Das Klingeln des Telefons am Abend. Erhard Schümmelfeder

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Das Klingeln des Telefons am Abend - Erhard Schümmelfeder

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Saiten über den Griffbetten gezeichnet worden. Das war es, was nicht stimmte. Auf jeder Saite stand in gesperrten Großbuchstaben ein Wort. Martin beugte sich über den Tisch und las nun den vierzeiligen Schriftzug:

       DER

       CLAN

       DER

       STUBENHOCKER

      Isabell hatte für die Band, in der er spielte, einen Plakatentwurf gezeichnet. Das war gewiss ein gutes Zeichen. Als die Klinke der Tür sich neigte, spürte er seinen hämmernden Herzschlag.

      „Wo ist meine Schwester?“, fragte Tina verwundert.

      „Das wollte ich dich gerade fragen“, sagte er.

      Tina wandte sich um und rief Isabells Namen in den Flur hinaus. Sie lauschte. Keine Antwort. Schließlich ging sie zum Wohnzimmer, öffnete die Tür und warf einen Blick hinein. „Isabell?“ Nachdem sie auch in der Küche, im Schlafzimmer ihrer Eltern und im Gästeraum nachgesehen hatte, kam sie achselzuckend zurück. „Scheint nicht mehr im Haus zu sein. Vielleicht hat Judith sie abgeholt, mein Schwesterlein. Merkwürdig.“

      „Was ist merkwürdig?“, erkundigte er sich.

      Tina antwortete: „Plötzlich ist sie verschwunden. Eben war sie noch hier.“

      F#

      Der Clan der Stubenhocker hatte sein Domizil im alten Kolpinghaus von Beverungen. Die Bezeichnung Domizil war nicht überhöht, denn keine Band der Gegend konnte als Auftrittsraum für Rockkonzerte eine kirchengroße Halle mit Bühne, Scheinwerfern und Vorhang für sich nutzen. Wenige Wochen zuvor spielten die Stubenhocker noch in einem muffigen Kellerraum des roten Sandsteingebäudes bei der Burg. Leaders Vater, der einen Sitz im Stadtrat besaß, hatte sich für die Band eingesetzt. Martin, Leader, Andreas, Georg und Pitt durften bis zum Abriss der Halle ihre Musik hier spielen. Nach den ersten Auftritten vor Publikum hatte sich Der Clan der Stubenhocker zu einem Projekt entwickelt, bei dem es in der Hautsache darum ging, Musik in Geld zu verwandeln.

      Es war fast Mittag, als Martin durch die Burgstraße zum Kolpinghaus gelangte. Ein Lastwagen mit Getränkekisten polterte über das Pflaster in die Richtung der Innenstadt. Leaders Auto, ein schwarzer zerbeulter VW, parkte beim Eingangsportal hinter ein paar Fahrrädern, die schräg an der Hauswand lehnten. Geld, Getränkeverkauf, Umsatz - all dies hatte mit Musik im Grunde nichts zu tun. Martins Tage in der Band waren eigentlich gezählt: Ein paar Auftritte noch bis zum Herbst, dann hätte er genug Geld beisammen, um sich einige seiner Wünsche zu erfüllen: Eine spanische Gitarre, dazu ein spezielles Mikrofon, ein Hallgerät und vielleicht einen neuen Mehrspurrecorder. Solange die Sache mit Isabell nicht geklärt war, wollte er keine Pläne schmieden. Er dachte an das Buch auf Isabells Nachttisch. Er hatte ihr Salingers Werk empfohlen. Sie las es. Das war ein gutes Zeichen. Aber warum lief sie vor ihm davon? Irgendwie war das kindisch. Was hatte sie zu verbergen? Wenn er darüber nachdachte, erinnerte er sich: Bereits vor seiner Abreise in das Büsumer Ferienlager hatte sie sich ein wenig anders verhalten. Wie - anders? Er suchte nach einer präzisen Umschreibung und kreiste dabei immer wieder um das Wort reserviert. Vielleicht gab es treffendere Begriffe; zurückhaltend, grüblerisch, launisch, unzufrieden, abwesend ... Warum äußerte sie sich nicht? - Er konnte immer noch bis 3 zählen. Wenn sie mit ihm Schluss machen wollte, genügte eine einfache Erklärung ohne Rechtfertigungs-Szenen. Er würde sich nicht umbringen. Jedenfalls nicht vor dem Kauf einer spanischen Gitarre.

