Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth
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Plötzlich gibts mir einen Stich.
Ich halte.
»Warum hast du die Alte nicht gefragt, in welches Kino ihre Tochter gegangen ist? Du hast doch noch Zeit, Idiot!«
Ich eile zurück.
Aber das verwunschene Schloß ist bereits zu und es ist niemand mehr vorhanden. Ja, heute ists schon zu spät – Doch wartet nur, ich komme wieder!
Am nächsten Sonntag!
Dann komm ich gleich her, sofort um vierzehn Uhr –
Dann gibts nichts zu lachen!
Auf Wiedersehen, ihr Linien –
Ich muß immer lächeln, was ist mir denn nur?
Der Mond scheint, die Luft ist lau und die Katzen konzertieren.
Und als ich über den Kasernenhof gehe, seh ichs vor mir, das verwunschene Schloß mit seinen Giebeln und Türmen und Basteien. Die Fenster sind vergittert und die Drachen und Teufel, sie schauen heraus.
Der Hauptmann
Einst, wenn die Zeit, in der wir leben, vorbei sein wird, wird es die Welt erst ermessen können, wie gewaltig sie gewesen ist.
Unerwartet werfen oft die größten Ereignisse ihre Schatten auf uns, aber sie treffen uns nicht unvorbereitet.
Es gibt keinen Schatten der Welt, mit dem wir nicht immer rechnen würden. Wir fürchten uns nicht!
In der Nacht zum Freitag gabs plötzlich Alarm. Wir fuhren aus dem Schlaf empor und traten an mit Sack und Pack. Ausgerichtet, Mann für Mann.
Es war drei Uhr früh.
Langsam schritt uns der Hauptmann ab –
Langsamer als sonst.
Er sah noch einmal nach, ob alles stimmt – denn nun gibts keine Manöver mehr.
Rascher als wir träumten, kam der Ernst.
Die Nacht ist noch tief und die große Minute naht –
Bald gehts los.
Es gibt ein Land, das werden wir uns holen.
Ein kleiner Staat und sein Name wird bald der Geschichte angehören.
Ein lebensunfähiges Gebilde.
Beherrscht von einer kläglichen Regierung, die immer nur den sogenannten Rechtsstandpunkt vertritt –
Ein lächerlicher Standpunkt.
Jetzt steht er vor mir, der Hauptmann, und als er mich anschaut, muß ich unwillkürlich denken: wenn ich ihren Namen wüßte, würd ich ihr schreiben, direkt ins verwunschene Schloß.
»Wertes Fräulein«, würde ich schreiben, »ich wär am nächsten Sonntag gern gekommen, aber leider bin ich pflichtlich verhindert. Gestern war Donnerstag und heut ist schon Freitag, ich muß überraschend weg in einer dringenden Angelegenheit, von der aber niemand was wissen darf, denn darauf steht der Tod. Wann ich wiederkommen werd, das weiß ich noch nicht. Aber Sie werden immer meine Linie bleiben –«
Ich muß leise lächeln und der Hauptmann stutzt einen Augenblick.
»Was gibts?« fragt er.
»Melde gehorsamst, nichts.«
Jetzt steht er schon vor meinem Nebenmann.
Ob der auch eine Linie hat? geht es mir plötzlich durch den Sinn –
Egal! Vorwärts!
Das Vaterland ruft und nimmt auf das Privatleben seiner Kinder mit Recht keine Rücksicht. Es geht los. Endlich! – Einst, wenn die Zeit, in der wir leben, vorbei sein wird, wird es die Welt erst ermessen können, wie friedlich wir gewesen sind.
Wir zwinkern uns zu.
Denn wir lieben den Frieden, genau wie wir unser Vaterland lieben, nämlich über alles in der Welt. Und wir führen keine Kriege mehr, wir säubern ja nur.
Wir zwinkern uns zu.
Es gibt ein Land, das werden wir uns holen.
Ein kleines Land und wir sind zehnmal so groß – drum immer nur frisch voran!
Wer wagt, gewinnt – besonders mit einer erdrückenden Übermacht.
Und besonders, wenn er überraschend zuschlägt. Nur gleich auf den Kopf – ohne jede Kriegserklärung!
Nur keine verstaubten Formalitäten!
Wir säubern, wir säubern –
Heimlich, als wären wir Diebe, hatten wir die lächerliche Grenze dieses unmöglichen Staatswesens überschritten. Die paar Zöllner waren rasch entwaffnet – morgen sinds drei Wochen her, aber die Hauptstadt ist schon unser.
Heut sind wir die Herren!
Im Tal brennen die Dörfer.
Sie stehen in Flammen, umgeben von einer wilden Bergwelt.
Bravo, Flieger!
Obwohl ich euch persönlich nicht riechen kann, muß mans doch der Gerechtigkeit halber anerkennen: Ihr habt ganze Arbeit geleistet!
Nichts ist euch entgangen, auch wenn sichs noch so sehr den Bodenverhältnissen angepaßt hat.
Alles habt ihr erledigt – bravo, Flieger! Bravo!
Schießt das Zeug zusammen, in Schutt und Asche damit, bis es nichts mehr gibt, nur uns!
Denn wir sind wir.
Vorwärts!
Frohen Mutes folgen wir eueren Spuren –
Wir marschieren über ein hohes Plateau.
Um uns gähnen Abgründe und drunten rauschen die Wasser.
Es ist ein milder Abend mit weißen Wölklein an einem rosa Horizont.
Vor zwei Stunden nahmen wir fünf Zivilisten fest, die wir mit langen Messern angetroffen haben. Wir werden sie hängen, die Kugel ist zu schad für solch hinterlistiges Gelichter. Aber der Berg ist kahl und ganz aus Fels, nirgends ein Busch. Wir führen sie mit uns, unsere Gefangenen, und warten auf den nächsten Baum.
Sie sind aneinandergefesselt, alle fünf an einen Strick. Der Älteste ist zirka sechzig, der Jüngste dürfte so siebzehn sein.
Ihre Sprache ist häßlich, wir verstehen kein Wort.
Ihre Häuser sind