Wenn Rache süchtig macht. Heidi Oehlmann

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Wenn Rache süchtig macht - Heidi Oehlmann

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fanden. Wieder mache ich mir Gedanken, ob mein Restbestand Eisenhut gereicht hat.

      »Hallo!«, rufe ich.

      Es kommt keine Reaktion.

      Ich stelle meinen Teller auf den Tisch und gehe zu Dieter. Ich schaue ihm in seine starren Augen. Noch bewegt er sich. Er versucht, mit seiner linken Hand nach mir zu greifen. Es gelingt ihm nicht. Für mich sieht es so aus, als ob ihn jemand daran hindern würde, sich zu bewegen. Er ist wie gelähmt. Der Eisenhut zeigt also seine Wirkung. Im Moment kann ich nichts tun. Ich kann nur warten, bis Dieter seine letzte Kraft ausgeht.

      Also gehe ich zu Wolfram und fühle seinen Puls. Schnell wird mir klar, er lebt noch. Sein Puls ist schwach. Ich setze mich auf den zweiten Sessel und warte. Mein Blick wandert zwischen den beiden Männern hin und her.

      Ich erkenne mit jeder Minute, die ich in meiner Position verharre, dass Dieter schwächer wird. Nach einer letzten kleinen Zuckung liegt er reglos auf dem Sofa. Ich gehe zu ihm, prüfe seinen Puls und weiß, er hat es hinter sich. Dieter ist tot.

      Für einen Moment bleibe ich bewegungslos stehen und starre ihn an. Dieser Mann kann nie wieder eine Frau verletzen. Ich lächele zufrieden vor mich hin.

      Dann kommt mir Wolfram wieder in den Sinn. Ich gehe zu ihm rüber und studiere erneut seinen Puls. Er ist schwächer, als bei der letzten Messung. Also ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er seinen letzten Atemzug hinter sich hat. Ich will nicht mit ihm im Wohnzimmer auf das Ende warten. Also entschließe ich mich, mit der Spurenbeseitigung zu beginnen.

      Ich schnappe mir die Teller und gehe in die Küche. Die Essensreste fülle ich in die Tüte, die schon zur Anlieferung der Speisen diente. Die Styroporschächtelchen, in denen sich das Essen befand, stopfe ich ebenfalls in die Tüte. Nachdem alles darin verstaut ist, stelle ich den Beutel in den Flur vor die Wohnungstür und bläue mir ein, sie nachher nicht zu vergessen.

      Ich greife in meine Tasche, die ebenfalls im Flur steht, und ziehe Marcs Geschirrtuch raus. Ich spüle erst das Geschirr, trockne es ab und verstaue es wieder in dem Küchenschrank. Dann beseitige ich meine Fingerabdrücke. Mit Marcs Geschirrtuch mache ich mich erst in der Küche und anschließend im Badezimmer zu schaffen. Ich wische jeden Schrank und jeden Griff ab. Selbst das Waschbecken im Bad und die Arbeitsplatte in der Küche bleiben nicht vor mir verschont.

      Nachdem ich mir sicher bin, an alles gedacht zu haben, gehe ich zurück in die Stube. Auf Dieter werfe ich nur von Weitem einen kurzen Blick. An seinem Zustand wird sich kaum etwas verändert haben. Meine Aufmerksamkeit gilt Wolfram. Ich halte mein rechtes Ohr vor sein Gesicht und kann ein leichtes Atmen spüren.

      »So ein Mist! Dieser Typ will einfach nicht aufgeben!«, fluche ich in Zimmerlautstärke.

      Ich bin ratlos, ich weiß nicht, was ich tun soll. Nun bestätigt sich das, was ich zuvor in der Bar befürchtete. Mein Vorrat an Eisenhut reichte nicht mehr für zwei Männer. Es wundert mich nicht, dass gerade Wolfram noch nicht im Reich der Toten ist. Er ist viel kräftiger oder besser gesagt viel fetter als der dürre Dieter. Vielleicht hätte ich mein Trockenpulver besser verteilen müssen. Der Dicke hätte eine größere Portion bekommen sollen als der Dünne.

