Marie Antoinette. Stefan Zweig
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Übertreibt sie nicht, malt sie nicht zu früh den Teufel an die Wand wegen dieses einen, doch nur übermütig gemeinten Spaßworts »pauvre homme«? Aber Maria Theresia geht es in diesem Falle nicht um das zufällige Wort, sondern um ein Symptom. Diese Äußerung hellt ihr blitzartig auf, wie wenig Respekt Ludwig XVI. in der eigenen Ehe genießt und wie wenig im ganzen Hofkreise. Ihre Seele wird unruhig. Wenn in einem Staate Mißachtung des Monarchen bereits die festesten Tragbalken, die eigene Familie, unterhöhlt, wie sollen dann die andern Stützen und Pfeiler im Sturme aufrecht bleiben? Wie soll eine bedrohte Monarchie bestehen ohne Monarchen, ein Thron unter bloßen Statisten, die den Königsgedanken weder im Blute, noch im Hirn, noch im Herzen fühlen? Ein Schwächling und eine Mondäne, zu zaghaft denkend der eine, zu unbedacht die andere, wie sollen diese Leichtfertigen ihre Dynastie behaupten gegen eine drohend gesammelte Zeit? Sie ist in Wahrheit gar nicht zornig gegen ihre Tochter, die alte Kaiserin, sie ist nur besorgt um sie.
Und wirklich, wie auch diesen beiden zürnen, wie sie verurteilen? Selbst dem Konvent, ihrem Ankläger, ist es bitter schwer geworden, diesen »armen Mann« als Tyrannen und Bösewicht anzusprechen; im tiefsten Grunde war kein Gran Bösartigkeit in diesen beiden und, wie meist in mittleren Naturen, keine Härte, keine Grausamkeit, nicht einmal Ehrsucht und grobe Eitelkeit. Jedoch, leider, auch ihre Vorzüge kommen über bürgerlichen Mittel wuchs nicht hinaus: honette Gutmütigkeit, lockere Nachsicht, temperiertes Wohlwollen. In eine Zeit geraten, so mittelmäßig wie sie selber, hätten sie in Ehren bestanden und leidlich gute Figur gemacht. Aber einer dramatisch gesteigerten Epoche durch innere Mitverwandlung eine gleiche Erhobenheit des Herzens entgegenzuhalten, haben weder Marie Antoinette noch Ludwig gewußt; sie verstanden noch eher, anständig zu sterben, als stark und heroisch zu leben. Jeden erreicht immer nur das Schicksal, dessen er nicht Herr zu werden versteht – in allem Unterliegen ist ein Sinn und eine Schuld. Im Falle Marie Antoinettes und Ludwigs XVI. hat Goethe sie richterlich weise gemessen:
Warum denn wie mit einem Besen
Wird so ein König hinausgekehrt?
Wärens Könige gewesen,
Sie ständen alle noch unversehrt.
Königin des Rokoko
Im Augenblick, da Marie Antoinette, die Tochter seiner alten Gegnerin Maria Theresia, den französischen Thron besteigt, wird Friedrich der Große, der Erbfeind Österreichs, unruhig. Brief auf Brief sendet er an den preußischen Gesandten, er möge sorgfältig ihren politischen Plänen nachspüren. In der Tat, die Gefahr ist für ihn groß. Marie Antoinette brauchte nur zu wollen, sich ein ganz klein wenig zu bemühen, und alle Fäden der französischen Diplomatie liefen einzig durch ihre Hand, Europa wäre von drei Frauen beherrscht, von Maria Theresia, Marie Antoinette und Katharina von Rußland. Aber zum Glück für Preußen, zum Verhängnis für sich selbst, fühlt sich Marie Antoinette nicht im mindesten von der großartigen, der welthistorischen Aufgabe angezogen, sie denkt nicht daran, die Zeit zu verstehen, sondern einzig, sich die Zeit zu vertreiben, lässig greift sie nach der Krone wie nach einem Spielzeug. Statt die ihr zugefallene Macht zu nutzen, will sie sie bloß genießen.
