Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling
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»Oh«, rief er, »das ist hier derselbe Stoff, mit dem das Menschenvolk spielt; nur ist dieser gelb, der andere war braun.«
Er ließ die Goldstücke wieder fallen und ging weiter. Der ganze Boden der Gruft war bedeckt mit einer fünf bis sechs Fuß hohen Schicht gemünzten Goldes und Silbers; es war aus den Säcken, in denen es ursprünglich lagerte, herausgequollen und hatte sich die vielen Jahre hindurch gesetzt und gehäuft, wie Sand bei der Ebbe. In und auf der Schicht, aus ihr hervorstehend wie Wracks aus dem Schlick, staken edelsteinglitzernde Elefanten-Hawdahs (Sessel) aus getriebenem Silber, mit Platten von gehämmertem Gold beschlagen und reich mit Karfunkeln und Türkisen besetzt. Da waren Tragbetten und Sänften für Königinnen aus Silber und Emaille, die Stangen mit Jadegriffen und Ringen aus Bernstein; güldene Kandelaber lagen zuhauf, an deren Armen Ketten von Smaragden zitterten; fünf Fuß hohe Bildsäulen vergangener Götter aus Silber mit Diamantenaugen; Kettenpanzer, mit Gold eingelegt und mit geschwärzten, verwitterten Perlen befranst; wappengeschmückte Helme mit taubenblutfarbenen Rubinen geziert; Schilde aus Schildpatt und Rhinozeroshaut, smaragdenübersät, die Buckel und Ränder aus rotem Gold; Schwerter mit Brillantengriffen, Dolche, Jagdmesser, goldene Opferschalen, tragbare Altäre, von einer Form, wie man sie nie im Tageslicht gesehen hat, Weihrauchbehälter, Jadeschalen, Kämme, Schminktöpfe für Henna und Augenpuder – alles aus rotem, getriebenem Golde. An den Wänden lagerten unzählige Ohrringe, Armspangen, Kopfbänder, Fingerringe und Gürtel. Da waren Schwertgehenke, sieben Finger breit, mit quadratisch geschliffenen Diamanten und Rubinen besetzt; hölzerne Truhen, dreifach mit Eisen umspannt, von denen das Holz wie Zunder abfiel, und aus denen nun ganze Haufen ungeschliffener Sternsaphire, Opale, Katzenaugen, Rubine, Diamanten, Smaragde und Granaten hervorschimmerten.
Die weiße Kobra hatte recht. Nicht abzuschätzen war der Geldeswert dieser Kostbarkeiten, zusammengetragen und gehäuft aus den Kriegen, dem Raub, dem Handel und den Tributen von Jahrhunderten. Die Münzen und Edelsteine waren kaum zu zählen; das tote Gewicht des Goldes und Silbers überstieg zwei- bis dreihundert Tonnen. Noch heutigentags besitzt jeder indische Herrscher, wie arm er auch sei, einen Hort, den er ständig vergrößert. Hin und wieder – sehr selten allerdings – kommt es wohl vor, daß ein aufgeklärter Fürst vierzig bis fünfzig Ochsenkarrenladungen Silbers gegen Staatspapiere austauscht, aber die meisten bewahren ihre Schätze und halten sie sorgfältig geheim.
Mogli natürlich ahnte nichts von der Bedeutung aller dieser Gegenstände. Die Messer fesselten ihn wohl, doch da sie nicht so gut im Griff lagen wie sein eigenes, ließ er sie wieder fallen. Zuletzt aber fand er doch etwas, was ihm begehrenswert erschien: es lag auf der Kante eines Elefantensessels, halb unter Münzen begraben, und war ein drei Fuß langer Ankus – Elefantentreibstock –, einem kleinen Bootshaken ähnlich. Ein runder, glühenden Rubin bildete den Knauf; der Handgriff, acht Zoll breit, war dicht mit ungeschliffenen Türkisen besetzt, die ein sicheres Anpacken ermöglichten; darüber zog sich ein Band aus Jade mit einem Blumenmuster, mit Blüten aus feurigroten Rubinen, die aus kühlen, grünen Blättern aus Smaragden hervorlugten. Der übrige Schaft war aus Elfenbein, der spitze Stachel mit dem Widerhaken aus Stahl mit Goldeinlegearbeit, die Bilder aus der Elefantenjagd darstellten. Diese Bilder vornehmlich fesselten Mogli, denn sie hatten offenbar mit seinem Freunde Hathi, dem Schweiger, zu tun.
Die weiße Kobra war ihm dicht auf den Fersen gefolgt.
