Der scharlachrote Buchstabe. Nathaniel Hawthorne
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der scharlachrote Buchstabe - Nathaniel Hawthorne страница 9
Überdies konnte es sein – und ohne Zweifel war es auch so, obgleich sie das Geheimnis vor sich selbst verbarg und erbleichte, wenn es sich aus ihrem Herzen hervordrängte wie eine Schlange aus ihrer Höhle –, es konnte sein, daß noch ein anderes Gefühl sie in den Umgebungen und auf dem Pfade festhielt, welche ihr so verderblich gewesen waren. Hier wohnte, hier weilte der Fuß eines Menschen, mit dem sie sich in einer Verbindung für verknüpft hielt, die sie, wenn auch auf Erden nicht anerkannt, doch zusammen vor die Schranken des letzten Gerichts bringen und diese zu ihrem Trauungsaltar für eine gemeinsame Zukunft einer Sühne ohne Ende machen würde. Wieder und immer wieder hatte der Versucher der Seelen diesen Gedanken vor Esthers inneres Auge gedrängt und über die leidenschaftliche, verzweifelte Freude gelacht, womit sie ihn ergriff und sodann von sich zu werfen suchte. Sie blickte dem Gedanken kaum ins Gesicht und beeilte sich, ihn in ihrem Kerker einzuschließen. Was sie sich selbst zu glauben zwang, was sie sich endlich als ihren Beweggrund zum fortdauernden Aufenthalt in Neu-England einredete, war halb eine Wahrheit, halb ein Selbstbetrug. Hier, sagte sie sich, sei der Ort ihrer Schuld gewesen, hier sollte auch der Ort ihrer irdischen Strafe sein, damit vielleicht die Folter ihrer täglichen Schmach endlich ihre Seele reinige und eine andere Reinheit als die von ihr verlorene, eine heiligere Reinheit herbeiführe, weil sie das Resultat eines Märtyrertums war.
Esther Prynne floh daher nicht. Am äußersten Ende der Stadt, noch innerhalb der Halbinsel, aber nicht in der Nähe irgendeiner andern Wohnung befand sich ein kleines, mit Stroh bedecktes Haus. Es war von einem früheren Ansiedler erbaut und wieder verlassen worden, weil der Boden ringsum zum Anbau zu unfruchtbar war, während seine leidliche Abgeschiedenheit es außerhalb der Sphäre jener zwischenmenschlichen Beziehungen liegen ließ, die schon damals die Gewohnheiten der Auswanderer bestimmte. Es stand am Strande und schaute über eine Bucht des Meeres hinweg auf die westlichen, mit Wald bekleideten Hügel. Eine Gruppe von strauchartigen Bäumen, der einzige Bewuchs der Halbinsel, verbarg nicht so sehr die Hütte vor dem Blicke, als daß sie anzuzeigen schien, daß hier eine Sache sei, die sich gern verborgen hätte oder doch wenigstens besser verborgen geblieben wäre. In dieser kleinen, einsamen Behausung richtete sich Esther mittels eines geringen Vermögens, das sie besaß, und mit Erlaubnis des Magistrats, welcher immer noch eine inquisitorische Aufsicht über sie bewahrte, mit ihrem Kinde ein. Unmittelbar darauf begann sich auch ein geheimnisvoller Schatten von Argwohn an die Stelle zu heften. Kinder, die noch zu jung waren, um zu begreifen, weshalb diese Frau aus der Sphäre menschlicher Wohltaten ausgeschlossen blieb, krochen nahe genug, um zu sehen, wie die Frau am Fenster die Nadel spielen ließ, oder unter der Tür stand, oder in dem kleinen Garten arbeitete, oder auf dem Pfade, welcher stadtwärts führte, herankam; und sie sprangen, sobald sie den Scharlachbuchstaben auf ihrer Brust unterscheiden konnten, mit einer seltsamen, ansteckenden Furcht davon.
So einsam auch Esthers Lage war, und wenn sie auch keinen Freund auf Erden besaß, welcher für sie aufzutreten gewagt hatte, so war sie doch nicht in Gefahr, Mangel zu leiden. Sie kannte eine Kunst, die selbst in einem Lande, welches verhältnismäßig nur geringen Spielraum zu ihrer Ausübung bot, hinreichend war, um ihr aufwachsendes Kind und sich selbst zu ernähren. Es war die Kunst der Nadelarbeit, damals wie noch jetzt fast die einzige, die eine Frau ergreifen konnte. Sie trug auf ihrer Brust an dem schöngestickten Buchstaben eine Probe ihrer zarten, phantasiereichen Geschicklichkeit, welcher sich die Damen eines Hofes mit Freuden bedient hätten, um ihren seidenen und goldenen Stoffen den reicheren und geistigeren Schmuck der menschlichen Erfindungsgabe zuzufügen. Hier bei der dunklen Einfachheit, welche die puritanische Kleidermode zu charakterisieren pflegte, war der Bedarf an feineren Produkten ihrer Hände weniger häufig; aber der Geschmack des Zeitalters, welcher bei Dingen dieser Art das Künstliche und Mühsame verlangte, verfehlte nicht, seinen Einfluß über unsere strengen Vorfahren auszudehnen, die so viele Moden, deren sich zu entäußern schwerer erscheinen mochte, hinter sich geworfen hatten. Die öffentlichen Zeremonien, wie z. B. Ordinationen, die Einführung von Magistratspersonen und alles, was den Formen, worin sich eine neue Regierung dem Volke kundgab, Majestät verleihen konnte, wurden als Sache bewußter Politik durch ein stattliches, gut ausgeführtes Zeremoniell und einen düsteren, aber doch einstudierten Prachtaufwand bezeichnet. Breite Kragen, auf das feinste gearbeitete Manschetten und prächtig gestickte Handschuhe galten als für die offizielle Erscheinung derjenigen, welche die Zügel der Macht in die Hand nahmen, notwendig, und wurden gern durch Rang oder Reichtum ausgezeichneten Individuen erlaubt, selbst während die Aufwandsgesetze dem Plebejerstand diese und ähnliche Verschwendungen verboten. Auch bei der Anordnung der Leichenbegängnisse – sowohl für die Kleidung der Leiche als um die verschiedenartigsten emblematischen Anwendungen von schwarzem Tuch und schneeweißem Musselin den Schmerz der Überlebenden zu versinnbildlichen – gab es ein häufiges charakteristisches Bedürfnis von Arbeiten, wie sie Esther Prynne liefern konnte. Auch das Kinderzeug – denn damals trugen die Säuglinge schon Staatsgewänder – gewährte eine Aussicht auf Arbeit und Verdienst.