       Nun ist es zu spät!

      Ich denke erneut darüber nach, ob ich wirklich alle Spuren beseitigt habe. Obwohl ich im Wohnzimmer, außer den beiden Männern nichts anfasste, gehe ich auf Nummer sicher und wische sowohl den Tisch als auch den Schrank oberflächlich ab.

      Als meine Arbeit getan ist, gehe ich ein weiteres Mal zu Wolfram, checke seinen Puls und seine Atmung, um festzustellen, er lebt immer noch. Er scheint in der Zwischenzeit zwar schwächer geworden zu sein, aber ich weiß nicht, ob es reicht, um meinen Plan als ausgeführt anzusehen.

      Hibbelig und unruhig laufe ich auf und ab. Dann entdecke ich den Schnaps unter dem Tisch stehen. Mir wird ganz schwindelig bei dem Gedanken, wenn ich die Flasche, auf der sich meine Fingerabdrücke befinden, beim Verlassen der Wohnung übersehen hätte. Um ein Haar hätte ich Spuren hinterlassen.

       So was darf mir nicht passieren! Ich muss einfach besser aufpassen!

      Die Flasche ist noch fast voll. Das bedeutet, die beiden Schmierlappen haben kaum etwas getrunken. Ich denke über die Kombination von Gift und Alkohol nach. So weit ich weiß, kann Alkohol die Wirkung von Medikamenten beeinflussen. Also kann er doch auch Einfluss auf das Gift nehmen. Da die Pulle Schnaps sowieso weg muss, greife ich nach ihr. Ich drehe den Schraubverschluss auf, öffne Wolframs Mund und flöße ihm den Stoff ein.

      »Mist!«, fluche ich.

      Die Hälfte des Schnapses fließt ihm aus dem Mund. Ich drücke seinen Kopf weiter nach hinten und gieße das Gesöff langsamer ein. Es scheint zu funktionieren. Zumindest läuft kaum noch etwas daneben. Geduldig warte ich, bis sich die Flasche leert.

      Ich schraube den Deckel auf die leere Pulle und bringe sie gleich, bevor ich sie doch noch vergesse, in den Flur zu dem anderen Müll. Dann gehe ich zurück zu Wolfram und horche, ob er atmet. Ich bin erleichtert, als ich keine Atmung feststellen kann. Mit der Gewissheit, dass er keiner Frau mehr zu nahe kommen kann, gehe ich ein letztes Mal durch die Wohnung. In jedem Raum verweile ich einen Moment, um sicherzugehen, nichts übersehen zu haben.

      Als ich davon überzeugt bin, an alles gedacht zu haben, schnappe ich mir den Müllbeutel im Flur und öffne die Tür. Hastig wische ich die Türklinke der Wohnungstür mit Marcs Geschirrtuch ab und verlasse die Wohnung, ohne neue Spuren zu hinterlassen.

      Geschafft! Nun bin ich draußen. Die frische Luft tut mir gut. Ich mache mich auf den Heimweg. Unterwegs schaue ich mich ständig nach einer Möglichkeit um, den Müll zu entsorgen. Die ersten Mülltonnen lasse ich links liegen. So nah an Wolframs Haus möchte ich den Beutel mit den Beweisen nur ungern wegwerfen. Zu nah an meiner Wohnung will ich die Tüte aber auch nicht wegschmeißen. Also beschließe ich einen Umweg über den nahe gelegenen Park zu machen, um dort die Beweise verschwinden zu lassen. Tagsüber halten sich so viele Leute in dem Park auf, da wird es nicht weiter auffallen, wenn ich die Mülltüte in einem der unzähligen Papierkörbe entsorge.

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