      Durch das schwere Eichentor gelangte er in den kühlen Vorraum des Festsaals. Seine Schritte hallten in dem hohen Saal nach. Auf der Bühne, im Schein einer weißen Deckenlampe, putzte Pitt die Chromteile seines Schlagzeugs mit einem Lappen, den er in eine mit Flüssigkeit gefüllte Dose tauchte.

      „He“, grüßte Martin.

      Pitt blickte auf und sagte nur zögerlich: „Hi.“

      Pitt war erst seit kurzer Zeit in der Gruppe. Als Drummer musste er es sich - manchmal zähneknirschend - gefallen lassen, wenn Martin ihn bei einigen Stücken, die ihm heilig waren, kontrollierte. „Ein Wirbel zu viel und ein Beckenschlag an der falschen Stelle können das Feeling eines Songs zerstören“, hatte er Pitt bei einer Probe anvertraut. Pitts Augen waren uneinsichtig zu Leader gewandert, doch dieser hielt sich aus dem Konflikt heraus.

      „Wo steckt Leader?“, fragte Martin jetzt. Er verspürte kein Verlangen, mit Pitt höfliche Konversation zu machen. Seine Tage in der Band waren gezählt.

      „Irgendwo draußen“, antwortete Pitt. „Mit Andreas. Sie wollten etwas streichen.“

      Er fand Leader mit Andreas an der Südseite des Kolpinghauses, wo sie mit brauner Farbe die Buchstaben DWJ auf den hohen Rundbogenfensterscheiben übermalt hatten. Niemand wusste, was die Abkürzung bedeutete.

      „Fertig“, sagte Leader und stieg von der Leiter.

      „Ich bin ganz geblendet von der Sonne“, klagte Andreas. „Ich muss sofort in den Schatten. - Ach, sieh an, unser Sologitarrist meldet sich zum Dienst zurück.“

      „Pünktlich“, bemerkte Leader. Er zog ein Tuch aus seiner Jeans und wischte langsam und gründlich einige Farbspritzer von den Fingern. „Wie wars im Ferien-Camp?“ Es war eine Höflichkeitsfrage ohne tieferes Interesse.

      „Lustig“, antwortete Martin. „Und hier?“

      „Lass uns ins Kühle gehen“, schlug Leader vor. Dann erkundigte er sich: „Kannst du unseren Bandnamen in Großbuchstaben auf die drei Fenster schreiben, wenn die Farbe trocken ist?“

      „Das wäre eine Aufgabe für Georg“, überlegte Martin. „Soviel ich weiß, hat er für die Gemüseabteilung im WW-Markt seiner Eltern schon Hunderte von Plakaten gemalt.“

      „Dann soll er das übernehmen“, entschied Leader.

      Sie gingen in den kühlen Festsaal und setzten sich an den Tisch vor der Bühne.

      „Bier?“, fragte Leader.

      „Cola“, sagte Martin.

      Leader nickte Andreas zu, der zur Theke schlenderte und aus einer Kiste vier Flaschen herausholte.

      „Wann proben wir?“, wollte Martin wissen, nachdem Andreas die Verschlüsse von den Flaschen gelöst hatte und jeder sein Getränk in der Hand hielt.

      „Morgen“, sagte Leader. „Am besten nachmittags.“

      „Wann haben wir den nächsten Auftritt?“

      „Übermorgen.“

      „Schön“, bemerkte Martin. „Also läuft alles wie immer.“

      „Nicht alles“, gab Leader zu verstehen. Er zog aus der Brusttasche seines verschwitzten Hemdes eine Zigarette, die er zwischen seine Lippen steckte. Pitt stieg die Stufen der Bühne herunter und hielt Leader eilfertig sein brennendes Feuerzeug an die Zigarette.

      Lakai, dachte Martin.

      „Hier hat sich einiges verändert“, erklärte Leader weiter.

      „Dann erzähl. Machs nicht so spannend.“

      „Also“,

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