Wolfsblut. Jack London
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Читать онлайн книгу Wolfsblut - Jack London страница 6
»Es hat nicht ein bißchen Angst vor dir,« lachte Heinrich.
Bill drohte ihm mit der Hand und rief ihm laut zu, aber das Tier verriet keine Furcht. Die einzige Veränderung, die an ihm zu bemerken, war eine erhöhte Spannung. Es betrachtete die Männer mit der mitleidslosen Gier des Hungers. Sie waren Fleisch, und da es hungrig war, wäre es, wenn es das gewagt hätte, gern vorwärts gegangen und hätte sie gefressen.
»Hör mal, Heinrich,« sagte Bill, indem er unwillkürlich die Stimme senkte, »wir haben zwar nur noch drei Patronen, aber es ist ein sicherer Schuss. Ich könnte nicht fehlen. Es hat uns drei Hunde entführt, und dem sollte Einhalt getan werden. Was sagst du?«
Heinrich nickte zustimmend. Bill zog vorsichtig die Flinte heraus und hob sie empor. Allein bevor er sie bis zur Schulter brachte, sprang die Wölfin zur Seite und verschwand unter den Tannen.
»Das hätt' ich wissen können,« schalt Bill laut, als er die Flinte an ihren Platz zurücklegte. »Natürlich versteht ein Wolf, der zu den Hunden zur Fütterung kommt, auch was von Feuerwaffen. – Ich sag' dir's jetzt gerade heraus, Heinrich, die Bestie ist an all unserm Unglück schuld. Wir hätten noch sechs statt der drei Hunde, wenn die nicht gewesen wäre. Die ist aber zu schlau, um offen geschossen zu werden, also werd' ich mich in den Hinterhalt legen, und da werd' ich ihr eins auf den Pelz brennen, so wahr ich Bill heiße.«
»Du mußt dich nur nicht zu weit entfernen,« warnte der Gefährte. »Wenn das Rudel dich angreift, so helfen drei Patronen ebensowenig wie drei Hilferufe in der Hölle. Die Tiere sind verdammt hungrig, und haben sie dich erst einmal umringt, dann bist du sicher verloren.«
Sie schlugen an jenem Abend das Lager frühzeitig auf. Drei Hunde konnten den Schlitten nicht mehr so schnell und so lange ziehen, als es sechs getan hatten, und sie zeigten deutlich, daß sie ermüdet waren. Auch die Männer gingen früh schlafen, nachdem Bill sich noch vorher überzeugt hatte, daß die Hunde so weit voneinander angebunden wären, daß sie sich nicht gegenseitig losbeißen könnten.
Allein die Wölfe waren dreister geworden, und mehr als einmal wurden die Männer aus dem Schlafe geweckt, wenn jene so nahe kamen, daß die Hunde vor Angst und Schreck wild wurden. Dann war es notwendig, mehr Holz auf das Feuer zu werfen, um die frechen Angreifer in sicherer Entfernung zu halten.
»Ich hab' die Matrosen von Haifischen erzählen hören, die ein Schiff verfolgten,« bemerkte Bill, als er, nachdem er das Feuer geschürt hatte, wieder unter die Decke kroch. »Diese Wölfe sind aber wie Haifische auf dem Lande. Sie verstehen ihr Geschäft besser als wir und folgen unserer Spur nicht zum Vergnügen. Sie kriegen uns; sie kriegen uns ganz sicher, Heinrich.«
»Sie haben dich schon halb und halb, wenn du so redest,« versetzte Heinrich ärgerlich. »Man ist schon halb besiegt, wenn man es eingesteht, und du bist halb gefressen, wenn du noch weiter so schwatzest.«
»Sie haben bessere Leute als dich und mich gekriegt,« antwortete Bill.
»Ach, hör auf mit deinem Unken! Das bekommt einer auf die Dauer satt.«
Heinrich drehte sich verdrießlich auf die Seite, wunderte sich jedoch, daß Bill nicht böse wurde. Das sah ihm nicht ähnlich, denn ein scharfes Wort kränkte ihn leicht. Heinrich dachte noch lange vor dem Einschlafen darüber nach, und sein letzter Gedanke war: ›Es läßt sich nicht leugnen, Bill ist fürchterlich trübselig gestimmt. Ich werd' ihn morgen ein bißchen aufheitern müssen.‹
3
Heulender Hunger
Der Tag begann günstig. Kein Hund war in der Nacht verschwunden, und in besserer Stimmung begaben sich die Männer auf die Fahrt durch das Schweigen, die Dunkelheit und die Kälte. Bill schien die trüben Ahnungen der letzten Nacht vergessen zu haben und scherzte und spaßte sogar mit den Hunden, die um die Mittagszeit den Schlitten an einer schlechten Wegstelle umgeworfen hatten.
