hohem Maße sozialistisch?«
»Ihr lebt noch immer in einer Welt, in der ungefähr alles Privateigentum ist, mit Ausnahme der Luft, der Landstraßen, der Meere und der Wildnis?«
»Jawohl«, sagte Mr. Catskill, »Eigentum – und umkämpftes!«
»Wir sind über diese Stufe hinaus. Wir haben gefunden, daß Privateigentum, außer in ganz persönlichen Dingen, für jeden letzten Endes eine Last war. Wir sind davon losgekommen. Ein Künstler oder ein Gelehrter verfügt über das ganze Material, das er benötigt, wir haben alle unsere Werkzeuge und Vorrichtungen und haben unsere eigenen Räumlichkeiten und Plätze, aber für Handel und Spekulation gibt es kein Eigentumsrecht. Dieses streitbare, unruhebringende Eigentum sind wir vollständig losgeworden. Aber wie wir es loswurden, das ist eine lange Geschichte. Es war keine Sache von wenigen Jahren. Die Übertreibung des Privateigentums war ein durchaus natürliches und notwendiges Stadium der menschlichen Entwicklung. Sie führte schließlich zu ungeheuerlichen Ergebnissen, aber nur durch diese ungeheuerlichen und katastrophalen Folgen erkannten die Menschen die notwendigen und natürlichen Grenzen des Privateigentums.«
Mr. Burleigh hatte eine Stellung eingenommen, wie er sie wahrscheinlich gewöhnt war. Er saß sehr tief im Sessel, die langen Beine übereinandergekreuzt und ausgestreckt, den Daumen und die Finger der einen Hand mit peinlicher Genauigkeit gegen die der anderen gelegt.
»Ich muß gestehen«, sagte er, »daß mich die besondere Form der Anarchie, die hier zu herrschen scheint, außerordentlich interessiert. Wenn ich Sie nicht ganz mißverstanden habe, so geht jeder als Diener des Staates seinen eigenen Geschäften nach. Ich nehme an, daß eine große Anzahl Leute – Sie müssen mich verbessern, wenn ich etwas Unrichtiges sage – mit der Erzeugung, der Verteilung und der Zubereitung von Nahrungsmitteln beschäftigt ist; diese Leute erforschen, vermute ich, die Bedürfnisse der Welt, sie befriedigen sie und sie haben ihre eigenen Regeln, nach denen sie handeln. Sie stellen Forschungen an, sie machen Experimente. Sie sind niemandem verpflichtet, niemand zwingt sie, stört oder hindert sie. (›Man spricht mit ihnen darüber‹, sagte Urthred mit feinem Lächeln.)
Und wieder andere erzeugen, bearbeiten und studieren Metalle für die ganze Bevölkerung und haben gleichfalls ihre eigenen Regeln. Andere wieder sorgen für die Wohnlichkeit Ihrer Welt, planen und errichten diese reizenden Wohnstätten, bestimmen, wer sie benutzen soll und wie sie benützt werden sollen. Andere widmen sich der reinen Wissenschaft. Andere experimentieren im Bereich der Empfindung und Vorstellungskraft und sind Künstler. Andere wieder lehren.«
»Diese sind sehr wichtig«, sagte Lychnis.
»Und sie alle tun es in Harmonie – und jeder an seinem Platz, ohne zentrale Gesetzgebung oder Exekutive. Ich will zugeben, daß mir dies alles bewundernswert erscheint – aber unmöglich. Nichts dergleichen wurde bis jetzt in der Welt, aus der wir kommen, auch nur vorgeschlagen.«
»Etwas Ähnliches wurde vor langer Zeit von den Gilden-Sozialisten vorgeschlagen«, sagte Mr. Barnstaple.
»Ach«, sagte Mr. Burleigh, »ich weiß sehr wenig über die Gilden-Sozialisten; wer war das? Erzählen Sie.«
Mr. Barnstaple lehnte dieses Ansinnen stillschweigend ab.
»Die Idee ist unseren jüngeren Leuten ziemlich gut bekannt«, sagte er. »Laski nennt es den pluralistischen Staat zum Unterschied von dem monistischen, in welchem die Herrschergewalt an einer Stelle konzentriert ist. Sogar die Chinesen kennen das System. Ein Pekinger Professor, S. C. Chang, hat eine Broschüre ›Professionalismus‹ geschrieben, ich habe sie erst vor einigen Wochen gelesen. Er sandte sie der Redaktion des Liberal. Er betont darin, wie unerwünscht und unnötig es für China sei, eine Phase demokratischer Politik nach westlichem Vorbild durchzumachen. Er wünscht, daß China geradewegs zu einer gleichberechtigten Unabhängigkeit der Beamtenklassen, der Mandarine, Industriellen, landwirtschaftlichen Arbeiter und so weiter gelange, so wie wir sie hier vorfinden. Allerdings erfordert dies natürlich eine Umwälzung in der Erziehung. Ganz entschieden liegt der Keim dessen, was Sie hier Anarchie nennen, gleichfalls in der Luft, aus der wir kommen.«
»Was Sie nicht sagen«, sagte Mr. Burleigh, verständiger und aufmerksamer dreinblickend als je, »verhält sich das wirklich so? Ich hatte keine Ahnung von alledem.«
17
Die Unterhaltung wurde in zwangloser Form fortgesetzt, und doch war der Gedankenaustausch schnell und wirkungsvoll. Der Umriß der Geschichte Utopias vom letzten Zeitalter der Verwirrung an prägte sich Mr. Barnstaple, wie es ihm schien, sehr bald ein.
Je mehr er über dieses Zeitalter der Verwirrung erfuhr, desto mehr schien es ihm der gegenwärtigen Zeit auf Erden ähnlich zu sein. In jenen Tagen hätten die Utopen auch noch Kleidung getragen und ganz nach irdischer Art in Städten gelebt. Und nicht so sehr durch einen wohldurchdachten Plan als durch ein glückliches Zusammentreffen von Zufällen waren ihnen etliche Jahrhunderte günstiger Verhältnisse und ungestörter Entwicklung beschert worden. Die klimatischen Verhältnisse und glückliche politische Umstände hatten sie begünstigt, nachdem sie eine lange Periode von Hungersnöten, bösen Seuchen und zerstörenden Kriegen durchgemacht hatten. Zum erstenmal war es den Utopen möglich gewesen, den ganzen Planeten, den sie bewohnten, zu erforschen, und diese Forschungen brachten große Flächen jungfräulichen Landes unter die Axt, den Spaten und den Pflug. Echter Wohlstand, Muße und Freiheit wuchsen in ungeheurem Ausmaß. Viele tausend Menschen wurden aus dem alltäglichen Elend menschlichen Lebens in eine Lage emporgehoben, in der sie, wenn es ihnen beliebte, in noch nie dagewesener Freiheit denken