Eine Idee macht noch keinen Roman - Wie entwickle ich eine Geschichte?. Dennis Blesinger
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Ganz ehrlich: Wenn ich als Leser ein Buch in die Hand nehme, will ich keine Alltagsgeschichten lesen, die mich an mein eigenes Leben erinnern. Das kriege ich jeden Tag mit, ohne dafür noch extra Geld auszugeben oder mehrere Stunden meiner Zeit zu investieren. Ich will etwas Außergewöhnliches lesen und dabei ist es erst einmal egal, ob es außergewöhnlich positiv im Sinne von Komödie oder Romanze, oder außergewöhnlich negativ im Sinne von Drama oder Tragödie ist. Das 'Normale' erlebe ich jeden Tag zur Genüge. Das muss ich mir nicht auch noch in Büchern antun. Dasselbe gilt für das Kino. Wenn ich da etwas sehe, das, genau wie mein Privatleben, dann doch eher im durchschnittlichen Mittelfeld herumdümpelt, frage ich mich, warum ich mir dafür zwei Stunden den Hintern platt sitzen und eine Menge Geld ausgeben soll. Da kann ich genauso gut mit Freunden essen gehen. Das kostet ungefähr genauso viel, ist genauso normal, macht aber mehr Spaß.
Jetzt gibt es Menschen, die sagen: 'Wieso Tragödie? Wieso negativ? Ich will mich doch nicht vorsätzlich deprimieren, wenn ich ein Buch lese.'
Es folgt eine kleine Liste aus der Rubrik 'Drama & Tragödie':
- Das Leben ist schön
- Das Tagebuch der Anne Frank
- Million Dollar Baby
- Vom Winde verweht
- Hamlet
Den Stil, die Art und den Inhalt betreffend könnten diese Bücher, Filme und Theaterstücke nicht unterschiedlicher sein. Allerdings sind es alles nicht wirklich Bücher und Filme (und: Ja. Vom Winde verweht war zuerst ein Buch), die unter die Kategorie 'gute Laune' fallen. Aus sehr unterschiedlichen Gründen sind alle dennoch sehr bekannt und allen diesen Werken ist etwas gemein: Es handelt sich bei der Schilderung der Ereignisse immer um die mit Abstand wichtigste Phase im Leben der jeweiligen Hauptperson.
Also: Wenn es für die Hauptperson nicht weltbewegend ist, warum dann aufschreiben?
Um die ganze Sache mal ein wenig aufzulockern, hier mal ein Beispiel aus der neueren Geschichte und eher aus Popkultur und unter der Kategorie 'Actionthriller' zu verorten: Die Bourne-Reihe.
Für die, die es nicht wissen: Die ersten beiden Filme 'Die Bourne Identität' und 'Die Bourne Verschwörung' sind entstanden nach Romanen von Robert Ludlum. Der dritte Teil ist so frei, dass man nicht mehr von einer Verfilmung sprechen kann, vom vierten Teil wollen wir gar nicht erst reden, auch wenn der Film gut ist.
Die Geschichte erzählt, wie ein Profikiller im Dienste eines hoch illegalen CIA-Programmes aufgrund von traumatischen Ereignissen einen kompletten Gedächtnisverlust erleidet und nach und nach realisiert, was er im Namen seines Landes für Verbrechen begangen hat. Als ihm klar wird, dass er nicht mehr zurück kann, beginnt ein Katz und Mausspiel, das Jason Bourne schließlich dazu zwingt, sich, obwohl er gerne ein ruhiges Leben in Indien führen würde, intensiv mit seiner Vergangenheit zu beschäftigen. Sehr zum Leidwesen aller Beteiligten.
Warum wird dieser Teil des Lebens von Jason Bourne erzählt?
Ganz einfach: Vorher und nachher sind völlig uninteressant. Wichtig und interessant am Leben des Charakters Jason Bourne ist für den Leser genau die Zeitspanne, die dargestellt wird.
Vorher mag auch interessant sein, aber jemandem dabei zuzugucken, wie sein Charakter gebrochen wird – und das über einen Zeitraum von mehreren Wochen hinweg –, um dann als perfekte Tötungsmaschine zu funktionieren, ist jetzt nicht wirklich leicht an den Mann zu bringen, weil es schnell langweilig wird.
