Mausetot auf hoher See. Inge Hirschmann
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Ab und an flippte jemand aus, weil er zuviel getrunken hatte, woraufhin ihm in schlimmeren Fällen eine Laktoseinfusion (kostenpflichtig, in bar zu bezahlen) und in unbedenklichen eine Schlafkabine (Ausnüchterungszelle auf Deck eins) zuteil wurde. Eine richtige Zelle war das allerdings nicht, stattdessen ein abschließbares Kabuff von Kabine mit Kunststoffboden statt Teppich und weißer Baumwollbettwäsche, die Kochtemperaturen vertrug. Nicht zu vergessen die flüssigkeitsabweisende Molton-Einlage über der Matratze.
Jeder Sicherheitsmann verfügte aus Hygienegründen über die besagten Latexhandschuhe. Außerdem über Handschellen und ein Pfefferspray. Eins von der Sorte, für die man nur volljährig sein musste und nicht mal den Kleinen Waffenschein benötigte. Spielzeug, aber besser als gar nichts.
Aber es waren schon auch richtige Gefängniszellen an Bord, tief im Bauch des Schiffes auf Deck A, dem Vorhof zur Hölle
- also zum Maschinenraum, wo es unerträglich heiß und nervenaufreibend laut war. Diese Räumlichkeiten trugen den schönen Spitznamen »Rattenkäfige«. Acht an der Zahl. So viele, hatte Adam im ersten Schreck gedacht, als Sandtner sie das erste Mal erwähnt hatte. Und das, nachdem Adam schon die eine oder andere Woche an Bord war.
»Und wofür - für wen sind die, Chef?«
Da hatte Sandtner so ein wölfisches Grinsen aufgesetzt. Adam erinnerte er immer stark an einen emeritierten bayerischen Politiker in jüngeren Jahren, was vielleicht nur an der Gleichheit der Vornamen lag. Aber er war auch ein bisschen dieser Typ: dunkelblondes, ergrautes Haar, hohe Stirn, strenger Blick. Und eine hellwache Intelligenz hinter den etwas stechenden, dunkelbraunen Augen. Dass dieser Mann schon so einiges erlebt hatte, konnte und wollte er wohl auch nicht verheimlichen. Außer natürlich der Presse gegenüber.
»Warten Sie's ab, Asbeck: Bisher hat sich noch jedesmal ein
Vögelchen gefunden, das in einen der Käfige gesteckt werden musste. Die sind nämlich mehr für den Bereich ›Delikte am Menschen‹. Oder haben Sie geglaubt, mit ihren Jiu-Jitsu-Künsten nur Taschendiebe und Grapscher beeindrucken zu müssen?«
Die Rattenkäfige also...
Adam hatte damit gerechnet, seinen nahezu allmächtigen Vorgesetzten eine Woche lang vollbimsen zu müssen, bis der sie ihm zeigen würde. Oder besser gleich den direkten Weg über Jochen Kornreder zu versuchen, seinen neuen Kumpan an Bord, mit dem er sich die Kabine teilte. Was heißt, Kabine: eher ein größeres Klo, das, wäre es ein separater Wohncontainer gewesen, sich mit etwas Training zur Not noch mit einer Sackkarre hätte transportieren lassen. Und das für zwei ausgewachsene Männer! Es ging aber das Gerücht, dass auf Schiffen unter anderer Flagge als der deutschen durchaus auch Sechserkabinen vorkommen sollten.
Freilich hätte er auch auf eigene Faust losziehen können mit seiner Chipkarte, die fast überall sperrte, und den Kerker eigenhändig suchen. Aber er war erst einmal dort unten gewesen im Bauch des fast dreihundert Meter langen Schiffes und hatte seitdem eine Heidenangst, sich zu verirren. Deck A und B waren ein Labyrinth von Hogwarts'schen Ausmaßen. Eigentlich war seine Orientierung ziemlich gut, nur nicht in Gängen, die noch nie einen rechten Winkel gesehen hatten, und unter jeglichem Ausschluss von Tageslicht.
Aber so schwierig war es sowieso nicht, eine Besichtigungstour durch den Kerker zu ergattern: Die Bordsecurity war regelrecht stolz auf ihr Gruselkabinett. Acht Zellen entlang eines Korridors sieben Meter unter der Wasserlinie, alle in einer Reihe und mit wenig mehr möbliert als einem am Boden festgeschweißten Bettgestell mit Matratze, einem Klapptisch und einer Toilette samt Waschbecken. Davor eine Gittertür, also Stahlstäbe von oben bis unten ohne auch nur einen Hauch von totem Winkel. Nicht einmal austreten konnte ein Häftling gehen, ohne dass ihm gegebenenfalls ein Sicherheitsmann dabei zusah. Die Lüftung war aber ausgezeichnet. Zustände wie in einem amerikanischen Knast waren das, einen solchen hatte Adam vor etlichen Jahren, noch in seiner guten Zeit als Polizist, einmal besucht. Studienreise für besonders fähige Polizeibeamte, Schwerpunkt Arizona, wo seit Jahrzehnten der scheinbar alterslose Sheriff Joe Arpaio ein hartes und gerechtes Regiment führte. Mit einem Hauch von Wehmut erinnerte er sich an diese hochinteressante Reise zurück - und ohne den Hauch einer Ahnung, wie oft er später noch im Schichtdienst hier unten herumsitzen und irgendwelches Gelichter bewachen helfen würde.
