Das Wunder Mozart. Harke de Roos
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Wunder Mozart - Harke de Roos страница 10
Josephs Rachefeldzug gegen die Frauen und ihre Freunde trug die Merkmale einer antiken Tragödie. Mit innerer Folgerichtigkeit wurde der Kaiser und mit ihm sein ganzes Reich langsam, aber unaufhörlich an den Rand des Abgrunds getrieben. Auf tragische Weise verband sich private Misere mit dem Wohl des Staates, transformierte sich das Chaos im Gemüt zum Chaos der öffentlichen Angelegenheiten. Am Ende dieses Prozesses, als Joseph starb, war die ganze Bevölkerung der Donaumonarchie gegen ihn aufgebracht. In Ungarn und den österreichischen Niederlanden war offener Aufruhr ausgebrochen und auch in Böhmen kochte Unmut. Die Substanz des Reiches war in höchster Gefahr. Hinzu kamen noch die äußeren Feinde. Der Angriff Preußens auf Österreich stand unmittelbar bevor und galt bereits als unabwendbar. Preußen hatte sich zum drohenden Krieg mit Polen verbunden; die Polen ihrerseits unterstützten den Aufstand Ungarns gegen Wien. Der Türkenkrieg war noch nicht beendet und auch mit Bayern gab es gefährliche Spannungen.
In Frankreich griff die Revolution immer weiter um sich und drohte auf andere Länder, sogar auf Italien, überzuspringen. Schon standen gebietshungrige Staaten wie Spanien und Parma in den Startlöchern, um im zu erwartenden Krieg Preußens gegen Österreich große Teile des Vielvölkerstaates und dessen Verbündeter zu schlucken. Spanien wollte sich das Königreich Neapel-Sizilien einverleiben, Parma die Toskana. Die Lage war so dramatisch, dass selbst Josephs treuester Diener, Reichskanzler Kaunitz, das Sterben seines Herrn mit der Bemerkung kommentierte: „Es war das beste, was er tun konnte“.
Ein höchst eigentümlicher Zug an Josephs Amoklauf war, dass er sich im Verborgenen abspielte. Der Kaiser gab sich nach außen hin als Gegenteil eines verbitterten Misanthropen. Zwar galt er als knauserig, aber er war zugleich witzig und zuvorkommend; er konnte unerhört charmant sein. Die ersten fünf Jahre seiner Alleinherrschaft sind durch Aufgeschlossenheit, Liberalität und eine nie vorher erlebte Toleranz gekennzeichnet. Für den epochalen Höhenflug der abendländischen Musik, die gerade zu diesem Zeitpunkt einen Kulminationspunkt erreicht hatte, waren diese Eigenschaften von grundlegender Bedeutung.
Joseph war es, der die unverwechselbare Atmosphäre des Goldenen Jahrzehnts geschaffen hatte, diese Wiener Mischung von Vornehmheit und Volkstümlichkeit, höchster Verfeinerung und triebhafter Natur, Maskerade und Spontaneität. Wo immer er erschien, und oft kam er verkleidet, riss er alle Fäden an sich und hinterließ einen Sog erlebter Energie. Es war wahrhaftig ein Röntgenblick vonnöten, um die extrem sinnliche, ja, im wahrsten Sinne des Wortes übersinnliche Anarchie hinter dem irreführenden Auftreten dieses Mannes zu erkennen. Später werden wir aber sehen, dass es diese Augen tatsächlich gab und dass der Reformkaiser von keinem besser durchschaut worden ist als von Mozart.
Kurze Zeit, nachdem Joseph zum Römischen Kaiser gekrönt worden war, zwang ihn seine Mutter, noch einmal in den Ehestand zu treten. Maria Theresia, die eine dauerhafte Allianz mit dem reichen Bayern anstrebte, verkuppelte ihren trauernden Sohn mit einer Prinzessin aus dem Hause Wittelsbach, Josefa von Bayern. Bereits im Januar 1765 fand die Hochzeit statt, aber diesmal hatte die Kaiserin sich in ihrer sonst so erfolgreichen Heiratspolitik verrechnet. Ihre neue Schwiegertochter wurde von Joseph so feindselig behandelt, dass die Beziehungen zwischen Österreich und Bayern darunter zu leiden hatten.
Um sich an der Mutter, aber auf verschlungenem Wege sicherlich auch an der Schwester Marie Christine zu rächen, mied Joseph Josefa, wo er nur konnte, schimpfte über ihr Aussehen und ließ sogar Vorkehrungen treffen, damit ihm in seinen privaten Räumen ihr Anblick erspart blieb. Für die gutmütige junge Frau bedeutete diese Art von Zurückweisung eine Hölle. Bereits zwei Jahre später, am 28. Mai 1767, starb sie, offiziell an den Blattern, inoffiziell vor lauter Kummer.
In den nun folgenden dreizehn Jahren bis zum Tod der Mutter 1780 lebte Joseph in einem Frauenhaushalt. Der Vater war bereits 1765 gestorben und Maria Theresia, die ihren Sohn zum Mitregenten ernannt hatte, aber alle Macht im Staate für sich beanspruchte, umgab sich gerne mit ihren Töchtern. In dieser Periode entwickelte sich Joseph, wohl aus Frust, zu einem der schlimmsten Fraueneroberer.
