Marie Antoinette. Stefan Zweig

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Marie Antoinette - Stefan Zweig

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bedeutet für Ludwig XVI. jedesmal die allerschrecklichste Verlegenheit. Er kann nur nachgeben, nur tun, was andere wollen, weil er selbst nichts will als Ruhe, Ruhe, Ruhe. Bedrängt und überrascht, verspricht er jedem, was er verlangt, und ebenso schlapp und bereitwillig dem nächsten das Gegenteil; wer an ihn herankommt, hat ihn schon überwältigt. Durch diese namenlose Schwäche wird Ludwig XVI. immer wieder schuldlos schuldig und bei ehrlichster Absicht unehrlich, Spielball seiner Frau, seiner Minister, ein Bohnenkönig ohne Heiterkeit und Haltung, glücklich, wenn man ihm seinen Frieden läßt, verzweifelt und zum Verzweifeln in den Stunden, da er wirklich herrschen sollte. Hätte die Revolution diesem arglosen dumpfen Menschen, statt ihm ein Fallbeil in den kurzen dicken Hals zu treiben, irgendwo ein kleines Bauernhäuschen mit einem Gärtchen und einer unbedeutenden Pflicht gegönnt, sie hätte ihn glücklicher gemacht als der Erzbischof von Reims mit der Krone Frankreichs, die er ohne Stolz, ohne Lust und ohne Würde zwanzig Jahre hindurch gleichgültig trug.

      Einen solchen gutmütig unmännlichen Mann als großen Imperator zu preisen, hat auch der höfischste aller Hofbarden nie gewagt. Die Königin dagegen in allen Formen und Worten zu verherrlichen, in Marmor, Terrakotta, Biskuit, Pastell, in zierlichen Elfenbeinminiaturen und graziösen Gedichten nachzubilden, wetteifern alle Künstler, denn ihr Antlitz, ihr Gehaben spiegelt geradezu vollendet das Zeitideal. Zart, schlank, anmutig, liebreizend, spielerisch und kokett, wird die Neunzehnjährige von der ersten Stunde an die Göttin des Rokoko, der vorbildliche Typus der Mode und des herrschenden Geschmacks; wenn eine Frau als schön und anziehend gelten will, bemüht sie sich, ihr ähnlich zu sein. Dabei hat Marie Antoinette eigentlich weder ein bedeutendes, noch ein besonders eindrucksvolles Gesicht; ihr glattes, feingeschnittenes Oval mit kleinen pikanten Unregelmäßigkeiten wie der habsburgischen starken Unterlippe und einer etwas zu flachen Stirn, bezaubert weder durch geistigen Ausdruck, noch durch irgendeinen persönlich-physiognomischen Zug. Etwas Kühles und Leeres wie von glattfarbenem Email geht von diesem unausgeformten, noch auf sich selbst neugierigen Mädchengesicht aus, dem erst die späteren fraulichen Jahre eine gewisse majestätische Fülle und Entschlossenheit hinzutun. Einzig die weichen und im Ausdruck sehr wandelhaften Augen, die leicht in Tränen überströmen, um dann sofort wieder in Spiel und Spaß aufzufunkeln, deuten auf Belebtheit des Gefühls, und die Kurzsichtigkeit gibt ihrem seichten, nicht sehr tiefen Blau einen schwimmenden und rührenden Charakter; nirgends aber zeichnet Willensstraffheit eine harte Charakterlinie in dies blasse Oval: man spürt nur eine weiche, nachgiebige Natur, die von der Stimmung sich führen läßt und, durchaus weiblich, immer nur den Unterströmungen ihres Empfindens folgt. Dieses Zärtlich-Anmutige ist es auch, was alle an Marie Antoinette vor allem bewundern. Wahrhaft schön ist an dieser Frau eigentlich nur das wesentlich Weibliche, das üppige, vom Aschblonden ins Rötliche schimmernde Haar, das Porzellanweiß und die Glätte ihres Teints, die füllige Weichheit der Formen, die vollendeten Linien ihrer elfenbeinglatten und zartrunden Arme, die gepflegte Schönheit ihrer Hände, all das Blühende und Duftende einer erst halb aufgefalteten Mädchenschaft, allerdings ein zu flüchtiger und sublimierter Reiz, als daß er sich aus den Nachbildungen ganz erahnen ließe.

