Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein Kind unserer Zeit - Ödön von Horváth страница 6
Ein kleines Männchen, eine elende Ratte.
Die beiden hängen sich in die Ratte und lächeln: »Wir wollen noch reiten – bitte, bitte!« »So oft ihr wollt«, sagt die Ratte.
Ich blicke nach der Preistafel.
Einmal reiten kostet fünfzig.
Und so oft ihr wollt?
Viel zu teuer für mich.
Aber so treibens halt die feschen Weiber!
Lieber eine alte Ratte, die nach Geld stinkt, als ein junger durchtrainierter Mann, der außer seiner selbst nur zwei silberne Sterne am Kragen besitzt.
Da nützen auch die weißen Handschuhe einen großen Dreck.
Ich verlasse das Hippodrom und wandle langsam die Buden entlang, ohne ein direktes Ziel.
Rechts gibts den Mann mit dem Löwenkopf und links die Dame mit dem Bart.
Ich bin etwas traurig geworden.
Die Luft ist lau – ja, das ist der Frühling und nachts konzertieren die Katzen. Wir hören sie auch in der Kaserne.
Der Abend kommt und am Horizont geht der Tag mit einem lila Gruß. Hinter mir ist es schon Nacht.
Und wie ich so weiterwandle, treffe ich einen unangenehmen Gedanken: es fällt mir auf, daß diese Ratte im Hippodrom mein Volksgenosse ist. Und ich sehe mich im Kasernenhof stehen und schwören, für das Vaterland zu sterben, jederzeit für unser Volk.
Also auch für diese elende Ratte?
Nein, hör auf! Nur nicht denken! Durch das Denken kommt man auf ungesunde Gedanken.
Unsere Führer werdens schon richtig treffen!
Und da kommt ein zweiter Gedanke, ich kenne ihn schon.
Er begleitet mich ein Stück und läßt mich nicht los.
»Eigentlich«, sagt er, »liebst du ja niemand« – Ja, das ist wahr.
Ich mag keine Seele leiden –
Auch mich nicht.
Eigentlich hasse ich alle.
Nur unseren Hauptmann nicht. –
Und weiter wandle ich die Buden entlang dem Ende zu und erreiche das verwunschene Schloß mit seinen Giebeln und Türmen und Basteien. Die Fenster sind vergittert und die Drachen und Teufel schauen heraus.
Aus dem Lautsprecher tönt ein leiser Walzer. Es ist eine alte Musik. Sie wird immer wieder übertönt, diese Musik, durch Gelächter und Gekreisch. Das sollen die Leute von sich geben, die drinnen sind. Man solls nämlich draußen hören, daß es ihnen drinnen gefällt.
Aber ich kenne das schon.
Alles Schwindel!
Es ist eine Grammophonplatte, diese ganze laute Freude – nur um das Publikum anzulocken. Es ist nichts dahinter, und ich fall nicht drauf rein, auf solche Narrenpaläste, in denen man das Gruseln lernen soll. Das ist mir zu blöd.
Ich will schon wieder zurück, da blicke ich nach dem Eingang, ohne mir dabei etwas zu denken, gewissermaßen automatisch. Und ich halte an.
Oder wars mir nur so und ich bin weiter?
Möglich. Aber nach zwei Schritten halte ich tatsächlich und schaue noch immer hin.
Es ist jetzt ganz finster geworden und ich steh in der Nacht.
An der Kasse des verwunschenen Schlosses sitzt eine junge Frau.
Sie rührt sich nicht.
Es kommt kein Mensch.
Und einen Augenblick lang ist mir alles so fern, die ganze Welt, und ich denke, das Herz bleibt stehen. Es rührt sich kein Blatt, nur aus dem verwunschenen Schlosse tönt leise die alte Musik.
Sie hat große Augen, die junge Frau, aber es waren nicht ihre Augen, nicht der Mund und nicht die Haare – ich glaube, es war eine Linie –
Doch was red ich da?! Lauter Unsinn!
Ich weiß ja nur, daß ich stehen blieb, als war plötzlich eine Wand vor mir –
Unsinn, Blödsinn! Geh weiter!
Ich gehe weiter und stolpere.
Über was?
Über nichts. Es ist ja nichts da.
Aber nun lächelt die Frau, weil ich gestolpert bin. Sie hat es gesehen. Sie lächelt noch immer.
Ich betrachte sie genau.
Da schaut sie nicht mehr her. Sie nimmt einen Bleistift und schreibt vor sich hin – oder tut sie nur so, damit sie mich nicht sieht?
Warum will sie mich denn nicht sehen?
Wahrscheinlich weil ich ihr nicht gefall –
Sie wird schon einen haben, irgendeinen Budenkönig.
Einen Seiltänzer, Messerschlucker, dummen August –
Geh weiter!
Ich geh, aber ich komme nicht weit. Nur über die Straße. Dort steht ein Eismann und ich kaufe mir ein Eis. Ich kanns noch genau sehen, das verwunschene Schloß und die schreibende Frau.
Es kommt noch immer kein Mensch.
Ich schlecke mein Eis.
Es schmeckt nach nichts.
Es ist so kalt, daß ich lange Zähne bekomm wie ein altes Pferd.
Es tut schon direkt weh –
Warum kaufte ich es mir denn nur, dieses gefärbte Zeug?
Ich mag ja gar kein Eis!
Und während mir die Zähne immer länger werden, gesteh ichs mir ein, daß ich es mir nur deshalb kaufte, um die Frau dort drüben länger betrachten zu können. Komisch, ich weiß es noch immer nicht, ob sie mir gefallen könnt – ich weiß ja noch gar nicht, wie sie aussieht, wenn sie aufsteht. Vorerst kenn ich nur das von ihr, was über die Kasse herausschaut.
Vielleicht ist sie nur eine sogenannte Sitzschönheit –
Und wenn sie aufsteht, ist sie vielleicht kleiner, als wie wenn sie sitzt, oder gleich dreimal so groß –
Vielleicht ist sie ganz unproportioniert.
Na gute Nacht!
Jetzt schaut sie mich wieder an.
Diesmal etwas