Wohl verstanden: alle hohen Herren waren in der Regel unermüdliche Schürzenjäger. Auch Josephs Vater Franz Stephan jagte nicht nur Hirsche und Hasen, Staatskanzler Kaunitz liierte sich gerne mit schönen Sängerinnen, Reichsvizekanzler Colloredo-Waldsee galt ebenso als hemmungsloser Schürzenjäger wie Josephs Schwager Ferdinand in Neapel, ganz zu schweigen von historischen Exempeln wie August dem Starken oder Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. In Josephs Kreisen war die Promiskuität so gut wie legalisiert, sogar aus der Sicht der Kirche. Schließlich gehörte das „Recht auf die erste Nacht“ zum Unterdrückungsmechanismus der herrschenden Klasse, indem es sich gleichermaßen gegen die weiblichen wie gegen die männlichen Untertanen richtete. Zudem gab es unter den Zeitgenossen Josephs epochale Frauenhelden wie Casanova oder Beaumarchais.
Bei Joseph treffen wir jedoch auf einen Aspekt, der bei allen anderen Vertretern seiner Spezies fehlt: die Abrechnung. Andere Schürzenjäger suchten das Liebesabenteuer, weil sie die Frauen liebten, Joseph brüstete sich dagegen damit, als Frauenhasser zu gelten. Ganz offensichtlich suchte er die körperliche Vereinigung mit dem anderen Geschlecht nicht, weil er sich in Frauen verliebte, sondern um sie zu erniedrigen, zu bestrafen oder zu besiegen. Dabei ging er äußerst gründlich vor: seine eigene Schwester Maria Karoline berichtet, dass es in Wien keine einzige Frau gab, mit der der Kaiser nicht geschlafen hätte. Für unsere Geschichte ist diese Aussage von Relevanz, denn es würde bedeuten, dass auch die Töchter eines gewissen Fridolin Weber, Aloysia und Konstanze, zur Beute Josephs gerechnet werden müssen.
Zwar ist die Äußerung von Maria Karoline von einigen Historikern belächelt worden, aber dafür gibt es wahrhaftig wenige Gründe. Gerade Maria Karoline gehörte nicht zu denjenigen, die leichtfertig Gerüchte in die Welt zu setzen pflegten. Zudem wird ihre Aussage durch unveröffentlichte Passagen aus Leopolds geheimen Aufzeichnungen bestätigt. Joseph prahlte gerne beim Bruder mit seinen sexuellen Eskapaden, sowohl schriftlich als auch mündlich. Diesen widerten allerdings derartige Geschichten an, wie aus zwei tagebuchähnlichen Schriften hervorgeht, die in italienischer Sprache verfasst und mit einer selbst entworfenen Geheimschrift geschrieben sind. Adam Wandruszka hat diese Schriften, „Stato della famiglia“ und „Cose particulare“, entziffern können und Teile daraus in seine Leopold-Biographie aufgenommen. Aus Rücksicht auf die historischen Verdienste Josephs verzichtete er dabei freilich auf anstößige Abschnitte rund um die Person des Kaisers.
Wandruszka hat kurz vor seinem Tod den Inhalt dieser Passagen dem Autor dieses Buches telefonisch angedeutet. In diesem nicht publizierten Teil ist die Rede davon, dass Joseph sich zu jedem Frühstück „frisches Frauenfleisch“ servieren ließ. Nicht weniger als vier Diener sollen darauf spezialisiert gewesen sein, dem Monarchen dieses Ritual zu ermöglichen, unter ihnen Johann Kilian Strack, der zu Mozarts Verlobungszeit häufig in dessen Haushalt anzutreffen war. Die Anstrengungen am frühen Morgen hinderten den hochgeborenen Schwerenöter im Übrigen nicht, sich am späten Abend anspruchsvolleren Zielen wie Prinzessinnen und Komtessen zu widmen.
Es leuchtet ein, dass nicht sexuelle Begierde die Triebfeder Josephs war. Seine Schürzenjagd war vielmehr ein Krieg gegen das Tabu, eine Herausforderung des Teufels, eine Suche nach Sühne und Wahrheit, mehr noch: eine Expedition ins Jenseitige. Erkennbar ist eine dämonische Besessenheit, der Wunsch, herauszufinden, was an der Geschichte mit Gott und der Moral stimmt. Er wollte wie Don Giovanni die Grenze zwischen Gut und Böse erkunden.
Diese Dämonie gilt nicht nur für den erotischen Bereich, auch Josephs Regierungsstil wurde von der gleichen Besessenheit geprägt. Die erste Maßnahme nach dem Tod der Mutter war die Entfernung der drei ungeliebten Schwestern aus der Hofburg. Maria Anna wurde als Äbtissin nach Prag geschickt, Maria Elisabeth als Äbtissin nach Innsbruck und Maria Christine als Statthalterin