3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу 3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner страница 84

3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

Скачать книгу

bleiben werden immerhin poetische Verse wie diese: „Wann immer Paul an Regen denkt/umwehen sanfte Winde seinen Kopf/und sein Telefon klingelt in der Nacht/nur ein einziges Mal.“

      The Kingsbury Manx

      „The Kingsbury Manx” (2000)

      Als David Gilmour seine ersten Songs für Pink Floyd sang, war er so schüchtern, dass genau dies den Liedern Charme verlieh. Genauso ist es mit Kenneth Stephenson. Er singt kaum, er haucht. Gut, dass die Musik ihn nicht drängt, sondern immens ruhig dahintreibt. Das Quartett aus North Carolina orientiert sich mit seinem orgelgetragenen Slo-Mo-Rock vor allem an britischer Mitt-60er-Psychedelia; manchmal, wenn die unverzerrte E-Gitarre trocken und kurz verhallen darf, fühlen wir uns an die frühen Velvet Underground erinnert. Und Songs haben sie, dafür würde Syd Barrett glatt die Gummizelle verlassen. Ein bisweilen großes Album für Spinner und Elegiker, für zarte Pflänzchen und Leute mit Flausen im Kopf. Und für solche, die stolz sind auf ihren niedrigen Blutdruck; für Schildkrötenexistenzen.

      The Little Rabbits

      „Yeah!” (2000)

      Ist es Zufall oder Strategie? Die Alben der Little Rabbits erscheinen immer nur in geraden Jahren, und wenn sie innerhalb von 24 Monaten kein neues fertig haben, wird konsequenterweise eben vier Jahre gewartet. Wie diesmal. Dafür gibt es gleich ein doppeltes: Auf CD zwei mischten Remixer acht der 14 Songs von CD 1 neu ab. Faithless haben unlängst für so etwas noch ein halbes Jahr ins Land ziehen lassen. Vielleicht erscheint ja bald ein Remix vorm Original, aber was ist dann Original und was Kopie …? Neue Zeiten, neue Fragen. Ihr Bigbeatrock-Chanson-Gesampel jedenfalls ist bisweilen höchst unterhaltsam mit seinen eingestreuten Filmdialogen, manchmal aber auch nervtötend in seiner Ziellosigkeit. Das einzig Klare, Bestimmte, Definitive an diesem Album ist sein Titel.

      The Mighty Bop

      „Spin my Hits” (2000)

      Kühl und gelassen schleichen die Franzosen durch die Clubs, scratchen hier ein wenig, rappen da ein paar Zeilen Richtung Barkeeper, lassen Orgeln und Barjazzbläser von einem besseren Gestern erzählen und träge Beats vom Leben im mittleren Tempo. Vielschichtigkeit ist diesem gallischen Lounge nicht abzusprechen, das Packende, die einmalige Hookline indes schon. Sie sind Soundkünstler, keine Songschreiber, nehmen Coolnes wichtiger als die Komposition. Nur wenn die langjährige Weggefährtin Louise Vertigo anhebt zu singen und sich ein eigenes Genre sucht zwischen Soul und Chanson, scheint die Größe ganz nah.

      The Sea And Cake

      „Oui” (2000)

      Jetzt wissen wir, woraus Postpop besteht: Aus dem gut gelüfteten Easyjazz eines Michael Franks, den Tricks von Steely Dan, der Transparenz von Quantum Jump – und einer Hans-guck-in-die-Luft-Mentalität, die exklusiv The Sea And Cake beisteuern. Ihr fünftes Album nach dreijähriger Pause fließt höhepunktlos, aber auf hohem Niveau vorüber; um filigraner zu klingen, verdünnten sie sogar elektronisch die Streicher, die somit kaum präsenter sind als die anderen Instrumente aus der Schatzkiste zarter Sounds: Vibrafon, Flöte, Akustikbass … „Oui“ illustriert eine nächtliche Taxifahrt durch eine neonfunkelnde Metropole, in der alle anderen Fahrverbot haben.

      Third Eye Blind

      „Blue” (2000)

      Stück 8, „The Red Summer Sun“, ist ein Brennspiegel des Könnens von Third Eye Blind. Als Intro brandet kakofonischer Wirrwarr auf, dann schält sich Midtemporock heraus, ehe der Song zum hysterisch gesungenen AC/DC-Feger wird und sein fünfminütiges Leben als filigrane Elegie aushaucht. Mit einem Bein stehen TEB im Alternative, mit dem anderen im massentauglichen Großrock, und hätten sie ein drittes, es wurzelte in Britannien – eine hybride Existenz, die sich in einem seltsam anmutenden Widerspruch spiegelt: Sie verkauften von ihrem Debüt fast fünf Millionen Stück, waren aber nie in den Top 20 der US-Charts. Ein Kunststück, dass ihnen mit „Blue“ wieder gelingen könnte.

