Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad

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beifallen konnte.

      »Dies ist eine große Sache für mich!« murmelte der alte Giorgio und dachte dabei immer noch an das Haus, denn nun war er des Wechselns müde geworden. »Die Signora hat dem Engländer nur ein Wort gesagt.«

      »Dem alten Engländer, der Geld genug hat, um eine Eisenbahn zu bezahlen? Er fährt in einer Stunde ab«, bemerkte Nostromo leichthin. »Buon viaggio also! Ich habe seinen Leichnam behütet, den ganzen Weg vom Entrada-Paß bis in die Ebene herunter und nach Sulaco herein, als wäre er mein eigener Vater gewesen.«

      Der alte Giorgio wandte nur geistesabwesend den Kopf. Nostromo deutete dem Wagen der Goulds nach; der näherte sich dem grasüberwucherten Tor in der alten Stadtmauer, die dunkelgrün wie der Rand eines Dickichts dalag.

      »Und ich bin ganz allein Nacht um Nacht mit meinem Revolver im Warenlager der Kompagnie gesessen und habe den Silberhaufen des andern Engländers dort bewacht wie mein Eigentum.«

      Viola schien in Gedanken verloren. »Eine große Sache für mich«, wiederholte er nochmals, wie im Selbstgespräch.

      »Das ist es«, stimmte der prachtliebende Capataz de Cargadores ruhig zu. »Höre, Alter – geh hinein und bring mir eine Zigarre, aber suche nicht in meinem Zimmer danach, dort findest du keine.«

      Viola trat in das Café, kam sofort, immer noch in seinen Gedanken befangen, wieder heraus, reichte ihm eine Zigarre und murmelte dazu in seinen Schnurrbart: »Die Kinder werden größer – und Mädchen noch dazu! Mädchen!« Er schwieg mit einem Seufzer.

      »Was, nur eine?« meinte Nostromo und spähte mit spaßiger Eindringlichkeit zu dem verträumten alten Mann hinunter. »Macht nichts«, fügte er dann nachlässig hinzu. »Eine genügt, bis eine andere gewünscht wird.«

      Er brannte sie an und ließ das Streichholz aus gleichgültigen Fingern fallen. Giorgio Viola sah auf und sagte unvermittelt:

      »Mein Sohn wäre nun genau so ein feiner junger Mann wie du, Giambattista, wäre er noch am Leben.«

      »Was? Dein Sohn? Aber du hast recht, Padrone, wäre er mir gleich, dann wäre er ein Mann.«

      Er wandte langsam sein Pferd, ritt im Schritt zwischen den Buden durch und hielt die Stute immer wieder an, wegen spielender Kinder oder Gruppen von Leuten aus dem Campo, die ihm bewundernd nachsahen. Die Leichterführer der Kompagnie grüßten ihn von weitem; und der vielbeneidete Capataz de Cargadores näherte sich inmitten erkennenden Gemurmels und ehrfürchtiger Grüße dem großen, zirkusartigen Bau. Das Gedränge wurde dichter, die Gitarren zirpten lauter; man sah noch andere Reiter, die reglos über den Köpfen der Menge ruhig rauchten; der Menschenhaufe wogte auf und ab vor den Türen des Hauses mit dem hohen Dach; von innen klang das Scharren und Stampfen von Füßen, im Takt mit dem scharfen schrillen Rhythmus der Tanzmusik, den das furchtbar anhaltende, hohle Dröhnen der großen Trommel unterstrich. Der barbarische und aufdringliche Lärm der großen Trommel, der eine Menge zum Irrsinn bringen kann und den auch Europäer kaum ohne ein merkwürdiges Gefühl hören können, schien Nostromo magisch anzuziehen, während ein Mann in verblichenem, zerrissenem Poncho, von allen Seiten angestoßen, neben seinem Steigbügel herging und »Seine Gnaden« demütig um Anstellung auf dem Ladekai bat. Er winselte und bot dem Senor Capataz seinen halben Tagelohn für das Vorrecht, in die ausgezeichnete Brüderschaft der Cargadores aufgenommen zu werden; die andere Hälfte würde ihm genügen, beteuerte er. Aber Kapitän Mitchells Rechte Hand – »unschätzbar für unsere Arbeit, völlig unbestechlicher Bursche« – sah nur prüfend auf den zerlumpten Mozo hinunter und schüttelte dann den Kopf, ohne in dem Getöse ringsum ein Wort zu sagen. Der Mann blieb zurück; und ein wenig weiter mußte Nostromo nochmals anhalten. Aus den Türen der Tanzhalle tauchten Männer und Frauen auf, schwankend, schweißüberströmt, an allen Gliedern zitternd, um sich keuchend, mit stieren Augen und halboffenen Lippen, gegen die Wand des Gebäudes zu lehnen, aus dem immer noch das jagende Schwirren der Harfen und Gitarren klang, von rollendem Donner begleitet. Hunderte von Händen klatschten dort drin; Stimmen schrillten und klangen plötzlich gedämpft zu dem einstimmig gesungenen Kehrreim eines Liebesliedes zusammen, das hingehalten erstarb. Von irgendwo aus der Menge wurde eine rote Blume geworfen und traf, gut gezielt, die Wange des glänzenden Capataz.

      Er fing sie geschickt auf, wandte aber zunächst den Kopf nicht. Als er sich schließlich herabließ, in die Runde zu blicken, hatte sich die Menge neben ihm geteilt, um einer hübschen Morenita den Weg freizugeben, die nun, das Haar von einem kleinen Goldkamm hochgehalten, durch den offenen Raum auf den Capataz zuschritt.

      Ihr schneeweißes Hemdleibchen ließ die vollen Arme und den Hals bloß. Die ganze Weite des blauen Wollrocks war an der Vorderseite gerafft, so daß er an den Hüften anlag, über dem Rücken knapp spannte und jede ihrer aufreizenden Bewegungen beim Gehen verriet. Sie trat ganz nahe und legte die Hände auf den Hals der grauen Stute, mit einem schüchternen, koketten Aufblick aus dem Augenwinkel.

      »Queridio«, flüsterte sie schmeichelnd, »warum tust du, als sähest du mich nicht, wenn ich vorbeigehe?«

      »Weil ich dich nicht mehr liebe«, sagte Nostromo nachdrücklich, nach einem Augenblick schweigender Überlegung.

      Die Hand auf dem Hals der Stute begann zu zittern. Das Mädchen ließ den Kopf sinken vor all den Augen in dem weiten Kreise, der sich um den großmütigen, den furchtbaren, den unbeständigen Capataz de Cargadores und seine Morenita gebildet hatte. Nostromo sah hinunter und sah Tränen über ihr Gesicht laufen.

      »Ist es also gekommen, Geliebter meines Herzens?« hauchte sie. »Ist es wahr?«

      »Nein«, sagte Nostromo und blickte achtlos weg. »Es ist eine Lüge. Ich liebe dich so sehr wie je.«

      »Ist das wahr?« schnurrte sie freudig, die Wangen noch von Tränen feucht.

      »Es ist wahr.«

      »Bei deinem Leben, wahr?«

      »Ja, so wahr; aber du mußt nicht verlangen, daß ich es bei der Madonna schwöre, die in deinem Zimmer steht!« Und der Capataz erwiderte mit leichtem Lächeln das Grinsen der Menge.

      Sie schmollte und sah dabei entzückend hübsch und etwas verlegen aus.

      »Nein, das will ich nicht verlangen. Ich sehe Liebe in deinen Augen.« Sie legte ihre Hände auf seine Knie. »Warum zitterst du so? Aus Liebe?« fuhr sie fort, während das dumpfe Dröhnen der Trommel ohne Pause anhielt. »Aber wenn du sie so sehr liebst, dann mußt du deiner Paquita einen goldenen Rosenkranz für den Hals ihrer Madonna schenken.«

      »Nein«, sagte Nostromo und sah gerade in ihre aufwärts gekehrten, bittenden Augen, die in plötzlicher Überraschung erstarrten.

      »Nein? Was will mir denn dann Euer Gnaden schenken, am Tag der Fiesta«, fragte sie ärgerlich, »um mich nicht vor all diesen Leuten zu beschämen?«

      »Es ist keine Schande für dich, wenn du auch einmal von deinem Liebhaber nichts bekommst.«

      »Richtig! Die Schande ist bei Euer Gnaden – meinem armen Liebhaber«, gab sie mit bösem Spott zurück.

      Lachen wurde laut über ihren Ärger und ihre Antwort. Was war sie doch für eine kecke Wildkatze! Die Leute, die der Szene beiwohnten, riefen andere aus der Menge hinzu. Der Kreis um die silbergraue Stute verengerte sich langsam.

      Das Mädchen trat einen oder zwei Schritte zurück, trotzte den spöttischen, neugierigen Augen ringsum, sprang dann wieder bis zum Steigbügel vor, hob sich auf den Zehenspitzen und wandte Nostromo das wütende Gesicht mit den

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