Ein Teppich aus Andacht. Gabriele Prattki
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Die Sonne hält sich zur Zeit bedeckt. Dichte graue Wolken begleiten uns. Auf der Fahrt von Casablanca zur etwa hundert Kilometer entfernten Hauptstadt Rabat fahren wir an Feldern und Wiesen vorbei. Das muss die Gegend sein, die ich aus dem Flugzeug gesehen habe: Patchwork. „Hier gibt es viel Landwirtschaft, ja?“, erklärt Mohamed, unser marokkanischer Reiseleiter in perfektem Deutsch, wobei er das „ja?“ ganz kurz ausspricht und die Stimme fragend anhebt. „Getreide, Gemüse, Zitrusfrüchte, Wein. Der Norden ist sehr fruchtbar.“ In geringer Entfernung zur Straße liegen viele ärmliche Behausungen im Regennebel.
Unser Busfahrer heißt - „Raten Sie mal.“ - auch Mohamed, wie die meisten Männer und Jungen im Land, und wird uns vom Reiseleiter als langjährig erfahren vorgestellt. Er lebt mit seiner Familie in Taroudant. Der dunkelhäutige Begleiter, zuständig für die Sauberkeit im Bus, heißt Mose und kommt ebenfalls aus dem Süden Marokkos. Er wird immer nachzählen, ob wir alle da sind, bevor er das Zeichen zur Weiterfahrt gibt. Wir erfahren, dass seine Vorfahren schwarzafrikanische Sklaven waren. Dann stellt sich unser Reiseleiter vor. „Also, ich bin Mohamed und komme aus Agadir, ja? Dort lebe ich mit meiner Frau und zwei kleinen Töchtern, zwei und vier Jahre alt ...“
„Eine Frau oder mehrere?“, ruft jemand aus der Gruppe.
„Eine. Ein Unheil reicht. Sagt man so bei Ihnen?“
„Häm, hm“, kommentiert vorn eine Frauenstimme, während einige Männer lachen.
„Aber das war jetzt ein Scherz, ja? Ich bin 45 Jahre alt, habe Germanistik und Deutsche Geschichte studiert und bin seit 1992 Reiseleiter. Ich werde Ihnen in den nächsten Tagen einiges über Marokko erzählen, ja? Also über Familie, Schulen, Wirtschaft, Islam und so weiter. Außerdem jeden Morgen einen Witz - zum Wachwerden.“
RABAT,
Regierungssitz des Landes. Mohamed erklärt, dass wir gerade an vielen Diplomatenvillen vorbeifahren. Wir sehen kaum etwas, da sie hinter Mauern liegen. Aha, denke ich, irgendwo hier freut sich eine der beiden Schönen aus dem Flugzeug, wieder bei ihrer Familie zu sein. An einem Tor, vor dem auf dunklen Araberpferden eine Garde in roter Uniform mit weißem Umhang Wache hält, steigen wir aus und begrüßen einen lokalen Fremdenführer. Ahmed, dessen Name wie auch „Mohamed“ auf der zweiten Silbe betont wird, begleitet uns durch Rabat. Wir besichtigen ein Grabmal, das Mausoleum von König Hassan V. Es wurde von 1961 bis 1971 zu Ehren des Großvaters von Mohamed VI., dem heutigen König, nach dem Vorbild traditioneller Grabstätten errichtet. Ahmed, dunkle Augen und feine Gesichtszüge, trägt ein langes, dunkelbraunes Gewand, eine Djeballah, und weist sich dadurch und mit einer Plakette an der Brust als offizieller Fremdenführer aus. Auf den Stufen zur Grabstätte erklärt er, dass die Außenmauern des Mausoleums aus Carrara-Marmor bestehen. Drinnen stehe und staune ich, überwältigt von der Schönheit und Pracht dieser Anlage. Von einer Galerie schauen wir auf die marmornen Sarkophage* des Königs und seiner beiden Söhne. Die Wände des Mausoleums sind mit kunstvollen Schnitzereien und Mosaiken verziert. Eine Tür aus Gold ist kostbar ziseliert. Schwere bunte Glaslampen hängen über den Sarkophagen.