Die Verwirrung war fürchterlich. Der Schlitten war zwischen einem Baumstamm und einem ungeheuren Felsblock eingeklemmt und noch dazu um und umgekehrt. Die Männer waren gezwungen, die Hunde auszuspannen, und als sie sich über den Schlitten beugten, um ihn aufzurichten, bemerkte Heinrich, daß Einohr zur Seite schlich.
»Hierher, Einohr!« rief er ihm zu, indem er sich aufrichtete und nach dem Hund umwandte. Aber Einohr begann über den Schnee zu laufen, indem er die Stricke hinter sich herschleppte, denn auf der zurückgelegten Bahn stand die Wölfin und wartete auf ihn. Als er näher kam, wurde er plötzlich vorsichtig. Anstatt zu laufen, machte er kurze, zierliche Schritte und blieb dann stehen. Er betrachtete sie aufmerksam und mißtrauisch, doch voller Verlangen. Sie schien ihm zuzulächeln, indem sie ihm die Zähne in mehr schmeichelnder als drohender Weise zeigte. Sie machte spielend ein paar Schritte auf ihn zu und blieb dann stehen. Einohr ging näher, immer noch auf der Hut, mit gespitzten Ohren, erhobenem Schwanz und den Kopf hoch in der Luft. Er machte den Versuch, sie zu beschnuppern, aber sie sprang scheu wie spielend rückwärts, und jedesmal, wenn er sich näherte, wich sie zurück und lockte ihn so Schritt für Schritt aus der Sicherheit der menschlichen Gefährten. Einmal, als ob eine unbestimmte Warnung ihm durch den Kopf geschossen wäre, blickte er sich nach dem umgeworfenen Schlitten, den Gefährten und den beiden Männern um, die ihm fortwährend zuriefen. Allein was auch immer in seinem Geiste vorgehen mochte, es wurde durch die Wölfin zerstreut, die auf ihn zukam, ihn einen Augenblick beschnüffelte und dann wieder scheu vor ihm zurückwich, als er sich von neuem ihr näherte.
Mittlerweile hatte sich Bill der Büchse erinnert, die eingeklemmt unter dem umgeworfenen Schlitten lag, doch bis Heinrich ihm geholfen hatte, denselben aufzurichten, standen Einohr und die Wölfin dicht beisammen, und die Entfernung war für einen Schuss zu groß.
Zu spät erst sah Einohr seinen Fehler ein. Bevor die Männer sehen konnten, was vorging, hatte er sich umgedreht und begann auf sie zuzulaufen. Plötzlich sahen sie, wie ein Dutzend hagere, graue Wölfe über den Schnee springend sich im rechten Winkel der Bahn näherten und ihm den Rückzug abschnitten. Augenblicklich verschwand die Scheu und die spielerische Laune der Wölfin. Wild knurrend sprang sie auf Einohr los. Er parierte den Angriff mit der Schulter und versuchte, da ihm der gerade Rückweg zum Schlitten abgeschnitten war, im Bogen dahin zu gelangen. Allein immer mehr Wölfe erschienen und nahmen die Verfolgung auf, während die Wölfin nur wenige Schritte hinter ihm herlief.
»Wo willst du hin?« fragte Heinrich plötzlich und legte die Hand auf den Arm des Gefährten. Bill riß sich los. »Ich kann das nicht länger mit ansehen,« sagte er. »Sie sollen keinen von den Hunden mehr haben, wenn ich's verhindern kann.«
Mit der Flinte in der Hand sprang er in das Gebüsch neben der Bahn. Seine Absicht war klar genug. Er wollte den Bogen, den Einohr beschrieb, noch vor dessen Verfolgern berühren, und er hoffte, mit der Büchse in der Hand und im hellen Licht des Tages würde es ihm möglich sein, den Wölfen Furcht einzujagen und den Hund zu retten.
»Höre, Bill,« rief ihm Heinrich nach, »sei vorsichtig. Wage dich nicht zu weit vor!«
Heinrich setzte sich auf den Schlitten und wartete, für ihn war weiter nichts zu tun. Bill war ihm gänzlich aus dem Gesicht verschwunden, aber er konnte Einohr sehen, wie er hin und wieder im Gebüsch oder hinter den Tannen verschwand und wieder zum Vorschein kam. Heinrich hielt das Schicksal des Hundes für hoffnungslos und dieser schien sich seiner Gefahr vollkommen bewußt zu sein, denn er rannte in dem weiteren Bogen, während das Rudel Wölfe den innern und kleineren Kreis beschrieb. Es war eine vergebliche Hoffnung, daß Einohr über die Verfolger einen so großen Vorsprung gewinnen würde, daß er an