Heimkehr des Dr. Karl Gottfried Semper von seinen ethnologischen Studien auf den Palau-Inseln im Stillen Ozean. Jürgen Ruszkowski
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Nun waren wir am Eingange des, wie immer, künstlich in das Mangrovendickicht eingeschnittenen, gerade nach Osten streichenden Kanals; aber nur von geringer Ausdehnung ist hier der dem Meer entsteigende Wald. Bald verschwinden an der südlichen Seite die Mangroven; es erhebt sich eine völlig senkrechte, wohl über 100 Fuß hohe kahle Wand von porphyrartig aussehendem Gestein. Gleich darauf sind wir am Landungsplatz; unter dem Schuppen war noch Platz für unser Amlai, und als es glücklich untergebracht war, machten wir uns auf den Weg. Der Freund aus Coröre hatte einen Boten vorausgeschickt, uns in dem Hause Aituro's anzumelden; er selbst blieb immer an meiner Seite und knüpfte bald die vorhin abgebrochene Unterhaltung wieder an.
„Hier, Doktor, geht der Weg über diesen roten Hügel. Wie schade, dass Aituro nicht da ist, er würde dir viel mehr erzählen können als ich. Aber du wirst ja bald alles in Coröre hören, Doktor.! - „Nun, ich dächte, Freund, du hättest es mir schon gesagt, dass Cabel Schils da ist. Gibt es denn sonst noch Neuigkeiten?“ - „Ich weiß nicht, Doktor, ob es wahr ist; man lügt so viel in Palau. Da kam heute Morgen die Nachricht - ich bin schon seit zwei Tagen hier -, dass ein neuer man-of-war kommt; Cabel Schils hat es gesagt.“ - „Nun, wenn der es gesagt, dann wird es wohl wahr sein; er hat ja auch den man-of- war gerufen, der Aibukit besiegt hat.“ - „O nein, Doktor, er hat gesagt ein anderer habe ihn gerufen. Weißt du wirklich nichts davon?“ - „Nun verstand ich die lauernden Blicke des Burschen. „Wie sollte ich etwas davon wissen, Freund, erwiderte ich. - „Nun, ich meinte nur so, Doktor. Ihr Männer von Angabard seid so klug. Dann hast du wohl auch nichts davon gehört, dass jemand einen Brief an den großen Rupack von Manila geschrieben hat; darin hat er um einen man-of-war gebeten. Von dem Briefe weißt du also auch nichts?“ - „Nein, aber es reizt mich davon zu hören. Erzähle mir doch mehr; du hast gewiss Cabel Schils noch allerlei gesagt.“ - „Nein, Doktor, mehr weiß ich auch nicht wie du. Nun sind wir auch im Dorfe. Siehst du, wie hübsch das hier ist?“
Meinen erstaunten Blicken bot sich in der Tat ein anziehendes Bild. Einer Wendung des ziemlich scharf ansteigenden Feldwegs folgend, bogen wir plötzlich ein in die gepflasterte Hauptstraße des Orts. Dieselbe war breiter, als sie im Norden zu sein pflegen, und ganz rein von Unkraut gehalten; zu beiden Seiten niedrige, in Reihen angepflanzte Sträucher, die sich an das Untergehölz anlehnen, das unter den Palmen und den Brotfruchtbäumen mit ihren großen ausgezackten Blättern üppig wuchert. Ehe die Straße den Gipfel erreicht, auf dem das Dach eines mächtigen buntbemalten Bais sich malerisch schön gegen den blauen Himmel und den grünen Hintergrund der Bäume abhebt, weitet sie sich nach rechts hin aus zu einem mäßig großen freien Platz. Halb von Bäumen beschattet, noch durch den letzten Strahl der scheidenden Sonne erwärmt, liegen da unter mächtigen Steinen die Vorfahren Aituro's, wenige Schritte nur vom Hause seiner Familie entfernt. Kein Gras oder Unkraut wuchert hier; Baumwollstauden mit ihren bunten trichterförmigen Blüten und andere Zierpflanzen stehen fast geschmackvoll geordnet um das Grab seiner Ahnen herum. Dort seitwärts, unter einer Gruppe hoch aufgeschossener Melonenbäume, deren goldgelbe Früchte gerade einige Buben mit langen Stecken herunterschlagen, steht das rot bemalte Haus ihres Familiengottes, und das Wohnhaus selbst scheint eben erst gebaut zu sein, so rein gehalten und sorgfältig sieht alles aus. Nur auf des Daches höchstem First wachsen einige Grasbüschel und einige Farrnkräuter; die Mühe war wohl gar zu groß, dies Unkraut dort oben zu entfernen. Einige Taubenpaare sitzen schnäbelnd auf dem Dach, andere picken im Verein mit Enten und Gänsen das Futter auf, das ihnen eben ein junges Mädchen hingeworfen hat; für jene Maiskörner, diesen die Blätter vom Kukau und anderen saftigen Pflanzen. Ein paar große Truthähne begrüßen mich kollernd und offenbar sehr erstaunt über den unerwarteten Besuch; sie scheinen sich zu wundern, dass ein anderer als Aituro selbst sich zu so später Stunde ihrer Behausung naht. Würdevoll und freundlich aber begrüßt mich des Rupacks Frau; und gern sprach ich den Speisen zu, die sie ihren Mädchen in reinlichen Schüsseln mir vorzusetzen befahl. Größerer Reichtum und Behäbigkeit, als ich bisher in Palau kennen gelernt hatte, blickte aus allem, was ich sah; unverkennbar war der Einfluss, den der regere Verkehr mit den handeltreibenden Männern von Angabard auf das Wohlleben der Bewohner gewonnen hatte.