      Denn auch die wenigen meisterlichen unter ihren Bildern enthalten uns noch das Allerwesentlichste ihrer Natur vor, das Allerpersönlichste ihrer Wirkung. Bilder vermögen fast immer nur die erzwungene starre Pose eines Menschen festzuhalten, und der eigentlichste Zauber Marie Antoinettes beruhte, darüber ist nur eine Stimme, in der unnachahmlichen Anmut ihrer Bewegungen. Erst in der belebten Haltung enthüllt Marie Antoinette die eingeborene Musikalität ihres Körpers; wenn sie auf feinen Fesseln hoch und schlank durch das Spalier der Spiegelsäle schreitet, wenn sie sich kokett-nachgiebig in einem Sessel zum Plaudern zurücklehnt, wenn sie ungestüm aufspringt und beschwingt über die Stufen läuft, wenn sie mit natürlich anmutiger Geste die blendend weiße Hand zum Kusse darreicht oder zärtlich ihren Arm um die Taille der Freundin legt, wirkt ihre Haltung ohne jede Anstrengung vollendet aus weiblich-körperlicher Intuition. »Wenn sie sich aufrecht hält,« schreibt ganz trunken der sonst kühle Engländer Horace Walpole, »ist sie die Statue der Schönheit, wenn sie sich bewegt, die Grazie in Person.« Und wirklich, sie reitet, sie spielt Ball wie eine Amazone; überall, wo ihr biegsam geformter, talentierter Körper ins Spiel kommt, übertrifft sie die schönsten Frauen ihres Hofes, nicht nur an Geschicklichkeit, sondern auch an sinnlichem Reiz, und energisch weist der entzückte Walpole den Einwand, sie folge im Tanze nicht immer genau dem Rhythmus, mit dem hübschen Worte zurück, dann habe eben die Musik unrecht. Aus wissendem Instinkt – jede Frau kennt das Gesetz ihrer Schönheit – liebt Marie Antoinette darum die Bewegung. Unruhe ist ihr wahres Element; Stillsitzen dagegen, Zuhören, Lesen, Lauschen, Nachdenken und in gewissem Sinne sogar Schlaf sind für sie unerträgliche Geduldproben. Nur auf und ab und hin und her, etwas anfangen, immer etwas anderes und nichts zu Ende tun, immer beschäftigt sein und beschäftigt werden, ohne sich dabei selbst ernstlich anzustrengen; nur immer spüren, daß die Zeit nicht stillesteht, nur ihr nach, sie überholen, sie überrennen! Nicht lang essen, nur rasch ein bißchen Zuckerwerk naschen, nicht lange schlafen, nicht lange denken, nur weiter und weiter in wechselndem Müßiggang! So werden die zwanzig königlichen Jahre Marie Antoinettes ein ewiges, um das eigene Ich kreisendes Bewegtsein, das, keinem äußeren oder inneren Ziel zugewandt, menschlich und politisch einen völligen Leerlauf ergibt.

      Diese Haltlosigkeit, dies nie bei sich selber Halt machen, diese Selbstvergeudung einer großen und nur falsch verwerteten Kraft ist es, was ihre Mutter so sehr an Marie Antoinette erbittert: sie weiß genau, die alte Menschenkennerin, dieses von Natur begabte und auch beseelte Mädchen könnte hundertmal mehr aus sich herausholen. Marie Antoinette brauchte nur sein zu wollen, was sie im Grunde ist, und sie hätte königliche Macht; aber, Verhängnis, sie lebt aus Bequemlichkeit ständig unter ihrem eigenen geistigen Niveau. Als echte Österreicherin hat sie unzweifelhaft viel und zu vielem Talent, leider nur nicht den mindesten Willen, diese eingeborenen Gaben ernsthaft auszunützen oder gar zu vertiefen: leichtfertig zerstreut sie ihre Talente, um sich selbst zu zerstreuen. »Ihre erste Regung«, urteilt Joseph II., »ist immer die richtige, und wenn sie dabei beharrte, ein wenig mehr nachdenken würde, wäre sie vortrefflich.« Aber gerade dieses auch nur ein wenig Nachdenken wird ihrem wirbeligen Temperament schon zur Last; jedes andere Denken als das aus dem Stegreif springende bedeutet für sie Anstrengung, und ihre kapriziös nonchalante Natur haßt jede Art geistiger Anstrengung. Nur Spiel will sie, nur Leichtigkeit in allem und jedem, nur kein Bemühen, keine wirkliche Arbeit. Marie Antoinette plaudert ausschließlich mit dem Mund und nicht mit dem Kopf. Wenn man zu ihr spricht, hört sie sprunghaft-zerstreut zu; in der Konversation, bestechend durch bezaubernde Liebenswürdigkeit und glitzernde Leichtigkeit, läßt sie jeden Gedanken, kaum angesponnen, sofort wieder fallen, nichts spricht sie, nichts denkt sie, nichts liest sie zu Ende, nirgends hakt sie sich fest, um daraus einen Sinn und Seim wirklicher Erfahrung zu saugen. Darum mag sie auch keine Bücher, keine Staatsakte, nichts Ernstes, das Geduld und Aufmerksamkeit fordert, und nur ungern, mit ungeduldig kritzelnder Schrift entledigt sie sich der allernotwendigsten Briefe; selbst denen an die Mutter merkt man das Fertighabenwollen oft deutlich an. Nur nicht sich das Leben beschweren, nur nichts, was den Kopf düster oder dumpf oder melancholisch macht! Wer diese ihre Denkfaulheit am besten überspielt, gilt ihr als der klügste Mann, wer Anstrengung fordert, als lästiger Pedant, und mit einem Sprung ist sie weg von allen vernünftigen Ratgebern bei ihren Kavalieren und Gesinnungsschwestern. Nur genießen, nur sich nicht stören lassen durch Nachdenken und Rechnen und Sparen, so denkt sie, und so denken sie alle in ihrem Kreise. Nur den Sinnen leben und sich nicht besinnen: Moral eines ganzen Geschlechts, des Dix-huitième, dem das Schicksal sie symbolisch als Königin gesetzt, daß sie sichtbar mit ihm lebe und sichtbar mit ihm sterbe.

      Einen krasseren charakterologischen Gegensatz als dieses höchst ungleiche Paar könnte kein Dichter erfinden; bis in den letzten Nerv ihrer Körper, bis in den Rhythmus des Bluts, bis in die äußerste Ausschwingung ihrer Temperamente stellen Marie Antoinette und Ludwig XVI. in allen ihren Eigenschaften und Eigenheiten eine geradezu schulmäßige Antithese dar. Er schwer, sie leicht, er plump, sie biegsam, er stockig, sie moussierend, er nervenstumpf, sie flackerig-nervös. Und weiter ins Seelische: er unentschlossen, sie zu rasch entschlossen, er langsam überlegend, sie spontan in Ja und Nein, er strenggläubig bigott, sie selig weltverliebt, er bescheiden demütig, sie kokett selbstbewußt, er pedantisch, sie fahrig, er sparsam, sie

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