Wahrscheinlich war die »Symphony« wirklich ein Sonderfall. Und doch: Bis weit nach Feuerland würden sich die bösen Kräfte an Bord noch Zeit nehmen, sich zu sammeln...
»Du, Jochen?«, fragte er eines Abends seinen Zimmergenossen.
»Ja?«
»Ich glaube, der Chef hat mich da ganz kolossal hochgenommen bei meiner Einstellung. Um nicht zu sagen, verarscht.«
»Sandtner oder der Käpten?«
»Du bist lustig! Den Käpten hab ich bisher noch überhaupt gar nicht gesehen.«
»Ja, klar eigentlich. Der hat eine andere Kantinenschicht, und abends isst er oft mit unseren Gästen. Also Sandtner?« Einen Meter unter Adam wälzte Jochen sich geräuschvoll auf den Bauch. Er war eher schlank gebaut, aber mit breiten Schultern, und so groß, dass es im Bettgestell doch erheblich quietschte, wenn er sich bewegte. Außerdem schnarchte er. Na ja, Adam wahrscheinlich auch. Er wusste es nicht, da er seit Jahren als Single gelebt und somit diesbezüglich kein Feedback erhalten hatte. Dass Jochen sich bisher nicht beschwert hatte, konnte einfach an seinem friedliebenden Charakter liegen. Adam hatte sich ja im Gegenzug auch noch nie beschwert wegen gleichfalls grundsätzlich pazifistischer Gesinnung. Beide wollten Harmonie in der engen Bude haben.
»Ja, Sandtner.«
»Aber geh, Sandtner - der hat doch nicht den Hauch von Humor. Wenn der was sagt, meint er's immer total ernst. Kurze Ansage, wenn Kacke am Dampfen - wenn du verstehst, was ich meine.«
Jochen Kornreder stammte aus dem Chiemgau, soviel hatte Adam schon herausgefunden. Recht viel redete der Lange darüber aber nicht, das schien kein angenehmes Thema für ihn zu sein. Nur soviel, dass er eigentlich als Animateur auf die »Symphony« gekommen war und sich dann schnell für einen anderen Job beworben hatte, wo das Kasperletheater sich in Grenzen hielt.
Adam erwiderte nichts. Das musste er erst einmal sacken lassen. Außerdem erforderte die pure Vernunft, dass sie beide sich bald mal ein Mützchen Schlaf holten. Es war schon gleich Mitternacht (Bordzeit), und früh um acht begann die nächste Tagschicht. Eine Doppelschicht von acht bis zweiundzwanzig Uhr. Die Nachtschicht dauerte hingegen nur zehn Stunden, aber das war im Dunkeln auch ganz schön viel. Der Tagdienst also: vierzehn Stunden mit einer klitzekleinen Mittagspause, die auch wieder schichtweise genommen werden musste. Also halb sieben aufstehen, Morgentoilette mit obergründlicher Rasur, Frühstück fassen und zur Überbrückung der langen Hungerphase bis zwei Uhr nachmittags, wo sie beide zum Mittagessen eingeteilt waren, noch eine Käsesemmel einstecken. Solche Tricks hatte Jochen ihm schon gleich am Anfang beigebracht. Obwohl Adam spätestens am zweiten Tag mit nagenden Hungerqualen im leeren Magen vermutlich von selbst drauf gekommen wäre. Jochen war von Anbeginn ein wirklich guter Freund.
Dasselbe anlässlich der Mittagspause machen, zur Not mit ein paar Scheiben nackigem Brot, das keine Flecken in der Hosentasche hinterließ, weil es danach wieder siebeneinhalb Stunden durchging. Jeder Sicherheitsmann hatte seine feste Runde, auf der ihm tunlichst nichts Verdächtiges entgehen sollte. Oder Edmund Sandtner würde dem fahrlässigen Sünder höchstpersönlich die Ohren wegrasieren. Jedenfalls rechneten alle neu eingestellten Sicherheitsleute permanent mit solchen Sanktionen. Der Mann hatte einen Ruf wie Donnerhall. Sagte zumindest Jochen. Weil nämlich: