3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner
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„The I-10 Chronicles” (2000)
Ein Allstarprojekt um Adam Duritz, Willie Nelson, Joe Ely, Emmylou Harris und anderen kümmert sich um die Aura einer Autobahn, nämlich der Interstate 10, indem vorhandene Songs, die dem Thema zugeneigt sind, gecovert werden. Je nach Kilometer wechselt das Flair: von Westcoastfolkrock (Höhe Los Angeles) bis zum beschwingten Texmex (unten in New Mexico). Erstaunlich, dass dieses Album nicht am üppigen Budget und der Hochkarätigkeit der Mitwirkenden scheitert, sondern durchweg eine Spielfreude hält, die es zur kompakten Einheit schmiedet. Und wie der Counting-Crows-Sänger Adam Duritz Warren Zevons Drogenballade „Carmelita“ angeht, klingt so, als wüsste er sehr genau, wovon er singt.
Wayne Bartlett
„Tokyo Blues” (2000)
Bartletts Musik hat eine vornehme Glätte, die man aus 60er-Jahre-Filmen kennt, wenn Barszenen unterlegt werden sollten. Die 60er waren auch seine große Zeit; er hatte Erfolg als Schauspieler (u. a. „Zabriskie Point“) und tourte später mit Rhythm’n’Soul durch Europa. Sein erst zweites, von Saxofon, E-Gitarre und Klavier geprägtes Solowerk spielte er mit deutschen Studiojazzern ein. Doch kuscheliges Klangzentrum ist immer Bartletts Stimme. Sein sonorer Soulgesang ist manchmal so leise wie der von Terry Callier, manchmal verspielt wie der von Al Jarreau – und immer erlesen glatt wie der Barjazz aus den 60ern, seiner großen Zeit.
Weeping Willows
„Endless Night” (2000)
Nein, der Weeping-Willows-Sänger Magnus Carlson würde sicher einen Drink mit Chris Isaak nicht ablehnen. Die beiden könnten sich, während die Eiswürfel im Glas dahinschmölzen, über die unterschätzte Bedeutung des Schluchzers für den Pop unterhalten. Oder über die Schönheit der Twanggitarre. Beim Thema Streicherarrangements zum Zwecke epischer Melancholie müsste Isaak dann die Ohren spitzen, denn wie die schwedischen Weeping Willows dieses Stilmittel einsetzen, ist von entwaffnender Grandezza. Sie spielen Mädcheneroberungsmusik mit viel Schmalz und Schmelz, sie balancieren nah am Engtanzkitsch und stürzen doch nicht ab. Nur die Intensität ihres Flehens war auf dem Debütalbum noch größer. Vielleicht haben sie damit aber auch einfach genug Mädchen erobert.
William Orbit
„Pieces in a modern Style” (2000)
Er peppte Madonnas Alben zu Megapopklassikern, doch dem Produzenten William Orbit sind die Charts wohl ein zu profanes Ziel beim eigenen Schaffen. Sein Album versucht, Klassiker in sinfonischen Ambient zu verwandeln, allerdings höchst konventionell. Warum soll man sich seine elektronische Fassung von Barbers „Adagio for Strings“ anhören, wo die Synthesizer sich doch derart nah ans orchestrale Original schmiegen, dass von Interpretation oder gar Mehrwert nicht geredet werden kann? Klar: Das klingt superschön und wenigstens nicht schön seicht wie manch anderes auf dieser CD. Aber wen will er denn damit bezirzen – Madonna-Fans? Die werden ihn ignorieren. Und echte Ambientfreaks werden was von Muzak murmeln und die neue Vidna-Obmana-CD auflegen. Was eindeutig die bessere Wahl darstellt.
Yonderboi
„Shallow and profound” (2000)
Yonderboi guckt, als wäre er der junge Törless, dabei ist er 19, Ungar und ein Wunderkind des Lounge. Seine Sounds und Samples zielen unmittelbar auf die schwächsten Stellen in unserer Abwehr, die sich allzu Schönes gern per Kitschvorwurf vom Leib hält. Er aber trickst uns aus. Sein Album, gestrickt aus Jazz, Easy Listening, 60-Jahre-Mädchengesängen und einem gehörigen Schuss ungarischen Flairs, klingt wie eine schweißlose Version der Propellerheads, ohne sich vollends aufs Terrain von Air vorzuwagen. Sein Talent ist es, Atmosphären und Bilder unmittelbar in kongeniale Klänge zu verwandeln. Und sich an „Riders on the Storm“ zu wagen, ohne zu scheitern, ist auch noch nicht vielen gelungen.
2001
„Sein Vibrato flattert wie Lametta, in dem sich der Wintermond spiegelt.“
aus der Rezension zu „I am a Bird now“ von Antony & The Johnsons
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