Ein Anfang am Ende des Hungers. Sylvia Baumgarten
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Wenn’s nicht so traurig wär, hätt ich vermutlich nen Lachkrampf gekriegt „nicht alles optimal“, so sag ich nur:
„Kein Ding, Mum. Mach dir keine Sorgen, das passt schon.“
Ich dreh mich um und es dauert noch einen Moment, dann hör ich, wie sich meine Zimmertür öffnet und schließt.
Erleichtert atme ich aus und mach die Seite wieder auf. Inzwischen gibt es einen neuen Beitrag. Unter dem Nick „klabautermann6838“ schreibt jemand:
„Ich schaff es nicht, mehr als xxx Kalorien täglich zu mir zu nehmen. Meine Freunde sagen, ich sehe schon klapperdürr aus und meine beste Freundin findet mich sogar „gruselig“, aber immer, wenn ich versuch, mehr zu essen, hab ich total das schlechte Gewissen und geh erstmal laufen oder fahr Rad …“ Noch während ich den Text lese, wird ein weiterer Beitrag eingestellt:
„Liebe Klabautermann,
warst du schon bei einem Arzt? Untergewicht ist keine Bagatelle und Magersucht keine Erkrankung, die irgendwann von alleine verschwindet. Ich rate dir dringend, dir professionelle Hilfe zu suchen.
Sollten die Zahlen in deinem Nick übrigens dein vorheriges und dein aktuelles Gewicht beinhalten, würde ich es besser finden, wenn du das änderst.
Liebe Grüße, Donnertella, Moderatorin im Forum
Ich schlucke – verdammte Axt, das sind aber klare Ansagen, denk ich.
Ich les noch einige Beiträge, die schon älter sind, und dazwischen immer wieder Antworten der Moderatoren, sich „professionelle Hilfe“ zu suchen. Meistens sind Links von Beratungsstellen eingefügt oder ein Hinweis, wo man welche findet.
Mir wird immer noch mulmiger beim Lesen und außerdem ist mir saukalt. Ich hol meine Jacke vom Bett und kuschel mich erstmal ein.
Puh, denk ich, was die hier schreiben, kenn ich auch – da gibt’s nichts schönzureden, aber ich bin sicher, dass ich sofort aufhören könnte, wenn ich wollte – oder doch nicht?
Für heute reicht es mir jedenfalls. Draußen ist es inzwischen dunkel. Total geschafft log ich mich aus. Facebook ist noch offen, aber ich hab immer noch keinen Bock auf Kontakte – also auch hier – Abmelden – Start und Ausschalten. Ich bin hundemüde und leg mich auf mein Bett.
Kapitel 2
Draußen ist es schummrig und Regentropfen trommeln aufs Dach, als ich wieder aufwach. Mein Wecker zeigt halb acht. Verdammt, verschlafen. Ich setz mich auf, aber dann fällt mir ein, dass Samstag ist und ich lass mich nach hinten fallen.
Weiterschlafen, denk ich, und warte auf wohlige Schläfrigkeit, aber nichts passiert. Ich bin hellwach – am Samstag um sieben Uhr dreißig – na super … und was fang ich jetzt an mit dem Tag? Bei Facebook ist noch keiner. Ich könnte ne Runde laufen, aber bei Regen? Was liegt heute sonst noch an? Abends Kino mit Nina.
Ach du Schande, Nina, ich wollt mich doch noch melden – die ist bestimmt stinksauer.
Ich such auf dem Schreibtisch nach meinem Handy und find den Zettel mit der hungrig-website. Ob es da neue Beiträge gibt? Ich könnte ja einfach mal gucken – nur ganz kurz. Während mein Rechner hochfährt meldet mein Handy eine Nachricht bei WhatsApp – bestimmt von Nina.
Sie ist von meinem Dad und er schreibt, dass wir unser Treffen morgen leider verschieben müssen, Termine.
„Aber wir holen das nach, versprochen!“ … bla …
Hatte ich sowieso nicht auf dem Schirm – bisher haben wir fast alle Treffen „verschoben“. Dafür krieg ich ein dickes Geschenk zum Geburtstag und Papas Gewissen freut sich wieder.
Ich leg das Handy zurück und fühl mich ätzend – außerdem knurrt mein Magen und Hunger ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann. Vielleicht hilft ja Ablenkung. Ich klick mich auf die hungrig-website, da klopft es an meiner Tür und meine Mum guckt um die Ecke.
Was wollen die alle von mir?, denk ich, und würd am liebsten hysterisch kreischen.
„Morgen Jule“, sagt meine Mum, „ich hab uns Brötchen geholt. Kommst du zum Frühstück?“
Scheinbar rächt sich gerade das frühe Aufstehen – ich hab Halluzinationen. Seit wann holt meine Mum am Samstag Brötchen? Normalerweise fährt sie um diese Zeit in die Redaktion und kommt erst mittags zurück. Was mach ich denn jetzt? Mein Magen knurrt weiter, mein Gesicht wird heiß und mein Herz schlägt wie blöd – Panik!
„Kommst du?“, fragt meine Mum noch einmal und ihre Stimme klingt vorsichtig.
„Ich dachte, du bist schon weg“, bring ich mühsam raus.
„Bin ich auch fast, aber wir haben schon so lange nicht mehr zusammen gefrühstückt.“
An mir liegt’s nicht, denk ich und sag:
„Ich muss mich noch auf Mathe vorbereiten, schreiben wir Montag – ich ess dann hinterher. Kannst ja alles stehen lassen.“
„Schade“, sagt meine Mum und ich hoff, dass sie gleich geht, aber dann fällt ihr der Termin mit meinem Dad ein.
„Triffst du dich morgen mit deinem Vater?“
„Nee, hat abgesagt“, sag ich und weiß, was jetzt kommt.
„Klar, wie üblich – ist ja alles wichtiger als seine Familie – das war schon immer so.“
Ich schluck, weil meine Mum das ausspricht, was ich gerade gedacht habe, aber ich will’s nicht hören, nicht jetzt. Am liebsten würd ich sie anschreien:
Geh endlich raus, Mum – frühstücken oder arbeiten – egal – Hauptsache raus, aber stattdessen sag ich so cool wie möglich:
„War nicht so schlimm“, obwohl meine Augen brennen, und ich glatt losheul, wenn ich weiterrede.
Ruhig Jule, denk ich, bleib ganz ruhig, und sag:
„Mum, ich muss jetzt echt was tun.“
Meine Lippen zittern. Ich dreh’ mich schnell zum Schreibtisch und lausche. Endlich schließt sich die Tür. Ein Blick über die Schulter – sie ist weg.
Verdammt, denk ich, sie soll wiederkommen und mich in den Arm nehmen, so wie früher - und dann fang ich an zu heulen und heul und heul bis ich hör, dass unten die Haustür zufällt.
Ich wisch mir mit beiden Händen durchs Gesicht, überleg, was ich jetzt am besten mache und geh nach unten. Auf dem Küchentisch steht ein Korb mit Brötchen und Croissants – Unmengen! Wer soll das denn essen? Daneben Butter, Marmelade, Nutella.
Hunger, denk ich, ich hab Hunger – und dann hör ich auf zu denken und fang an zu essen und als ich wieder anfange zu denken, ist der Korb leer. Ich fühl mich entsetzlich. In meinem Kopf tobt ein Gewitter.
Aufhören, das soll aufhören, sofort! Ich muss ne Lösung finden, Schadensbegrenzung, egal wie.
In Panik renn