      Tic Tac Toe

      „Ist der Ruf erst ruiniert …” (2000)

      Pass bloß auf, Alter, wir sind unheimlich böse jetzt, echt. Keine Girlies mehr, nee, nee. Sondern Grrrls! Wir sagen „ficken“! Jaaa! In unserem Video gibt es Maschinenpistolen, mit denen die Bullen voll Stress machen, es aber nicht schaffen, uns zu töten, weil wir die Superzicken sind, die unsterblichen, gecheckt? Und weißte was? Wir ham jetzt Gitarren! Das kracht, ey. Das finden bestimmt jetzt auch 19-Jährige cool. Sagt Börger, der uns wieder die Texte in den Mund gelegt … äh … vom Maul abgeschaut hat. Und jetzt verpiss dich, Alter, sonst ziehen wir die Springerstiefel aus und hauen sie dir über die Rübe, während wir unheimlich böse „ficken!“ kreischen. Verstehste.

      Till Brönner

      „Chattin with Chet” (2000)

      Willkommen im Vorgestern, Till. Der stets nach Hipness strebende, technisch tadellose Jungtrompeter mit dem Miles-Davis-Komplex wandelt nun auf den Pfaden einer weiteren (von ihm sogar gesampelten) Blaslegende, Chet Baker nämlich. Doch er tut das mit den – das geht schnell heutzutage – veralteten Stilmitteln von Drum & Bass, Bossa Nova und James Last. Schon sechs Alben lang hechelt der gute Brönner wechselnden Aktualitäten hinterher; zuletzt waren es groovender Soul, dann Loungejazz. Das ist rührend, macht die Sache für ihn aber kaum besser, wäre er doch megagern einmal, ein einziges Mal, die Speerspitze eines Trends und nicht der Rattenschwanz. Schau einfach mal nicht zurück, Till, sonst erstarrst du noch zur Salzsäule.

      Tim Finn

      „Say it is so” (2000)

      Nein, Tim ist nicht Neil, aber auch er war, wie sein Bruder, Mitglied von Split Enz und Crowded House. Auf seinem neuen Soloalbum singt er gepresst und heiser wie einst Gerry Rafferty, als der noch ein Folkie bei den Humblebums war. Finns Gitarrenpop gibt sich allerdings moderner, als es der Gesangsstil vermuten lässt. Lächelnd ließ er es zu, dass der Produzent Jay Joyce das Album auf sympathisch verspielte Weise überproduzierte, es mit Samples und Computern vor allzu großer Zugänglichkeit bewahrte. Obgleich in Nashville produziert, schafften es kaum Countryelemente aufs Album; die meisten vielleicht im Opener „Underwater Mountain“, dem schönsten Stück der Platte. Ein Album für Leute, die Musiker dafür lieben, dass sie das Chartspotenzial, das sie haben, mit trotzigem Lächeln nicht ausschöpfen. So einer ist Tim Finn.

      Tim Gibbons

      „Shylingo” (2000)

      Was ist Glück? Eine von einer Million Definitionen könnte sein: den richtigen Menschen zur richtigen Zeit zu treffen. Jahrelang zog Tim Gibbons mit gekrächzten Songs und Gitarre durch die Kneipen Ontarios und würde das wahrscheinlich noch heute tun, wäre er nicht dem Produzenten Daniel Lanois begegnet. Schon lugte die Welt um die Ecke. Sein höchst atmosphärisches Zeitlupenalbum „Shylingo“ produzierte Lanois’ Toningenieur Mark Howard, der auch den Sound auf Dylans „Time out of Mind“ verantwortete und dessen hallende Tiefe er mit herübernahm zu Gibbons. Diese Musik scheint vom Grund des Grand Canyons zu kommen, sie klingt wie die nächtliche Kühle der Wüste. Alle Instrumente, vor allem Gibbons’ Lanois-geschulte Tremologitarre, schweben eine Handbreit über dem Boden. Ein verwunschenes Meisterwerk mit gekrächzten Songs von fernen Orten, Zeiten und Schatten. Es wäre jammerschade gewesen, hätten

Скачать книгу