Der Hafen meiner Träume. Eberhard Schiel

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Der Hafen meiner Träume - Eberhard Schiel

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moralischen Wert als daß sie als körperliche Strafe verstanden werden kann. Frau Schiel sinkt stöhnend in ihren Lehnstuhl. Der Angriff hat sie völlig erschöpft. Ihr bleibt die Puste weg, sie ist in einem bemitleidenswerten Zustand. Trotzdem muß Muttis ungebührliches Verhalten gegenüber meinem leiblichen Bruder bestraft werden. Ich denke mir eine empfindliche Rache aus. Wie wäre es, wenn man sie durch eine künstlich erzeugte Erkältung in Unruhe versetzen würde. Ich lege mich trotzig zu Bett, mit dem Rücken zur kalten Außenwand, ziehe heimlich mein Nachthemd aus und wünsche mir eine Krankheit. Was darf`s denn sein? Etwa eine leichte Lungenentzündung oder eine schwere Grippe. Über die Erfüllung dieses Wunsches und deren Folgen noch ein wenig nachdenkend, schlafe ich ein. Am nächsten Morgen will ich unbedingt mit starken 40 Grad Fieber aufwachen. Es klappt nicht. Bei einer ersten Messung zeigt das Thermometer leider nur 37,2 Grad an. Ich bin ohne Befund. Die Bestrafung fällt aus, der Friede läßt nicht lange auf sich warten, wir amüsieren uns über unsere eigene Dummheit, die uns Frau Leewe eingebrockt hat. Mein Bruder scheint auch nicht nachtragend zu sein. Er ist nur sichtlich überrascht worden, als Mutti zu einem Mittel griff, welches sie nie zuvor angewandt hatte und auch in Zukunft nicht mehr anzuwenden gedenkt. Zum äußeren Zeichen eines befriedeten Familienlebens gehört bei uns immer ein Gesellschaftsspiel. Sonst spielten wir meist “Mensch-Ärger-Dich-Nicht”, aber zu meinem 12. Geburtstag hatte ich ein neues Würfelspiel erhalten, das erst seit kurzem in den Handel gekommen war. Es heißt:”Gute Fahrt durch unser deutsches Vaterland!” Jeder Teilnehmer nimmt sich einen Kleinwagen aus Plaste, ohne Motor, und setzt ihn an den Start, zur Fahrt von Berlin nach München. Dann wird gewürfelt, wie beim “Menschi”, und entsprechend der Zahl rückt der rote, gelbe, blaue oder rote Wagen einige Felder vor. Herrlich, wir haben zwar nur sehr entfernte Verwandte im Westen, die uns auch nie einladen, aber nun lernen wir, ohne Fernsehen, doch noch den anderen Teil Deutschlands kennen. Mutti führt das Rennen an, dicht gefolgt von Schwester Inge. Mein Bruder hat gleich Schwierigkeiten am Start. Zu allem Unglück gerät er bald auf das Sonderfeld 49: “Dresden, berühmte Stadt an der Elbe (Zwinger). Nimmt einen Tag freiwillig am Wiederaufbau der Stadt teil. Zweimal aussetzen!” - Er schmunzelt. Ich weiß, warum. Vor etlichen Wochen hat er in Prerow als Betreuer des Pionierzeltlagers “Kim Ir Sen” eine fesches Mädel aus Dresden kennengelernt. Sie schreiben sich schon, machen Pläne für die Zukunft. Wahrscheinlich wird er nach dem Studium dort hinziehen, wie ich der Korrespondenz entnehme. Ein Foto von Christine habe ich auch entdeckt. Sie sieht aus wie Lieselotte Pulver in dem Film “Ich denke oft an Pirotschka”. Mutti darf anscheinend noch nichts von Wölfis erster Liebe erfahren. Sie ist nicht eingeweiht worden. Das ist auch gut so, sonst glaubt sie womöglich noch, die Dresdnerin will ihr den besten Kader in unserer Familie wegschnappen. Jedenfalls wird Mutter aus seinem geheimnisvollem