Dies war der verhängnisvolle Fehler Marie Antoinettes von allem Anbeginn: sie wollte als Frau siegen statt als Königin, ihre kleinen weiblichen Triumphe zählten ihr mehr als die großen und weithinreichenden der Weltgeschichte, und weil ihr verspieltes Herz der königlichen Idee keinen seelischen Inhalt zu geben wußte, sondern nur eine vollendete Form, schrumpfte ihr unter den Händen eine große Aufgabe in ein vergängliches Spiel, ein hohes Amt in eine schauspielerische Rolle. Königin sein, heißt für Marie Antoinette fünfzehn leichtsinnige Jahre lang ausschließlich: als die eleganteste, die koketteste, die bestangezogene, verwöhnteste und vor allem die vergnügteste Frau eines Hofes bewundert zu werden, der arbiter elegantiarum, die tonangebende Mondäne jener vornehm überzüchteten Gesellschaftswelt zu sein, die sich selbst für die Welt hält. Zwanzig Jahre lang spielt sie auf ihrer Privatbühne von Versailles; die wie ein japanischer Blumensteig über einen Abgrund gebaut ist, selbstverliebt die Primadonnenrolle der vollkommenen Rokokokönigin mit Stil und Anmut. Aber wie arm bleibt das Repertoire dieser Gesellschaftskomödie: ein paar kleine flüchtige Koketterieen, ein paar dünne Intrigen, sehr wenig Geist und sehr viel Tanz. Bei diesen Spielen und Spielereien hat sie keinen rechten Partner als König zur Seite, keinen wahrhaften Helden als Gegenspieler und eine immer gleiche, gelangweilt snobistische Zuschauerschaft, indes außerhalb der vergoldeten Gittertore ein Millionenvolk auf seine Herrscherin harrt. Aber die Verblendete läßt nicht von der Rolle, sie wird nicht müde, immer mit neuen Nichtigkeiten ihr törichtes Herz zu betören; selbst als von Paris her schon der Donner über die Gärten von Versailles drohend heranrollt, läßt sie nicht ab. Erst da sie die Revolution gewaltsam von dieser winzigen Rokokobühne auf die große und tragische der Weltgeschichte reißt, erkennt sie den ungeheuren Irrtum, daß sie zwanzig Jahre lang eine zu geringe Rolle gewählt, die der Soubrette, die der Salondame, indes das Schicksal ihr Kraft und Seelenstärke für eine heldische verliehen hatte. Spät erkennt sie diesen Irrtum und doch nicht zu spät. Denn gerade in dem Augenblick, da sie die Rolle der Königin nicht mehr zu leben und nur noch zu sterben hat, im tragischen Nachspiel der Schäferkomödie, erreicht sie ihr wirkliches Maß. Erst als das Spiel Ernst wird und man ihr die Krone nimmt, wird Marie Antoinette wirklich vom Herzen her Königin.
Diese Gedanken- oder vielmehr Gedankenlosigkeitsschuld Marie Antoinettes, daß sie fast zwanzig Jahre lang das Wesenhafte dem Nichtigen aufopfert, die Pflicht dem Genuß, das Schwere dem Leichten, Frankreich dem kleinen Versailles, die wirkliche Welt ihrer Spielwelt, – diese historische Schuld ist beinahe unfaßbar. Um sie in ihrer Sinnlosigkeit sinnlich zu begreifen, nimmt man am besten zur Probe eine Karte Frankreichs zur Hand und zeichnet sich dort den winzigen Lebensraum nach, innerhalb dessen Marie Antoinette die zwanzig Jahre ihrer Regierung verbrachte. Das Ergebnis ist verblüffend. Denn dieser Kreis ist so klein, daß er auf einer mittleren Karte fast zum Pünktchen wird. Zwischen Versailles, Trianon, Marly, Fontainebleau, Saint-Cloud, Rambouillet, sechs Schlössern innerhalb eines lächerlichen Raumes weniger Wegstunden, rollt der goldene Kreisel ihrer betriebsamen Langeweile unablässig hin und her. Nicht ein einziges Mal hat, räumlich so wenig wie geistig, Marie Antoinette das Bedürfnis empfunden, dieses Pentagramm zu überschreiten, in dem sie der dümmste aller Teufel, der Vergnügungsteufel, eingeschlossen hielt. Nicht ein einziges Mal in fast einem Fünftteil eines Jahrhunderts hat die Herrscherin Frankreichs dem Wunsch Folge geleistet, ihr eigenes Reich kennen zu lernen, die Provinzen, deren Königin sie ist, zu sehen, das Meer, das die Küsten umspült, die Berge, Festungen, Städte und Kathedralen, das breite und vielfältige Land. Nicht ein einziges Mal stiehlt sie ihrem Müßiggang eine Stunde Zeit, einen ihrer Untertanen zu besuchen oder auch nur an sie zu denken, nicht ein einziges Mal betritt sie ein bürgerliches Haus: all diese wahrhafte Welt außerhalb ihres Adelskreises war faktisch für sie nicht vorhanden. Daß sich rund um das Opernhaus von Paris eine riesige Stadt dehnt, dicht gefüllt mit Armut und Unmut, daß hinter den Teichen von Trianon mit den chinesischen Enten und wohlgefütterten Schwänen und Pfauen, hinter dem sauber und schmuck von Hofarchitekten entworfenen Paradedorf, dem Hameau, die wirklichen Bauernhäuser verfallen und die Scheunen leer stehen, daß hinter den vergoldeten Gittern ihrer Parks ein Millionenvolk arbeitet, hungert und hofft, hat Marie Antoinette nie gewußt. Vielleicht konnte dem Rokoko nur jenes Nichtwissen und Nichtwissenwollen um alle Tragik und Trübe der Welt jene bezaubernde Grazie, jene leichte, sorglose Anmut geben; nur wer den Ernst der Welt nicht kennt, kann ja so selig spielen. Aber eine Königin, die ihr Volk vergißt, wagt hohes Spiel. Eine Frage hätte Marie Antoinette die Welt aufgetan, aber sie wollte nicht fragen. Ein Blick in die Zeit, und sie hätte begriffen, aber sie wollte nicht begreifen. Sie wollte in ihrem Abseits heiter, jung und unbehelligt bleiben. Von einem Irrlicht geführt, geht sie unablässig im Kreise und versäumt mit ihren Hofmarionetten und inmitten einer künstlichen Kultur die entscheidenden und nicht wieder einzuholenden Jahre ihres Lebens.