Früh am Morgen des 1. November brachen wir auf bei Windstille. Die hohe Flut gestattete uns, dicht am Ufer entlang ganz über das innere Riff zu fahren. Bald kamen wir am Eingang einer tiefen Bucht vorbei, die sich weit hinein in das Land ziehen soll; halb versperrt ist er durch eine Reihe kleiner bewaldeter Inseln, die gewiss früher miteinander zusammenhingen und namentlich gegen die Seeseite einen überaus schroffen Absturz zeigen. Dann tritt das Land wieder nach Osten zurück - hier liegen an der Küste von Babelthaub die Staaten Eirei und Eimeliß - und vor uns erheben sich nun die schroffen Zacken der an ihren Abhängen ganz kahlen Felsen des sogenannten Kokeal. Ein günstiger Wind, der sich erhebt, treibt unser Amlai rasch vorwärts, der südlichsten unter jenen Inseln zu, die sich durch ihre sanft geschwungene Oberfläche und den Wechsel zwischen Wiesen, Palmenhainen und Laubwäldern auf den ersten Blick von den grauen starren Kalkklippen unterscheiden. „Das ist Coröre, Doktor; dahinter liegt Malakka. die Insel des Cabel Schils.“
Die Sonne stand über unserm Scheitel, als wir in den Hafen von Coröre einfuhren. Das Meer schien fast ganz verödet zu sein, nirgends sahen wir Fischer in ihren Fahrzeugen. Aber gerade, als wir in den Kanal, der zum Hafen führt, einlenken wollten, begegneten uns zwei große Amlais. Ich kannte die Leute darin nicht; sie sahen mich befremdet und vornehm an. Das ist Ebadul, Doktor, raunte mir Arakalulk zu, „und Aituro, sie wollen gewiss nach Malakka, Du musst sie ansprechen, das ist so Sitte.“ Wir waren schon etwas vorbeigefahren; ich gab Befehl zur Umkehr. „Good morning, Ebadul“, rief ich diesem zu, „ich komme, dir deinen Besuch wiederzugeben; wann treffe ich dich in deinem Bai?“ - „Fahre nur in den Hafen, Doktor. Arakalulk - nicht wahr, du bist es doch? wird dir schon den Weg nach Aidil (Aidil heißt das Wohnhaus des Ebadul) zeigen. Mein Weib weiß schon, dass du kommst, und du wirst viele Menschen bei ihr finden. Wir wollen nach Malakka, aber zum Abend sind wir wieder zurück.“
Nun fuhren wir ein in den Hafen, der von einem großen, sich weit ins Meer hinausziehenden steinernen Wall ganz gegen die Wogen gesichert war. Am Landungsplatz stand neben den Häusern zum Aufbewahren der Amlais ein schönes, gut gehaltenes Bai, aus dem einige schlaftrunkene Männer und Mädchen herauslugten, die durch den ungewohnten Lärm aus ihrer Mittagsruhe aufgescheucht worden waren. „Hackeve, Freund“, rief mein Bruder einem derselben zu, „hier ist Doktor gekommen, um Ebadul zu besuchen; zeige ihm den Weg nach Aidil hinauf, während ich das Amlai in das Haus bringe. Wir wollen hier einige Tage bleiben.“ - „Wirklich? Nun dann komme, Doktor.“ - „Und wo treffe ich dich wieder, Arakalulk?“ - „Ich habe meinen Freund hier, bei dem ich bleiben werde; ich komme aber zu, dir ehe es Abend wird. Good bye.“ - „Good bye.“
Wir waren bald in Aidil, dem Hause des Ebadul. Der Weg dahin führte in einigen Windungen steil den Berg hinan; er war vortrefflich gehalten. Überall sah man die Spuren des ausgedehnten Handels von Coröre. Wo ich einen Blick in die am Wege stehenden Häuser tat, bemerkte ich eine Menge Kisten und große Kochschüsseln, allerlei europäische Gerätschaften, Messer und Gabeln in Massen und selbst Teller aus Porzellan. Zahlreiche Truthühner und Gänse liefen hier wie in Armlimui, im Dorfe herum. - Aidil