Lächeln nicht schlau. Während mein Bruder also aus gutem Grund gerne aussetzt, um am Wiederaufbau seines zukünftigen Wohnsitzes teilzunehmen, fahre ich wie ein Ausweisfahrer im mittleren Abschnitt des Feldes mit. Dann ändert sich das Bild. Der Große wird schneller, Inge fällt zurück. Wir liegen jetzt Heck an Heck. Mutti sieht ihre Verfolger schon im Rückspiegel. Sie dreht noch einmal auf, volle Pulle, will unbedingt als Erste über die Zonengrenze, ist schon in Bayern, und da passiert es. Sie würfelt eine Sechs, muß ihr Auto auf das Sonderfeld 54 schieben, wo geschrieben steht: “Hof, hat zu viel Kulmbacher Bier getrunken und darf nicht weiterfahren. (Alkoholverbot für Kraftfahrer) Mutti schimpft wie ein Rohrspatz. Sie sagt: “So ein Quatsch, ich trinke überhaupt keinen Alkohol, schon gar kein Bier, höchstens mal ein Gläschen Wein, aber das ist auch schon alles. Und da kommen die Bayern mir mit solch einem Vorwurf.” Oh, unsere Mutter ist in Harnisch. Wölfi versucht sie zu besänftigen, bloß nicht schon wieder einen Streit vom Zaune brechen. Er erklärt ihr die Verkehrsregeln, obwohl er passionierter Fußgänger ist und nie, auch nicht eine Sekunde lang, ein fremdes Fahrzeug in Gang gebracht hat. Er ist eben ein Theoretiker. Er meint: “Muttchen, die Regeln haben nicht wir erfunden. Die sind hier so, das ist auch nur ein Spiel, wir können dich nicht weiter in der Spur lassen. Du mußt ausscheiden.” Halb sieht Mutti das ein, wagt dennoch einen letzten Einwand. Sie sagt: “Na, schön, wenn ihr nicht mehr mit mir spielen wollt, bitte schön, aber eines begreife, wer will. Warum werde ich ausgerechnet durch das Kulmbacher Bier rausgeworfen. Mir wäre ein Stralsunder Bier lieber gewesen.” Da schalte ich mich ein: “Ja, denkst Du im Ernst, Mutti, die Bayern trinken unsere Brühe. Da haben selbst unsere Leute arg mit zu tun. Das schmeckt doch wie Jauche.” Inge, die bisher ganz ruhig auf das Brett schaute, möchte nun auch einen Beitrag zur Diskussion leisten. Sie wendet ein: ”Wenn ihr nicht gleich weiter macht, ziehe ich meinen Mantel an und gehe nach Hause.” Schwesterchen hat das nicht so gemeint. Sie hält nämlich den Würfel in der Hand. Ihr Gesicht läuft puterrot an. Da ist noch was zu machen, denkt sie. Und tatsächlich, am Ende gewinnt erneut unsere Inge. Das nervt. Immer gewinnt die große Schwester. Sie braucht bei der Aufbau-Lotterie, in der Ossenreyer, nur zwei Lose aus der Glastrommel nehmen, und räumt glatt den Hauptgewinn ab. Hier eben auch. Boshaft sage ich vor mich hin: “Glück im Spiel, Pech in der Liebe”. Das ist ganz schön gemein, aber gemeine Gedanken kommen irgendwann über jeden Menschen, behaupte ich mal. So, das Spiel ist aus, der Sieger gekürt, nun schalten wir das Radio ein. Aus unserem alten Kasten ist nicht viel raus zu holen, aber die Konsum-Sender kriegen wir. Gemeinsam gehen wir auf Empfang. “Da lacht der Bär”, recht lustig. Eine Unterhaltungs-Sendung. Etwas Musik, ein paar Späße, und dann wieder Musik. Inge gefällt die Sendung. Sie sagt: “Schade, doch es wird schon dunkel. Ich muß los. Immer, wenn es bei Euch gemütlich wird, dann ist die Zeit rum. Ja, sie hat kein eigenes Radio, und niemanden, mit dem sie sich ärgern kann beim Gesellschaftsspiel. Darum besucht sie uns häufig. Ist ja nur ein kurzer Weg bis zur Karl-Marx-Straße.