Allmählich, und zwar nicht eben langsam, kamen ihre Arbeiten, wie man es jetzt nennen würde, in die Mode. Sei es nun aus Mitleid für ein Weib von so unglücklichem Schicksal oder aus der krankhaften Neugier, welche selbst gewöhnlichen oder wertlosen Dingen einen eingebildeten Wert verleiht, oder aus irgendeinem andern ungreifbaren Umstände, der damals wie jetzt hinreichend war, um manchen Personen das zu gewähren, was andere vergebens suchen mochten, oder weil Esther wirklich eine Lücke ausfüllte, welche sonst hätte leer bleiben müssen, kurz, sie hatte hinreichende und billig vergütete Beschäftigung für so viele Stunden, als sie mit Nadelarbeit auszufüllen gedachte. Vielleicht wollte sich die Eitelkeit eine Buße bereiten, indem sie bei Prunk und Staatszeremonien die Gewänder anlegte, welche ihre sündigen Hände gearbeitet hatten. Ihre Nadelarbeit war an der Krause des Gouverneurs zu sehen, Bürgerwehr trug sie an ihren Schärpen und der Prediger an seinem Beffchen, sie zierte das Mützchen des Säuglings, sie wurde in die Särge der Toten verschlossen, um dort zu verwesen und zu vermodern. Es wird aber kein einziger Fall berichtet, wo ihre Geschicklichkeit benutzt worden wäre, um den weißen Schleier zu sticken, welcher das reine Erröten einer Braut verhüllen sollte. Diese Ausnahme zeigte die unermüdliche Wachsamkeit, mit welcher die Gesellschaft ihre Sünde verdammte.
Esther bemühte sich nicht, mehr zu erwerben als einen Lebensunterhalt der einfachsten und asketischsten Art für sich und eine einfache Fülle für ihr Kind. Ihre eigene Kleidung war von dem gröbsten Stoff und der dunkelsten Färbung mit nur dem einen Zierat: dem Scharlachbuchstaben, welchen zu tragen ihr Urteil gebot. Die Kleidung des Kindes zeichnete sich dagegen durch eine phantasiereiche, oder wir möchten lieber sagen eine phantastische Erfindung aus, die zwar den luftigen Zauber erhöhte, welcher sich frühzeitig an dem kleinen Mädchen zu entwickeln begann, aber auch eine tiefere Bedeutung zu haben schien. Wir werden später wohl noch darüber sprechen. Außer diesem kleinen Aufwand für das Herausputzen ihres Kindes verwendete Esther alle ihre überflüssigen Mittel zu Almosen für Unglückliche, die weniger elend waren als sie und nicht selten die sie nährende Hand schmähten. Einen großen Teil der Zeit, welche sie leicht auf die bessere Ausübung ihrer Kunst hätte verwenden können, benutzte sie zur Anfertigung von groben Kleidungsstücken für die Armen. Es ist wahrscheinlich, daß sie bei dieser Art der Beschäftigung eine Idee von Buße hatte und daß sie ein wirkliches Opfer des Genusses darbrachte, indem sie so viele Stunden auf eine so raue Arbeit verwendete. Sie hatte in ihrer Natur eine reiche, üppige, orientalische Eigenart – einen Geschmack an dem prachtvoll Schönen, welcher außer in den köstlichen Hervorbringungen ihrer Nadel in dem ganzen Umfange ihres Lebens keinen Raum zur Entwicklung fand. Die Frauen finden ein dem anderen Geschlecht unbegreifliches Vergnügen in der zarten Arbeit der Nadel. Für Esther war sie vielleicht eine Art des Ausdrucks und daher vielleicht die Beschwichtigung der Leidenschaft ihres Lebens. Gleich allen andern Freuden verwarf sie auch diese als Sünde. Diese krankhafte Einmischung des Gewissens in unwesentliche Dinge bewies, wie wir fürchten müssen, keine echte, wankellose Bußfertigkeit, sondern etwas Zweifelhaftes,