Diamantentropfen. Manfred Quiring

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Diamantentropfen - Manfred Quiring

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Nur der Kluge hat die Chance, das Provinznest hinter sich zu lassen, davon war er überzeugt. Und das hatte bisher auch geklappt. Sein Schulabschluss war mehr als passabel. Ein Verwandter in der Hauptstadt war behilflich gewesen, um einen Studienplatz am berühmten Baumann-Institut zu ergattern: Elektronik, das war die Zukunft.

      Als er das erste Mal durch das große Tor in der Muschelkalkfassade an der Jausa getreten war, hatte ihn Ehrfurcht vor dem Tempel der Bildung und Dankbarkeit erfasst. Onkel Petja wusste eben, wann und wem man wie viel in die Hand zu drücken hatte, um einen der rar gewordenen kostenlosen Studienplätze zu bekommen. Nur die Leistung allein war eben noch kein Freifahrtschein zu den höheren Weihen der Bildung.

      Bedrückt schlich Borja durch den Kiefernwald. Von der Freilichtbühne schallten Popsa-Klänge herüber. Unter anderen Umständen hätte er gerne zugeschaut, wie die Mädchen wie Gummibälle zur Musik hüpften und ihre T-Shirts feucht wurden… Heute hatte er keinen Blick dafür, ebenso wenig für die schlaff im lauen Wind hängenden Transparente. Er kannte ihren Inhalt auswendig: Die Jugend müsse Russlands bedrohte Souveränität schützen, der ukrainische, früher der estnische und georgische Faschismus werde nicht durchkommen.

      Der Verkaterte hatte andere Sorgen. Die Vorwürfe, die er zu gewärtigen hatte, schienen klar. Er musst nur noch überlegen, wie er sich verhalten sollte. Sich stolz dazu bekennen, dass sein Einwand berechtigt gewesen sei, lediglich in der Form unangemessen? Von der Kreml-Jugend hatte er ohnehin nicht mehr viel zu erwarten. Auch im dritten Sommer hatte er es noch immer nicht zum Kommissar gebracht, dieser Karrierezug war abgefahren. Oder sollte er doch lieber den Zerknirschten mimen, sich virtuell im Staub wälzen und Besserung geloben in der Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren war? Zögernd klopfte er an das Holzbrett, das am Eingang zum Führungszelt angebracht war.

      „Herein!“ blaffte eine Stimme freundlich. Borja schlug die Zeltbahn zur Seite, trat ein und sah sich Timofejew gegenüber. Im Hintergrund standen zwei dunkle Gestalten, die er hier noch nie gesehen hatte. Breitbeinig, auf den Zehenspitzen wippend, blickte der Lagerchef ihm abwartend entgegen. Er trug einen teuren Marken-Laufanzug, um den Hals hatte er ein weißes Handtuch geschlungen, auf der Stirn perlten noch die Schweißtropfen seines rituellen Morgenlaufs. Väterlich-besorgt blickte er Borja von unten in die Augen. „Wolkow, Wolkow – was soll ich nur mit Dir machen? Musste das denn sein? Ich meine, wir haben hier so viele Möglichkeiten, wir bieten Perspektiven… und Du?“ Na los, dachte Borja schicksalsergeben, nun beschimpf mich schon, sag, dass ich die Ehre des Lagers vor dem Angesicht des Präsidenten beschmutzt habe. Oder so was Ähnliches.

      Timofejew hatte ursprünglich die Sauferei unter den Teppich kehren wollen. Macht einen schlechten Eindruck in Moskau, wenn man dort erfahren muss, dass er seine Zöglinge nicht richtig im Griff hat. Doch die Jungs aus dem Team der Kremlverwaltung waren ihm in den Arm gefallen „Was denn, bist Du verrückt geworden? Willst Du etwa die Störung der Veranstaltung an die große Glocke hängen? Willst Du ihn bestrafen, weil er öffentlich widersprochen und seine Meinung gesagt hat?“

      „Aber wir müssen doch standhaft, konsequent…“ Timofejew, der sonst so Redegewandte, stotterte hilflos angesichts des Gegenwindes, den er unerwartet verspürte. „Mensch, unsere Feinde warten doch nur darauf, dass wir Fehler machen. Und sie sind überall, auch hier“, belehrten ihn die geleckten Moskauer Typen. Timofejew schaute sich unwillkürlich um, als stünde der Gegner bereits hinter ihm.

      „Quatsch“, fuhren im die Aufpasser in die Parade. „Natürlich nur bildlich gesprochen, obwohl uns noch zu viel Informationen über das Lagerleben nach außen dringen. Da muss was passieren. Aber darum geht es jetzt nicht. Jetzt müssen wir ein Exempel statuieren und gleichzeitig verhindern, dass verleumderische Gerüchte die Runde machen. Oder möchtest du, dass es im Internet heißt, Wolkow sei gemaßregelt werden, weil er den Präsidenten kritisiert hat? Dass es selbst im Lager am See schon unzufriedene Stimmen gibt, in einer Zeit, wo die mit Dollars bezahlte Opposition sich mausig macht?“

      Timofejew, aufgewachsen im Labyrinth der Bürokratie mit ihren Fallstricken, begann zu ahnen, worauf seine Kuratoren hinaus wollten. Es galt Wolkow zu maßregeln, ohne dass ein Zusammenhang mit der Veranstaltung vom Vortage hergestellt werden konnte.