      2. Kapitel: Die neue Bleibe

      Ja, das Intermezzo in der Lambert-Steinwich-Straße Nr. 15 ist schnell zu Ende. Etwa nach einem dreiviertel Jahr ziehen wir in die gegenüberliegende Nr. 6. Im zweiten Stock gibt es zwei kleine Zimmer, die an Junggesellen vermietet sind, an einen Eisenbahner und an einen Werftarbeiter und eine junge, schwangere Frau wohnt auch noch dort. Deswegen ist unser neues Domizil ausbaufähig, weil wir warten, daß der eine oder andere endlich heiratet. So nach und nach ziehen sie dann tatsächlich aus, und wir machen uns dort breit und breiter. Den ersten Arbeitseinsatz vergesse ich nie. Unsere ganze Mannschaft, Mutti, Wölfi, Inge und ich, bewaffnen uns mit Spänebällchen und schrubben abwechselnd mit dem linken oder rechten Fuß über die Dielen.Kurze Pause. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, öffne das Mansardenfenster der Schlafstube und schaue in die Gärten, halte Ausschau nach Vögeln und Spielkameraden. Gleich rechts, ein Haus weiter, sitzen zwei Jungens und ein Mädchen an einem Gartentisch. Sie lachen und streiten. Ich kann es nicht genau erkennen, aber es sieht so aus als würden sie mit Karten spielen, vielleicht Quartett. Unter einem Vorwand schleiche ich mich aus der Wohnung, renne auf den Hof, rüber zu den Kindern und frage, was sie gerade spielen. Ein blondgelockter Junge zeigt mir sein Blatt. Abbildungen von Schmetterlingen, also doch Quartett. Ich stelle mich vor, sie sagen ihre Namen auf, Peter, Uwe und Ilse. Im Handstreich drei Kameraden erobert, und drei sind mehr als man für die ersten Stunden in einer fremden Umgebung erwarten darf. Mehr ist zunächst nicht drin. Ich sehe schon den graumelierten Haarschopf meiner Mutter im schmalen Fensterrahmen. Gleich wird sie mitten in das muntere Vogelgezwitscher hinein nach mir rufen. Laut und vernehmlich, damit alle Bewohner des Viertels es hören können: “Komm` sofort hoch! Wie haben hier oben genug zu tun!” Na, dann, schrubben wir eben weiter den Fußboden. Mutti schwitzt, Wölfi stöhnt und Inge gönnt sich ab und zu eine Pause, in dem sie ihre Brille putzt. Wie gesagt, wir wohnen nicht in der Beletage, sondern unter dem Dach, was mit zunehmendem Alter des Hauses verheerende Folgen haben wird. Doch zunächst sind wir optimistisch, voller Tatendrang. Wir haben zwei Zimmer, ein winziges Klosett, eine Küche, in die schon bald eine Etagen-Zentralheizung eingebaut werden soll, im Flur einen Ausguß mit Wasserhahn, in dem halben Zimmer vor der eigentlichen Wohnung eine Wasch-Kommode mit einem riesigen Spiegel. Auf der dicken Marmorplatte steht eine Waschschüssel und ein Krug aus Steinzeug. Ersatz für ein Badezimmer. Die Wäsche kocht Mutti auf dem Gasherd, im größten Emaille-Topf unseres Haushalts. Bettwäsche und alles schwere Zeug bringe ich zur Wäscherei Pech. Wir richten uns ein. Zuerst das Wohnzimmer. Alles auf Teilzahlung, das rote Sofa mit den zwei Sesseln, anschließend ein neuer Tisch, ein Bücherbord und irgendwann auch ein neues Radio.

      Allmählich,

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