Diamantentropfen. Manfred Quiring

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Diamantentropfen - Manfred Quiring

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Das half tatsächlich etwas.

      Von draußen drang eine immer lauter werdende Stimme an sein Ohr, die er zunächst nicht zuordnen konnte. Dann begriff er: Es war das Organ von Gruppenleiter Schischkow, wegen seines leicht tatarischen Aussehens „Mongole“ genannt. So muss Dschingis Khan geklungen haben, wenn er den Angriffsbefehl gegeben hat, ging es Borja durch den Kopf. Erst mit Verzögerung begriff er: der „Mongole“ hatte ihn gemeint. „Wolkow, raustreten. Sofort in der Lagerleitung melden“, belferte Schischkow, der sich in der Rolle des Befehlshabers gefiel. Wenn es auch nur in einer Zwanzigergruppe war, vorläufig wenigstens. Doch Schischkow wollte aufsteigen und wusste auch schon wie. Entschlossenheit, so glaubte er, sei besonders gefragt. Schnelle Entschlüsse ebenso, sie bewiesen der Umgebung, dass hier ein Mann weiß, was er will. „Ein zügiger Entschluss, auch wenn er falsch ist, ist immer besser als ein richtiger, der langsam gefasst wird“, war seine Maxime. Wobei er übersah, dass das, was er für einen „Beschluss“ hielt, lediglich eine flinke Reaktion auf Vorgaben von oben war.

      Borja rollte aus dem Bett, hängte sich sein Badge mit der elektronischen Kennung um und setzte seinen geschundenen Leib, der von einer dröhnenden Hohlkugel gekrönt war, widerwillig in Bewegung. Mitfühlend blickte Warja ihm hinterher. Wer so früh zum Lagerchef gerufen wurde, der hatte Übles zu gewärtigen.

      Diese Überlegung ergriff langsam auch von Borja Besitz. Zögerlich schlich er die „Allee der Verräter“ entlang. An diesem Morgen hatte er nur wenig Aufmerksamkeit für die Karikaturen übrig, die er sonst eigentlich ganz witzig fand. Eifrige Agitatoren hatten Porträts von Oppositionspolitikern in die Fotos aufreizender Nutten kopiert. Und damit die tumbe Masse es auch richtig versteht, prangte darüber die Schlagzeile „Sie machen es für Geld“. Von einem ehemaligen Schachweltmeister – schade dass er nicht mit uns ist, dachte Borja – behaupteten die Macher der Info-Wand, er „bediene“ den amerikanischen Präsidenten, und lasse sich mit baren Dollars entlohnen. „Swolotsch“ , brummte Borja, „was haben die nur gegen Russland?“

      Doch dann drängten sich seine eigenen Probleme wieder in den Vordergrund. Was wollte Timofejew von ihm? Plötzlich wehte ein leiser Windhauch durch sein Gehirn, die Nebel lüfteten sich ein wenig. Er wusste wieder, was gestern am Nachmittag passiert war. Und er ahnte, dass ihm auch der dritte Aufenthalt am See, wo Jahrhunderte bevor es die Russen überhaupt gab, die Tschuden gesiedelt hatten, kein Glück bringen würde.

      Gestern, als der Präsident höchst selbst mit zwei Mi-8-Hubschraubern eingeflogen war, hatte er sich wahrscheinlich endgültig alles verscherzt. Das Lager stand in diesem Jahr unter der Losung: Nanotechnologie - Neue Projekte für eine neue Weltmacht. Hoffnungsvolle Provinzler waren mit ihren teils bizarren Ideen in der Hoffnung angereist, im Lager am See Sponsoren und damit eine Zukunft zu finden. Das Treffen mit Dmitri Lukanow, dem nicht mehr ganz jungen, zur Rundlichkeit neigenden Staatschef, eine Show mit Tanz, Gesang und kernig-saloppen Reden, sollte zum Höhepunkt der diesjährigen Saison werden.

      Als Gipfel dieses Abends sollten drei High Tech-Projekte den Segen des obersten Landesfürsten erhalten, verbunden mit einer kräftigen Anschubfinanzierung. Nicht zu reden von der anschließenden Rundumbetreuung durch Regierungsbeamte. Vom Präsidenten geadelte Ideen durften einfach nicht fehlschlagen. Was natürlich dennoch geschah, aber das war dann schon wieder ein Problem des dienstfertigen Fernsehens, das die Bauchlandung mit Schweigen überging und eilig eine neue, aktuellere Sau durchs Dorf trieb.

      Borja war wenig interessiert an der Inszenierung, aber Teilnahme war auch hier Pflicht. Die Wichtigtuer der Lagerwache mit ihren Lesegeräten registrierten aufmerksam die elektronischen Kennungen der Badges. So wussten sie jederzeit, wo sich ihre Schutzbefohlenen aufhielten. Am Abend wurden die Abwesenden in eine Sünderkartei eingetragen. Da war es schon besser, nicht aufzufallen, denn im Wiederholungsfalle, das wusste er, drohte der Rausschmiss.