      „Also, Wolkow…“, knurrte Timofejew den Täter an. Borja, inzwischen bereit, ausgiebig Selbstkritik zu üben, murmelte so etwas wie „Hätte besser den Mund halten sollen…, bei so einer Veranstaltung…, Disziplin üben…“

      Timofejew wischte die Worte mit einer Handbewegung in die Zeltecke. „Wolkow, darum geht es nicht!“ Überraschung und Unverständnis machte sich auf Borjas Gesicht breit. Da waren also seine ganzen Überlegungen des Morgens vergebens gewesen, zum Teufel. Was aber wollte der Lagerchef?

      „Du hast gesoffen, nicht zum ersten Mal übrigens“, sagte Timofejew. Wobei die Lautstärke sich auf der nach oben offenen Dezibel-Skala deutlich aufwärts bewegte. Na und, dachte Borja, ich bin doch nicht der Einzige, und du mit deinen Dorfschönen? Das geht doch auch nicht ohne erfrischende Getränke ab.

      Dieser Gedanke zauberte ein leises Grinsen auf sein Gesicht, was Timofejew prompt missverstand. „Da gibt es nichts zu Grienen, Du hast grob gegen die Lagerordnung verstoßen, das zieht strenge Konsequenzen nach sich!“ Die Typen im Hintergrund nickten zustimmend mit ihren gegelten Köpfen.

      „Deine Zeit hier ist zu Ende. Wache!“ brüllte der kleine Napoleon aus voller Kehle. Zwei Muskelprotze stürzten herein, bereit, jeden Widerstand im Keime zu ersticken. Aber da stand nur Borja, erschrocken vom Verlauf seines Gesprächs und zu keiner physischen Aktivität fähig. Seine wie zugeschnürte Kehle ließ nur ein Krächzen hören. „Begleitet den Burschen“, befahl Timofejew. „Er hat 30 Minuten Zeit, seine Sachen zu packen. Dann bringt ihr ihn zum Lagertor. Mittags fährt dort ein Versorgungsfahrzeug ab, das kann ihn nach Moskau bringen. Du willst doch nach Moskau?

      Kapitel 2 - Unterwegs mit einem Glaubensritter

      Eine Stunde später saß Borja mit seinen Sachen vor dem Lagertor. Von Warja hatte er sich nur im Vorbeigehen verabschieden können, wobei ihm im Hintergrund das zufriedene Grinsen des Rjasaners aufgefallen war. Wenigstens die Nummer ihres Mobiltelefons hatte sie ihm noch gegeben. Dann führte die Wache ihn ab.

      Der Lkw kam gegen Mittag. Borja schaute stumpfen Blickes zu, wie ein paar Freiwillige die Lebensmittel für das Lager von dem Ural-Lkw abluden. Ihn ging das nichts mehr an, sollten sie doch sehen, wie sie zurechtkamen. „Bist Du das, den ich mitnehmen soll? Na, dann los!“ Ein kleiner, drahtiger Mann mit zerfurchtem Gesicht, eine Zigarette der Marke Sojus-Apollo im Mundwinkel, winkte ihm zu und kletterte ins Fahrerhaus. Borja raffte seinen Rucksack und stieg auf der Beifahrerseite zu.

      Der Fünftonner, der seine besten Jahre vor dreißig Jahren in der Sowjetarmee gehabt haben musste, setzte sich geräuschvoll in Bewegung. Sie ließen Ostaschkow rechts liegen, bogen auf die M111 ein und fuhren Richtung Torschok. Borja versuchte, den Fahrer in ein Gespräch zu verwickeln. Der gab mit ein paar ablehnenden Grunzlauten zu verstehen, dass er daran kein Interesse habe. Also rollte sich Borja auf der Sitzbank zusammen und schlief ein.

      Zwei Stunden später weckte ihn ein Rütteln. „Los, du musst hier raus“, knurrte der Lkw-Fahrer. Borja schaute überrascht aus dem Wagenfenster. „Aber wir sind doch noch gar nicht in Moskau“, begehrte er auf.

      „Da fahre ich auch gar nicht hin, hat dir das keiner gesagt?“

      „Nein, wo sind wir denn?“

      Der Fahrer brummte etwas, das wohl Torschok heißen sollte. In einem Anfall von Kommunikationswut fügte er hinzu: „Ich fahre die M 10 nach Norden, nach Piter. Du willst ja wohl nach Moskau, musst dir also jemanden suchen, der nach Süden fährt.“

      Borja

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