»Ist das, was du erschautest, nicht wert, das Leben dafür zu lassen?« fragte sie. »Habe ich dir nicht eine große Gunst erwiesen?«
»Ich verstehe dich nicht«, antwortete Mogli. »Hart und kalt sind diese Sachen und zum Fraß nicht zu gebrauchen. Das hier aber« – er hob den Ankus auf –, »das möchte ich mitnehmen, damit ich es draußen in der Sonne beschauen kann. Dir gehört alles, sagtest du? Gib mir den Stachel, und ich will dir dafür Frösche bringen zum Fressen.«
Die weiße Kobra zitterte förmlich vor Schadenfreude. »Gewiß will ich ihn dir geben«, sagte sie. »Alles – alles sei dein eigen hier – alles – bis du von uns gehst.«
»Sogleich werde ich gehen. Dunkel und kalt ist dieser Ort. Ich will dieses dornspitzige Ding mit in die Dschungel nehmen.«
»Blicke hinab zu deinen Füßen. Was liegt da?«
Mogli hob etwas Glattes und Weißes auf. »Der Knochen von einem Menschenschädel ist es«, sagte er gelassen; »hier liegen noch zwei weitere.«
»Vor vielen Jahren kamen sie, um den Schatz zu heben. Im Dunkel der Gruft raunte ich ihnen zu, da lagen sie still.«
»Was soll ich mit dem, was du Schatz nennst? Aber schenkst du mir den Ankus, so bedeutet das ›Gute Jagd‹. Willst du ihn mir nicht geben, nun – ›Gute Jagd‹ ist dann auch. Mit den Giftvölkern streite ich nicht, und das Meisterwort deines Stammes ist mir bekannt.« »Hier gilt nur ein einziges Meisterwort: das meine!«
Kaa schwang sich vor mit blitzenden Augen. »Wer hieß mich den Menschen bringen?« zischte er grimmig.
»Ich natürlich«, lispelte die alte Kobra. »Lange ist es her, seitdem ich den Menschen sah, und dieser Mensch hier spricht unsere Sprache.«
»Aber von Töten war keine Rede«, entgegnete Kaa. »Kann ich zur Dschungel zurückkehren und sagen, daß ich ihn in den Tod geführt habe?«
»Ich spreche nicht von Töten – vor der Zeit. Und was dein Gehen oder Nichtgehen betrifft, dort ist das Loch in der Mauer. Friede nun, du fetter Affenvertilger! Ich brauche nur deinen Nacken zu berühren, und die Dschungel weiß nichts mehr von dir. Niemals drang ein Mensch an diesen Ort, der ihn wieder verlassen hätte mit Atem unter seinen Rippen. Der Hüter bin ich vom Schatz des Königs der großen Stadt.«
»Ich sagte dir bereits, du weißer Wurm der Nacht«, schrie Kaa, »weder König ist mehr da noch Stadt! Die Dschungel allein ist über uns.«
»Aber der Schatz ist noch da. Nur eins mag noch geschehen. Verharre noch ein Weilchen, Kaa von den Felsen, und sieh den Knaben rennen. Raum genug ist hier für große Hatz. Leben ist schön, Knabe, renne hin und her noch ein bißchen und belustige uns!«
Mogli legte ruhig seine Hand auf Kaas Haupt. »Die Weiße da hat bisher nur mit Menschen und Menschenvolk zu tun gehabt. Mich kennt sie nicht«, flüsterte er. »Jagd hat sie gefordert, sie soll sie haben.«
Mogli stand da, mit dem Ankus in der Hand, die Spitze nach unten gekehrt. Blitzschnell schleuderte er den Stab, die gabelförmige Spitze traf dicht hinter der Haube die große Schlange und nagelte sie auf dem Boden fest. Schon auch lag Kaas Gewicht auf dem sich windenden Körper und lähmte ihn von der Haube bis zum Schwanz. Die roten Augen der Kobra flackerten. Der freie Kopf peitschte wütend nach rechts und links.
»Töte!« rief Kaa, als Moglis Hand zum Messer fuhr.
»Nein«, sagte er und zog die Klinge heraus. »Nie wieder will ich töten, außer zur Nahrung. Aber sieh her, Kaa!« Er packte die Kobra hinter der Haube, zwang ihr mit der Klinge des Messers den Rachen auf und zeigte, daß die furchtbaren Giftzähne des oberen Kiefers schwarz und verdorrt im Zahnfleisch staken. Die weiße Kobra hatte ihr Gift überlebt, wie es bei Schlangen vorkommt.
»Sie sind verdorrt«, sagte Mogli, und Kaa zur Seite schiebend, zog er den Ankus aus dem Boden und gab die Kobra frei.
»Des Königs Schatz bedarf eines neuen Wächters«, sagte er ernst, »Thuu – das heißt ,Verdorrte' –, du hast ausgedient. Renne hin und her, Thuu, und belustige uns!«
»Geschändet bin ich, töte mich«, zischte die weiße Kobra.
»Zuviel war schon von Töten die Rede, jetzt wollen wir gehen.