      Er folgte dem Ablauf auf der Bühne mit mäßigem Interesse. Lediglich das Aussehen des Mannes aus dem Kreml weckte kurzzeitig sein Interesse. Sah er nicht ein wenig blass und faltig aus? War der Job an der Staatsspitze tatsächlich so hart? Oder war doch etwas dran an den Gerüchten mit der Turmspringerin? Leistungssportlerinnen sollten ja im Bett sehr fordernd und ausdauernd sein, grübelte Borja und bedauerte, dass ihm derlei Erfahrungen bisher abgingen.

      Auf der Bühne wurde derweil ein Feuerwerk launigen Patriotismus` abgefackelt. Zwei agile Mädchen aus Krasnodar besangen, nach südrussischer Art statt des G ein H benutzend, in einem selbst gedichteten Couplet die „Nano-, Nano-, Nanotechnologie, stärkt Russland wie noch nie“. Der Lagerchor hatte sogar ein Singspiel einstudiert mit dem anregenden Titel „Wir sind allzeit bereit zur Fruchtbarkeit !“

      Begeistert klatschte der hohe Gast aus Moskau Beifall. Dann schritt er zur Ehrung der Projekte, die Russland in die Zukunft katapultieren sollten. Borja verstand davon wenig. Eine neuartige Raketensteuerung? Eine nie dagewesene computergestützte Verwaltungsstruktur, einzuführen in allen Staatsunternehmen, um die zentrale Führung durchzusetzen?

      Er gähnte, wurde dann aber schlagartig hellwach. Das konnte doch wohl nicht wahr sein!

      Vor ein paar Tagen hatte ihm so ein arroganter Typ aus Moskau nach der fünften Flasche Bier anvertraut, er werde mit seiner Idee garantiert durchkommen. „Die passt genau in unsere politische Landschaft. Irgend so ein Nano-Kram, verstehst du? Auf so etwas springen sie an in Moskau.“

      Dabei war es dem Typen nicht einmal peinlich gewesen, dass er selbst gar nicht so genau wusste, worum es dabei geht. „Unterwäsche für die Armee, sozusagen nanotechnologisch hergestellt. Ob die Unterhosen dann ganz klein sind?“, kicherte der künftige Erfolgsmensch dümmlich. Die ganze Sache hätten die Untergebenen seines Vaters ausgetüftelt. Sein Erzeuger wiederum habe seine Kontakte, „er sagt immer – bei Hofe“, spielen lassen.

      So sei das Projekt, versehen mit des Sohnes Namen, auf dem Präsidententisch gelandet. Das Dobro des Staatschefs würde Gelder aus dem Budget sprudeln lassen. „Dafür muss man natürlich diesen und jenen am Gewinn beteiligen“, sagte der Knabe aus Moskau mit wichtiger Miene und biergeschwängertem Atem.

      Und jetzt stolperte dieser Typ die Treppe zur Bühne hinauf, wo der Präsident ihn mit einem breiten Lächeln erwartete. In der linken Hand eine Urkunde, an der ein dickes rotes Siegel hing. Die rechte Hand ausgestreckt zum Glückwunsch für den Vertreter der russischen Jugend, die sich anschickte, Russland ins 21. Jahrhundert zu führen, wie es der Landesvater salbungsvoll formulierte.

      Borja schwoll der Hals. Immer lauter wurde sein Gegrummel. „Betrug… fick deine Mutter … Hurensohn…!“ schimpfte er vor sich hin. Die Umsitzenden drehten die Köpfe in seine Richtung, die feierliche Zeremonie drohte aus dem Ruder zu laufen. Doch ehe Borja richtig laut werden konnte – was er aus Angst vor einem öffentlichen Skandal eh nicht getan hätte – tauchten zwei kräftige Burschen der Lagerwache auf und schafften ihn vom Veranstaltungsort weg in den Wald. Er bekam ein paar kräftige Schläge ins Kreuz und die Anweisung mit auf den Weg, sich nicht mehr sehen zu lassen, solange der Präsident anwesend war.

      Ja, das musste es sein. Dafür wurde er nun zu Timofejew beordert. Schwachkopf, Idiot, Blödmann beschimpfte er sich selbst. Musste er unbedingt die Klappe aufreißen? Er war doch sonst nicht so, sinnierte er vor sich hin, während er über Kiefernwurzeln stolperte und ihm der Schweiß in die Augen rann. Hatte er sich nicht immer den Autoritäten untergeordnet? Erst den Eltern und der Großmutter, später den Lehrern. Und selbst dann, als die Lage im Lande undurchsichtig wurde, als seine Freunde von einer Karriere als Mafiosi träumten und wohl auch die ersten Schritte in der Richtung unternahmen, wirkten die elterlichen Ratschläge noch nach. „Wir mögen arm sein, aber wir sind ehrlich“, hatte ihm sein Vater eingebläut, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes.

      Dass diese Maxime für die Nachbarschaft, aber nicht unbedingt für Werkzeuge und Material aus der Metallbude galt, in der der Vater für eine Handvoll Rubel schuftete, war ein

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