Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Einerseits will alles in mir sich Tim hingeben und andererseits ist da eine Angst, die mich daran hindert, dem nachzugeben. Ich bin hin und her gerissen und weiß eins ganz genau: ich will nicht so enden, wie all die anderen Frauen.
Irgendwann nach Mitternacht klingele ich völlig verzweifelt nach der Schwester und lasse mir wieder das Schlafmittel geben. Ich jammere, dass ich nur zu Hause schlafen kann und deswegen unbedingt bald nach Hause muss. Damit hoffe ich, wird man mir meinen Heimgang nicht streichen, wenn ich am nächsten Tag aussehe wie ausgespuckt.
Aber auch mit dem Schlafmittel sind Tim und Marcel meine letzten Gedanken … und Kurt Gräbler. Dass Tim plötzlich so umgeschwenkt war, verunsichert mich sogar bis in den Schlaf hinein. Er muss etwas wissen, das er mir allerdings erst bei unserem nächsten Treffen sagen will.
Unser nächstes Treffen …
Ich sehne mich danach genauso, wie ich es fürchte. Was wird dann geschehen?
Ich weiß es nicht.
Am nächsten Tag, ich habe wieder einmal versucht meinen Kopf in Waschposition zu bringen, geht es mir dementsprechend schlecht. Ich ahne, dass es heute nicht gut für mich aussieht.
Die Visite verläuft dann auch für mich erfolglos. Man vertröstet mich auf die Entscheidung des Oberarztes am Abend.
Kurz nach Mittag kommen meine Eltern vorbei. Meine Mutter ist diesmal gefasster. Ich habe das Gefühl, dass mein Vater sie bearbeitet hat. Aber kurz nach ihnen betreten zwei Beamte in Zivil mein Zimmer. Sie stellen sich meinen Eltern und mir vor.
„Polizeioberwachtmeister Krämer und Polizeiwachtmeister Edding. Wir würden gerne ihre Tochter Carolin über den Vorfall am vergangenen Donnerstag befragen. Sie kann ihre Aussage natürlich verweigern, wenn sie nicht gegen ihren Bruder aussagen möchte.“
Meine Mutter setzt sich wie zu meinem Schutz auf mein Bett und sieht die Herren groß an, die ihre Dienstmarken wieder einstecken.
„Ich finde nicht, dass sie etwas sagen soll. Oder?“ Sie sieht meinen Vater an, der nur brummt, dass irgendjemand aber sagen muss, was passiert ist.
Ich sehe von einem zum anderen und bin wieder völlig überfordert.
„Haben Sie Tim, den anderen Jungen, der dabei war, schon verhört?“, frage ich und meine Stimme zittert leicht. Ich weiß Tims Nachnamen nicht, obwohl ich ihn einmal bei einer der Schwestern gehört hatte.
„Da kommen wir gerade her. Er wird jetzt mit seinem Vater nach Hause fahren.“
Okay! Ich bin mir sicher, dass sie mir nicht sagen werden, was er ausgesagt hat. Aber mir ist klar, dass er bestimmt nicht viel Gutes über Julian von sich gab. Ob er wohl von Kurt Gräbler und unseren Träumen gesprochen hat und warum Julian das Ganze machte? Ich ärgere mich, dass wir nur uns und unsere Gefühle im Kopf hatten und kein Wort darüber verloren haben, was wir in genau diesem Fall sagen sollen.
„Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß“, raune ich und sehe in das weiße Gesicht meiner Mutter. Sie wird nie wieder glücklich werden, wenn ich Julian des versuchten Mordes bezichtige. Also beginne ich von ihm und seinen Experimenten zu erzählen, bei denen er sich mehr als einmal verletzte und lasse durchscheinen, dass er sich vielleicht auch manchmal mit irgendwelchen schlimmen Dämpfen fast um den Verstand brachte, wenn wieder einmal ein Experiment schiefging. Dass er irgendwelche Tabletten einnahm, möchte ich nicht erwähnen, weil ich davon nichts Genaues weiß. Das sollen Mama und Papa entscheiden, ob sie das zu Protokoll geben.
„Naja, und so war es dann auch wohl kurz vor seinem Ausraster“, erzähle ich weiter, während einer der Beamten an dem kleinen Tisch an der Wand alles auf einem Laptop mitschreibt.
