Das Wunder Mozart. Harke de Roos
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So innovativ und dynamisch die beiden Herren auch waren, ihre Fortschrittlichkeit hielt sich in klar definierten Grenzen. Niemals hätten sie die bestehende Gesellschaftsstruktur in Frage gestellt, dazu gehörten sie selbst zu sehr zum System. Kaunitz war ein Aristokrat wie aus dem Bilderbuch, und auch van Swieten war kein Gesellschaftserneuerer, der die Vormachtstellung des Adels einschränken wollte. Das Lieblingsthema des Barons war die Religion. Er war erklärter Anhänger des so genannten Jansenismus, einer Reformbewegung innerhalb der katholischen Kirche, die auf der Lehre von Augustinus basiert. Als van Swieten 1745 nach Wien berufen wurde, stand Maria Theresia gerade unter starkem Einfluss der Jesuiten. Jansenisten verhalten sich jedoch zu Jesuiten wie Wasser zum Feuer. Van Swieten fing sofort an, die Jesuiten zu bekämpfen und sie aus der Nähe der Kaiserin zu vertreiben. Es gelang ihm tatsächlich, ihren Einfluss auf die Monarchin zu brechen, aber gänzlich löschen konnte er Maria Theresias Jesuitenliebe nicht.
Kaunitz und van Swieten prägten die Atmosphäre am Wiener Hof, wo die österreichischen Prinzen, Erzherzöge genannt, aufwuchsen. Die Spuren dieses Einflusses sind zahlreich. Nicht von ungefähr wurde Leopold zum bekennenden Jansenisten und Jesuitengegner. Trotzdem vermochte er sich nicht der Anordnung seiner Mutter zu widersetzen, seinen eigenen Sohn Franz von Jesuiten erziehen zu lassen.
Die folgenschwerste Einflussnahme auf die Erziehung der drei ältesten Erzherzöge Joseph, Karl und Leopold war die Auswahl ihrer Lehrer. Für den gesamten Adelsstand bedeutete sie nichts weniger als das Hereinholen eines Trojanischen Pferdes. Unversehens geriet Kaunitz in die Lage des sprichwörtlichen Zauberlehrlings und weckte Kräfte, die er nicht mehr zu zügeln imstande war. Über den Einfluss der Lehrer auf Karl können wir nichts sagen, da dieser mit sechzehn Jahren an den Pocken starb. Dafür aber haben sowohl Joseph als auch Leopold die Lehre ihrer Erzieher doppelt und dreifach vertreten. Beide haben sich zu radikalen Reformern entwickelt, allerdings unter verschiedenen Vorzeichen. Josephs Reformen waren spektakulär, aber keine wirkliche Bedrohung für das Gesellschaftssystem. Zwar hat er während seiner zehnjährigen Alleinherrschaft viele Adelsprivilegien abgeschafft und Hunderte von Klöstern schließen lassen, aber im Grunde war er ein Despot und somit Teil des damaligen Systems. Zudem liebte er das Militär und wurde, bevor er zur Alleinherrschaft gelangte, als Reformer fünfzehn Jahre lang von der Mutter ausgebremst.
Im Gegensatz zu Josephs Reformen richteten die Maßnahmen des jüngeren Bruders sich gegen das System selbst. Der von Jacques Sauboin und dem Belgier Jean Brasseur ausgebildete Leopold setzte auf Überzeugungskraft statt Autokratie und auf Beharrlichkeit statt Überrumpelung. Er pflegte seine Reformen gründlich vorzubereiten und ließ ihnen Erprobungsphasen vorangehen. Nicht selten nahm er sie vorübergehend zurück oder entschärfte sie, wenn ihre Akzeptanz hinter den Erwartungen zurückblieb.
Bekanntlich ist Behutsamkeit eine Eigenschaft, die leicht missverstanden wird. Leopolds Gewohnheit, einen Schritt rückwärts und zwei Schritte vorwärts zu gehen, hat ihm bis heute den Ruf eingebracht, schwammig unentschlossen, ja sogar reaktionär gewesen zu sein. In Wirklichkeit jedoch waren seine Ziele glasklar und für jeden leicht verständlich. Er hat niemandem vorenthalten, dass er in seinem Herrschaftsgebiet nur einen Unterschied gelten lassen wollte, nämlich den zwischen Mann und Frau. Sein erklärtes Ziel war die Abschaffung aller gesellschaftlichen Stände und die Herstellung völliger Rechts- und Chancengleichheit für alle. Der Weg zu diesem Ziel war in Stufen eingeteilt. Die letzte und höchste Stufe war die Abschaffung der Monarchie oder deren Einbindung in die Verfassung. Er war tatsächlich der erste konstitutionell gesonnene Monarch der abendländischen Geschichte, mehr noch: er war der einzige Demokrat, der je einen Kaiserthron bestieg.
