Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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immer wohlgewollt und manche Härten

       meiner Lage zu mildern gesucht; er ließ mich sogar seinem Sohne wöchentlich zwei Stunden

       Nachhilfsunterricht erteilen, wofür ich Sonnabends in der Küche Reis mit Rindfleisch bekam

       und dann als Nachgenuß der Lieblingskatze seiner Frau den Rücken krabbeln durfte; aber

       falls die »Löbliche« meine Befürchtung zur Wahrheit werden ließ, so war für nichts mehr,

       weder für den Reis noch für die Katze einzustehen!

       So also türmten sich die Wetterwolken immer schwärzer und drohender über mir zusammen,

       und als der erste November kam, war er, wie ich heut noch weiß, ein zwar kalter aber

       sonniger Herbsttag, in meinem Innern aber schneite es schwere, große Flocken, nicht hellen

       Schnee, sondern es war ein ganz anderer und viel dunklerer Stoff. Nun konnte ich die Tage,

       nein, die Stunden zählen; sie wurden mir zu Ewigkeiten; aber irdische Ewigkeiten gehen

       vorüber, diese also auch. Und nun kommt es – – – es ist da; das fürchterliche Verhängnis

       nämlich!

       Es war am sechsten November, nach der letzten Vormittagsstunde, als ich zum »Alten«

       gerufen wurde. Zwei Treppen hinauf, jede zwanzig Stufen, auf jede zwanzig Schläge meines

       Herzens, macht in Summa achthundert; weniger sind es wahrscheinlich nicht gewesen. Ich

       klopfte an, trat ein und – – sah nichts, weil meine Augen nebelten. Es vergingen einige

       Augenblicke; der Nebel teilte sich, und ich sah den Gewaltigen mit Augen, als ob er mich

       durchbohren wolle, vor mir stehen.

       »May!« erklang es in seinem tiefsten Baß.

       Ich verbeugte mich. Was ich für ein Gesicht gemacht habe, das weiß ich nicht, denn nur er hat

       es gesehen und mir nichts darüber angedeutet.

       »May!!«

       Ich verbeugte mich wieder.

       »May!!!«

       Dritte Verbeugung; aber nun war ich entschlossen, mich nicht mehr zu bücken.

       »Sie – – sind – – ja – – ein – – ganz – –«

       Ich sah ihn so scharf an, daß er innehielt; beleidigen wollte ich mich auf keinen Fall lassen.

       Da lachte er und fuhr in einem ganz andern Tone fort:

       »Geht mich eigentlich nichts an, ganz und gar nichts; ist nur Ihre Privatsache, wenn Sie sich

       mit Blamagen herumriskieren. Warum auch nicht? Sie sprechen ja stundenlang in

       Knüppelversen, und Ihr Deutsch – – hm! Aber Sie hätten es mir doch wenigstens vorher zur

       Durchsicht geben können!«

       »Das Gedicht?« fragte ich.

       »Natürlich! Ich hätte die Fehler angestrichen, die noch drinstecken und von dem Redakteur

       gar nicht bemerkt worden sind. So ein Mensch weiß ja gar nicht, was zu einem guten Gedicht

       gehört; woher sollte er es auch wissen?! Kuh – Muskate – –!«

       »Es ist also zurückgeschickt worden?«

       »Ja, im Probedruck, so was man Korrektur oder Revision nennt. Dabei ein Brief, nicht an Sie,

       sondern an mich. Sie bekommen ihn natürlich nicht zu lesen – – fällt mir gar nicht ein! Ich

       werde antworten, daß zwar Ihr Name, aber sonst weiter gar nichts unter das Gedicht gesetzt

       werden darf; Sie verfallen sonst dem Tintenteufel, der der schlimmste von allen Teufeln ist.

       Haben mehr zu thun, als Gedichte zu machen! Junges Bürschchen!«

       Ich holte tief, tief Atem. Also meine Zweiunddreißig waren angenommen worden! Dritter

       Preis zehn Thaler – – –! Mir wollte es wieder vor den Augen nebeln! Da fuhr er fort:

       »Was ich sagen wollte: Werde Ihnen die Nachhilfsstunden von jetzt an bar bezahlen, zweimal

       fünf, also zehn Groschen. Den Sonnabendstisch behalten Sie trotzdem. Werde Sie wegen

       Ihrer Kühnheit und dem Gedichte später noch extra vornehmen; habe jetzt keine Zeit; muß zu

       Tische gehen. Hier ist das Geld. Nun gehen Sie!«

       Er gab mir ein Couvert in die Hand. Ich bedankte mich mit vor Aufregung heiserer Stimme

       und schoß zur Thür hinaus, nachdem ich eine ganz besonders tiefe Verbeugung gemacht

       hatte, der ich doch vorhin fest entschlossen gewesen war, keine mehr zu machen.

       Wie ich die Treppe hinunter und dann in meine »Bude« gekommen bin, das weiß ich selbst

       heut noch nicht. Ich öffnete das Couvert. Was war darin? Ein kurzes Schreiben der Redaktion

       – – drei Zehnthalernoten! Die schreckliche, große, blaue Kröte hatte, wie jede Kröte im

       Märchen, Geld für mich bedeutet – – nicht den dritten, sondern den ersten Preis.

       Was ich that, als ich wieder ruhig geworden war? Die Antwort ist nicht nötig! Ich habe weder

       in guten noch in schlimmen Lagen jemals vergessen, daß das Gebet eine heilige Pflicht ist

       und Erleichterung bringt.

       Und wie es – wenigstens dem Sprichworte nach – mit dem Unglücke ist, so ist's auch mit dem

       Glücke; es kommt niemals allein. Als ich am Nachmittag zum Unterricht bei meinem alten

       Kantor erschien, zeigte er sich außerordentlich aufgeräumt. Er war zwar stets ein lieber, alter,

       munterer Herr, heut aber zeigte er sich besonders heiter und gesprächig und ließ einige

       Andeutungen über »gute Arbeit« und »Buchhändlergeld« fallen, so daß ich mir im stillen

       sagte, daß er mit dem »Alten« über meinen Glücksfall gesprochen haben müsse. Als ich nach

       der Stunde, wie ich gewöhnlich that, denn ich borgte nie, den Thaler auf die gewohnte Stelle

       legte, sagte er:

       »Ist nicht nötig, lieber May! Sie können Ihren sauer verdienten Thaler behalten.«

       »Dieser hier ist nicht sauer verdient, Herr Kantor.«

      

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