Weihnacht von Karl May. Karl May
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bald bemerken, daß diese Erwähnung einen ganz andern und zwar bessern Zweck verfolgt.
Einstweilen sei nur gesagt, daß die Worte »Ich verkündige Euch große Freude« mir damals
auch in ganz besonderer Beziehung zu einer wahren Weihnachtsbotschaft wurden.
Ich, der ärmste unter den Schülern meiner Klasse, liebte die Musik glühend und nahm außer
dem gewöhnlichen Unterrichte noch Privatstunden in der Harmonielehre u.s.w., was mich auf
trockenes Brot setzte, denn ich ernährte mich durch Unterrichtgeben à Stunde 50 Pfennige
und mußte also die Stunde Harmonielehre zu einem Thaler mit sechs Stunden meiner
Privatzeit bezahlen. Das that ich aber gern, und der Hunger von damals hat mir bis heute noch
nichts geschadet.
In der Theorie – nicht etwa praktischen Komposition – bei der Motette angelangt, setzte ich
mich eines Tages mit der nur durch meine Jugend zu entschuldigenden Idee hin, über das
Lieblingsthema »Ich verkündige Euch große Freude« eine Weihnachtsmotette zu
komponieren. Wie gedacht, so gethan! Das opus operatum sollte freilich tiefes Geheimnis
bleiben, war aber schon bald nach seiner Vollendung aus meinem Kasten verschwunden.
Später erfuhr ich, daß ein mir übelwollender Mitschüler es mir wegstibitzt und, um mich zu
blamieren, es meinem Lehrer, einem alten, braven Kantor, durch die Post zugeschickt hatte.
Ich suchte lange nach dem verlorenen Heiligtume und gab es endlich auf, es jemals
wiederzufinden.
Wie nun selten ein Unglück allein kommt – und das eigenmächtige Überschreiten der einem
Schüler gezogenen geistigen Grenzen kann leicht zum Unglück für ihn werden –, kam mir
grad zu jener Zeit ein Unterhaltungsblatt zu Gesicht, in welchem eine Konkurrenz, ein
Weihnachtsgedicht betreffend, mit drei Preisen zu 30, 20 und zehn Thalern ausgeschrieben
wurde. Mein Lieblingsthema, meine Armut und wer weiß was sonst noch für gute oder nicht
gute Gründe, »drückten mir«, wie berufene Dichter zu sagen pflegen, »Die Feder in die
Hand«; ich setzte mich abermals hin und brachte ein Gedicht von 32, schreibe und sage mit
Worten: zweiunddreißig vierzeiligen Strophen zu Papier. Es ist jedermann, besonders aber
jedem Redakteur bekannt, daß ein Gedicht, je länger es ist, desto leichter in den Papierkorb
wandert, und auch ich wußte wenigstens, daß der Wert eines Poems nicht mit seiner Länge zu
wachsen pflegt; aber nach der Disposition, die ihm zu Grunde lag, hatte es eben nicht kürzer
werden können; im Gegenteile, wenn ich alle Gedanken, die mir gekommen waren,
niedergeschrieben hätte, wären es wohl tausend Zeilen geworden. Ich fertigte also das
verlangte Motto an, steckte dieses mit dem Gedichte in ein Couvert für 3 Pfennige, siegelte es
mit für 5 Pfennige Rotlack zu, klebte mein letztes Geld in Gestalt von Briefmarken in die
Ecke rechts über der Adresse der Redaktion und trug den Brief in höchst feierlicher
Stimmung bis zur übernächsten Straße, wo der Briefkasten hing. Als er mit hohlem Geräusch
hineingefallen war, sah ich den Kasten noch lange an. Er kam mir jetzt ganz anders vor, als er
früher ausgesehen hatte. Das war aber auch sehr leicht zu erklären, denn zweiunddreißig
Strophen auf einmal zu verschlingen, das hatte wohl noch kein vernünftiger Mensch von ihm
verlangt.
Aber auch mit mir ging eine Veränderung vor. Wer mich beobachtete, der mußte unbedingt
bemerken, daß ich ein schlechtes Gewissen hatte. Meine Haltung kam mir unmännlich und
mein Gang schlottrig vor; die Augen verloren ihre bisher nach vorn gerichtete Direktion und
begannen, sich vorzugsweise und verstohlen bald nach rechts und bald nach links zu richten,
ob mir die zweiunddreißig Strophen vielleicht anzusehen seien. Kein Brot, selbst das ganz
trockene, wollte mir mehr schmecken; der Schlaf streikte, und wenn er seine Pflicht einmal
that, so träumte ich von allerlei Ungeheuerlichkeiten, z.B. von einem großen Briefkasten,
welcher in Gestalt einer blauen Riesenkröte auf mein Bett gekrochen kam und mich so lange
drückte, bis ich mit einem Schrei erwachte.
Meine Arbeiten fertigte ich mit derselben Gewissenhaftigkeit wie vorher, aber sie wurden mir
schwerer als früher; meine roten Wangen wurden blaß; ich magerte ab und wurde wortkarg
wie eine Stimmgabel, die auch nur dann erklingt, wenn man ihr einen Stoß versetzt. Es war
eine schwere, eine schlimme Zeit! Und sie dauerte übermäßig lang. Ende Juli hatte ich dem
Briefkasten mein Schicksal vorzeitig anvertraut, denn die »Galgenfrist« ging erst am ersten
Oktober zu Ende, und am ersten November sollte die Entscheidung fallen. Wenn ich doch
meine »Zweiunddreißig« wieder hätte; ich wollte nicht nur auf jeden, selbst den dritten Preis
verzichten, sondern das heilige Versprechen ablegen, nie wieder einen Reim zu schreiben!
Das war viel, sehr viel gesagt, weil Reime mir nicht die geringste Schwierigkeit bereiten und
mir auch der dritte Preis, zehn harte, blanke Thaler, als ein kleiner Schatz erschienen wäre.
Daß mir nichts beschieden sei, also eines negativen Erfolges, war ich vollständig überzeugt,
aber diese Angelegenheit konnte auch eine positive und zwar sehr unangenehme Wirkung für
mich haben. Ich konnte nämlich den Gedanken nicht los werden, daß die »löbliche«
Redaktion mein Gedicht nicht an mich zurücksenden, sondern es mit einigen besondern
Randbemerkungen unserem strengen »Alten« zur Nachachtung zustellen werde. Wer
Gymnasiast entweder war oder noch ist, der weiß, wen ich mit diesem »Alten« meine, und
wird mein heimliches