Vom Anfang des ersten Buches bis zum Ende des dritten Filmes geht es darum, wie Jason Bourne langsam begreift, was mit ihm angestellt worden ist, was er selbst angestellt hat, zu dem Schluss kommt, dass er ein Monster ist und diesen Umstand nun zu berichtigen gedenkt, soweit das überhaupt noch möglich ist.
In diesem Zeitraum geht es zur Sache. Da finden Ereignisse statt, die sein Leben auf den Kopf stellen und da kriegt der Leser etwas geboten, das außergewöhnlich ist. Er wird gejagt, er muss sich seiner Haut wehren, er muss, um zu überleben, Gegner töten, auch wenn er das eigentlich nicht will, er hat Selbstzweifel, die ihn an Selbstmord denken lassen usw.
Dass er es nach der ganzen Geschichte vielleicht endlich schafft, ein ruhiges Leben in Timbuktu oder Bad Oldesloe zu führen, ist eher uninteressant. Das ist am Ende eine schöne Sache für den Leser, wird aber eher am Rande zur Kenntnis genommen.
James Bond ausgiebig dabei zu beobachten, wie er im Büro sitzt und seinen Papierkram erledigt (was er mit Sicherheit auch macht), würde auch niemandem einfallen. Mr. Flemming hat sowas entsprechend auch nie aufgeschrieben und auf der Leinwand sieht man sowas auch nicht.
Selbiges gilt für Harry Potter. Was der Kerl in seinen Sommerferien anstellt, interessiert keinen Menschen. Diese Alltagsgeschichten wurden von Ms Rowling bewusst nicht erzählt, weil sie nicht außergewöhnlich sind. Nur die Teile, in denen es ordentlich kracht, wurden prosaisch festgehalten.
Natürlich braucht man einen gewissen Vor- und Nachlauf, was dieses weltbewegende Ereignis angeht, damit es nicht aus dem Zusammenhang heraus gerissen wirkt und man die Geschichte nicht völlig überfrachtet. Das nennt man dann Einleitung und Ausklang bzw. Finale, wobei 'Einleitung' nicht mit den oben angesprochenen ersten drei Seiten zu verwechseln ist. Mehr dazu aber später.
So ein Stück aus dem Leben eines oder mehrerer Menschen zu konstruieren, dauert ein wenig. Das liegt in der Natur der Sache. Selbst Genies wie Terry Pratchett, der in seiner Hochzeit im Schnitt 3-4 Romane in 2 Jahren produziert hat, kommen da irgendwann an ihre Grenzen.
Einen Roman von vorne bis hinten zu schreiben, dauert – zumindest, wenn man nebenher noch einen Beruf hat – normalerweise ungefähr ein Jahr. Das ist eine Zeitspanne, die einen schon gerne mal schnell ein wenig mutlos werden lässt. Schließlich haben wir nur ca. 80 davon.
Jetzt ist aber lustigerweise das eigentliche Schreiben des Romans meistens das, was am wenigsten Aufwand und Zeit erfordert, sofern man das Ganze richtig vorbereitet hat. Zumindest relativ gesehen.
Und genau da liegt ganz häufig der Hund begraben.
Viele angehende Autoren sind der Meinung, eine Idee im Kopf zu haben, reiche völlig aus, um eine Geschichte daraus zu fabrizieren.
Das ist nur bedingt richtig.
Es hilft ungemein, eine Idee zu haben, keine Frage. Bevor man diese Idee jedoch zu einem Roman, einem Drehbuch oder auch nur einer Kurzgeschichte entwickelt, muss man sich wirklich Gedanken darüber machen, was man denn da eigentlich genau erzählen will. Sonst wird das Vorhaben sehr schnell an seine Grenzen stoßen.
Schneller als man gucken kann, sitzt man nach 15 oder 23 Seiten da und weiß nicht genau, wie es weiter gehen soll, weil die Feinheiten der Geschichte immer noch recht nebulös im Kopf herumspuken. Das ist meistens der Punkt der oben angesprochenen Einleitung oder des ersten Kapitels. Häufig brechen angehende Autoren das Ganze dann letztendlich etwas frustriert ab oder schreiben einfach weiter, was dann aber sehr häufig dazu führt, dass der rote Faden, der am Anfang klar ersichtlich war, am Ende nur noch ein blassrosa Fussel ist.
Es gibt zugegebener weise Menschen, die das unglaubliche Talent haben, aus einer sehr vagen Idee oder mehrerer unzusammenhängender Ideen einen Roman zu schreiben, der Hand und Fuß hat. Douglas Adams war zum Beispiel