„Er mochte nicht, wenn ich mich mit Jungen traf. Außer mit seinem Freund Marcel. Und als er mich mit Tim sah, wurde er sehr wütend. Darum schleppte er ihn in das Labor …“ Von dem beabsichtigten Unfall mit dem Auto sage ich nichts. Das ist etwas, das ich ja nicht zwangsläufig wissen kann. „… und mich auch, um uns Angst zu machen. Er wollte halt nicht, dass wir uns weiter treffen. Er schlug Tim, damit er sagt, dass er mich nie wiedersehen wird und ich beschimpfte ihn so schlimm, dass er ausrastete und nach dem Messer griff. Er wollte Tim und mir eigentlich nur Angst machen, aber ich war so wütend und trat ihm zwischen die Beine. Dabei rutschte Julian mit dem Messer aus und schnitt mich. Er verband mich aber sofort und dann kam die Polizei und holte uns aus dem Labor.“
„Marcel Blum ist der junge Mann, der die Polizei verständigte und zu dem Labor führte? Hat er auch in diesem Labor experimentiert?“
Ich meinem Magen dreht sich alles. Auf Marcel soll auf gar keinen Fall ein schlechtes Licht fallen. „Nein, er wusste von dem Labor nur von mir.“
„Und Sie waren oft in diesem Labor?“
„Nein, nur einmal. Ich hatte durch Zufall gesehen, dass Julian auf dieses Grundstück fuhr und folgte ihm neugierig. Als er dann beim Fußballspielen war, ging ich in das Labor, um zu sehen, womit Julian immer seine Zeit verbringt.“
„Und wer entdeckte das Labor auf Ihrem Grundstück?“
Ich sehe von meiner Mutter zu meinem Vater. Mir hätte klar sein müssen, dass das Labor von Kurt Gräbler nun kein Geheimnis mehr ist.
„Da ist eine Leiche drin“, sage ich leise.
„Der Leichnam von Kurt Gräbler wurde geborgen und obduziert. Nächste Woche wird er beigesetzt. Wussten Sie schon länger von dem Toten?“
Ich nicke nur und sehe auf meine Hände, die sich ineinander verkrallen.
„Warum haben Sie das nicht gemeldet?“
Gute Frage. Was soll ich darauf antworten? Weil mein Bruder mich dann umbringen wollte oder so ein Professor mich grillen würde? Es muss mir etwas Besseres einfallen.
„Ich hatte Angst. Ich war nur einmal da unten und wollte schnell vergessen, was ich dort gefunden habe.“
Haben Sie etwas aus dem Labor entwendet? Wussten Sie, wer der Tote ist? Woher wussten Sie überhaupt von dem Labor? Fragen über Fragen türmen sich vor mir auf. Ich hatte mir nie im Traum ausmalen können, wie schlimm so ein Verhör werden kann, wenn man eine Menge zu verbergen hat. Ich schliddere, wie auf einer Bobbahn, durch das Frage und Antwort Spiel und bin froh, als es endlich vorbei ist. Ich weiß gar nicht mehr genau, was ich alles gesagt habe und wie sich das alles für solche Polizeibeamte anhören muss. Ich kann nur hoffen, dass ich es soweit zusammenhängend hervorbrachte, dass es auch glaubwürdig klang. Das Einzige, was ich genau weiß, ist, dass ich Julian nur als übermäßig eifersüchtigen Bruder hinstellte, der von seinen Experimenten etwas umnebelt Tim dazu bringen wollte, mich nie wiederzusehen. Dass er das alles nur tat, damit ich mit seinem Freund Marcel zusammenkomme, hört sich in meinen Ohren fast lachhaft an. Julian als heroischen Ritter für die Liebe kämpfend.
Außerdem gab ich unmissverständlich an, dass ich den Schnitt an meinem Hals mir selbst zuzuschreiben habe, weil ich Julian zwischen die Beine trat. Mehr kann ich für meinen Bruder nicht tun.
Endlich wird mir der halbe Aufsatz vorgelegt und ich setze meine Unterschrift darunter. Meine Eltern unterschreiben, dass sie Anwesend und mit dem Verhör einverstanden waren.
Ich bin fix und fertig.
Als die Männer endlich das Zimmer verlassen, sitzt meine Mutter nur