MÜNSTER Nachgedanken:
Eine Viertelstunde
für die Besichtigung
einer maurischen Grabstätte
aus unfassbarer Schönheit
Touristen verlaufen sich
in Gott geweihten Hallen
keine Zeit zum Innehalten
Stille und Andacht
haben sie nicht
gebucht
RABAT
Draußen auf dem mit Marmor gepflasterten Vorplatz, den wir durch das Tor hinter der Ehrengarde betreten haben, erklärt Ahmed: „Der maurische Baustil, in dem diese Anlage erbaut wurde, hat sich in der Zeit der Almohaden* im zwölften bis dreizehnten Jahrhundert zu dieser prächtigen Ornamentik entwickelt und zwar aus andalusischen, berberischen und arabischen Einflüssen.“ Wir erreichen einen Platz mit vielen kleinen, weißen Säulen. „Schauen Sie, all die Stümpfe von Moscheesäulen - zweihundert sind es. Sie sollten eigentlich die Schiffe eines Betsaals tragen. Denn, meine Damen, meine Herren, der Gründer von Rabat, Abou Youssef Yacoub el-Mansour, (da hör ich Josef und Jakob heraus) wollte hier im 12. Jahrhundert die zweitgrößte Moschee der islamischen Welt errichten. Doch nach seinem Tod wurde der Bau nie vollendet.“ Wir gehen zu einem quadratischen Turm. „Der Tour Hassan, das Wahrzeichen von Rabat. Er sollte achtzig Meter hoch werden. Was Sie sehen, ist gerade mal die Hälfte.“ Das Minarett hat 2,50 m dicke Mauern, ist an den Außenfassaden reich verziert und gilt noch heute als Vorbild für marokkanische Minarette. Ich mag das Schlichte: die erdige Farbe, die Form und die aus dem rotbraunen Stein heraus gearbeiteten Reliefs.
In einigen Städten wird uns ein Fremdenführer begleiten, hat Mohamed uns erklärt. Damit sollen lokale Arbeitsplätze im Tourismusbereich gefördert werden. Unsere Begleiter können nach der Führung ein kleines Trinkgeld von uns erhalten. Mohamed gibt an, dass für einen halben Tag 5 Dirham* (50 Cent) und für einen Tag 10 Dirham angemessen seien. Er betont: „Trinkgeld ist immer eine freiwillige Angelegenheit, ja? Ganz wichtig, immer freiwillig.“
Ahmed aus Rabat spricht sehr gut Deutsch. Er erklärt, er habe die Sprache erst in einer weiterführenden Schule gelernt und sie sich im Lauf der Jahre mehr und mehr angeeignet. Wir fahren durch das monumentale Tor der Winde, Bab er-Rouah, aus dem 12. Jahrhundert. Ahmed erläutert, was wir so schnell nicht erkennen: In den roten Stein sind Koransuren*, Schmuckmuscheln und Arabesken* gemeißelt. Jenseits des Tores hält unser Bus, und wir spazieren zum Palast des heutigen Königs, vorbei an Steineichen und üppig blühenden Bougainvillen in Rot und Rosa auf der linken Seite. Rechts liegt der große Versammlungsplatz. Kurz bevor wir den Palast erreichen, fällt mir ein Straßenschild auf. In einem weißen Viereck leuchtet ein rotes Achteck mit weißen arabischen Schriftzügen - die arabische Variante des Stoppschildes.
Das Palais Royal, 1864 erbaut, ist mit lasierten grünen Ziegeln bedeckt. Rot gekleidet ist die Palastgarde, die vor dem maurischen Prunkportal patrouilliert. Aus ehrfürchtiger Entfernung schauen wir uns gerade das Portal an, da erfolgt die Wachablösung. „Ziemlich entspannt.“ - „Echt locker.“ - „Die haben keinen Stress“, kommentieren einige aus der Gruppe. Es geht auch anders als zackig.
Den ganzen Tag regnet es. „Sso hoab i mir Oafrika net voagstellt“, mault unsere wahrscheinlich älteste Mitreisende. „Keiner wird uns glauben, dass wir in Afrika waren“, folgt eine Bemerkung weiter vorn. Und: „Dann werd isch ja gar nisch braun.“ Sofort reagiert unser Reiseleiter: „Also, Regen ist ein Reichtum für unser Land, ja? Macht alles fruchtbar, ja?“
Auf dem Weg zur nächsten Station unseres Besichtigungsprogramms fällt uns ein großes Plakat mit Mohamed VI., dem König von Marokko, auf. „Warum hängt das Foto hier? Findet eine politische Veranstaltung statt?“, wird vorn im Bus gefragt. „Solche Fotos werden Sie oft sehen, einfach, weil er unser König ist.“
Wir erreichen ein Gräberfeld, die Nekropole von Chellah, 2300 Jahre alte Ruinen. „Meine Damen, meine Herren, im 3. Jahrhundert vor Christus haben die Karthager hier eine Handelsniederlassung gegründet. Später legten die Römer einen Flusshafen an. Und