Zu seinem Bruder Joseph hatte Leopold zeitlebens eine zwiespältige Beziehung. Die beiden Brüder standen in einer engen Verbindung, die nach außen hin freundschaftlich aussah, hinter der Fassade aber manchen Riss aufwies. Leopold hatte dem ranghöheren Joseph zu gehorchen, was er auch immer tat, allerdings oft mit Widerwillen. Auch Joseph war nicht frei von Rankünen gegenüber dem Bruder, den er wie keinen zweiten Menschen auf der Welt respektierte, aber zugleich um den Erfolg und das Familienglück beneidete.
Ein ganz und gar eigentümlicher Aspekt in Leopolds Biographie besteht darin, dass seine gesellschaftlichen Auffassungen keine lange Entwicklung brauchten, sondern unmittelbar nach dem Erreichen der Volljährigkeit zur Geltung kamen. In Gegensatz zu Joseph bekam Leopold relativ früh die Gelegenheit, seine Ideen in die Praxis umzusetzen. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1765 war ihm dessen toskanisches Herrschaftsgebiet zugefallen. Ursprünglich war Leopolds älterer Bruder Karl als Großherzog der Toskana und er selbst als Gouverneur der Lombardei vorgesehen gewesen, aber nach dem Tode Karls war Leopold an dessen Stelle und der viel jüngere Ferdinand an Leopolds Stelle gerückt.
So trat Leopold bereits als 18-Jähriger die Regentschaft in der Toskana an. Im Gegensatz zu seinem Vater wollte er die traditionsreiche Provinz nicht von Wien aus regieren, sondern verlegte seine Residenz in die toskanische Hauptstadt. Bis zu seiner Thronbesteigung 25 Jahre später hat er Florenz nur für Dienstreisen und Familienbesuche verlassen. Auch legte er großen Wert auf das Erlernen der Landessprache, die er nach kurzer Zeit perfekt beherrschte.
Noch vor Antritt seiner Regierung trat Leopold in den Ehestand. Seine Braut war die spanische Prinzessin Maria Luisa von Bourbon. Die Verhandlungen mit dem spanischen König über die Vermählung der Infantin wurden vom österreichischen Gesandten in Madrid, Franz Xaver Wolf Graf Orsini-Rosenberg, geführt. Diesem fiel auch die Ehre zu, Leopolds Braut von Madrid zur Hochzeit nach Innsbruck zu geleiten. Der zu diesem Zeitpunkt 42- ährige Diplomat, der dem Kärntner Zweig einer bekannten Adelsfamilie entstammte, verdient hinsichtlich der Biographie Mozarts unser höchstes Interesse, wie übrigens auch Kaunitz und van Swietens Sohn Gottfried.
Ein halbes Jahr nach Leopolds Einzug in den Palazzo Pitti wurde Franz- Xaver Orsini-Rosenberg von Maria Theresia zum ersten Minister der Toskana und engen Berater des jungen Paares eingesetzt. Diese Anstellung war einerseits als Hilfestellung für den unerfahrenen Herrscher gedacht, in dessen Alleinregierung die Mutter wenig Vertrauen setzte. Andererseits gab sie der Monarchin eine Möglichkeit zur Kontrolle ihres Sohnes. Orsini-Rosenberg genoss das volle Vertrauen Maria Theresias und war gehalten, geheime Berichteüber den neuen Großherzog zu verfassen.
Leopold fasste seinerseits Vertrauen zu seinem Berater, der über eine regelrechte Begabung verfügt zu haben scheint, das Vertrauen anderer zu gewinnen. Leopold weihte seinen ersten Minister in seine geheimsten Pläne ein und bereitete gemeinsam mit ihm die ersten Reformen vor. Nach vier Jahren konnte Orsini-Rosenberg der Kaiserin melden, dass ihr Sohn keine Bevormundung mehr nötig habe und riet ihr, ihn allein regieren zu lassen. Im Jahre 1770 zog der Graf von Florenz nach Mailand, wo Leopolds jüngerer Bruder Ferdinand mit den Regierungsgeschäften vertraut gemacht werden sollte.
Kapitel 5 • Leopolds Alleinregierung der Toskana
Beim Regierungsantritt Leopolds steckte die Toskana, das Land, das einst Dante, Petrarca, Michelangelo, Leonardo und Galilei hervorgebracht hatte, in einer lang anhaltenden Phase des Niedergangs. Seit anderthalb Jahrhunderten hatte es stark an kultureller Bedeutung eingebüßt. Es kam noch hinzu, dass schlechte Regierungen und Leopolds Vater Franz Stephan das reiche Land heruntergewirtschaftet beziehungsweise ausgeplündert hatten. Ein Jahr zuvor, im Sommer 1764, hatte es sogar unter einer der schwersten Hungersnöte seiner Geschichte gelitten. Diese Not wurde dadurch verschlimmert, dass die Bauern, um nicht zu verhungern, ihr eigenes Getreide zu Wucherpreisen von den adeligen Großgrundbesitzern zurückkaufen mussten. Die Folgen dieser Katastrophe waren noch lange nicht überwunden.
Leopold verzichtete bei den Feierlichkeiten zu seiner Regierungsübernahme