Marie Antoinette. Stefan Zweig

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Marie Antoinette - Stefan Zweig

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von der fanatischen Unnachgiebigkeit des großen Künstlers besessene Mann die Protektion nicht. Er rüffelt bei den Proben die verwöhnten Sängerinnen so zornig zusammen, daß sie weinend zu ihren prinzlichen Liebhabern stürzen und sich beschweren; unerbittlich setzt er den an solche Genauigkeit nicht gewöhnten Musikern zu und schaltet im Opernhaus wie ein Tyrann; durch die geschlossenen Türen hört man seine mächtige Stimme streithaft donnern, dutzende Male droht er alles hinzuwerfen, nach Wien zurückzureisen, und nur die Furcht vor seiner kronprinzlichen Gönnerin verhindert noch einen Skandal. Endlich, für den 13. April 1774, wird die Erstaufführung festgesetzt, der Hof bestellt bereits seine Plätze, seine Karossen. Da erkrankt ein Sänger und soll rasch durch einen andern ersetzt werden. Nein, befiehlt Gluck, die Erstaufführung wird verschoben. Verzweifelt beschwört man ihn, was ihm denn einfalle, der Hof hätte seine Einteilung doch schon getroffen; wegen eines mehr oder minder guten Sängers dürfe ein Komponist und gar ein bürgerlicher und überdies ein ausländischer doch nicht wagen, die hohen Verfügungen des Hofes, die Dispositionen allerdurchlauchtigster Herrschaften umzustoßen. Das sei ihm gleichgültig, poltert der bäurische Hartschädel, lieber werfe er seine Partitur ins Feuer, als die Oper unzulänglich spielen zu lassen, furios stürzt er zu seiner Gönnerin Marie Antoinette, der dieser wilde Mann Spaß macht. Sie ergreift sofort Partei für den »bon Gluck«, die Hofkarossen werden zum Ärger der Prinzen abbestellt und die Erstaufführung auf den Neunzehnten verschoben. Außerdem läßt Marie Antoinette durch den Polizeileutnant Maßnahmen treffen, um zu verhindern, daß die hohen Herrschaften ihren Ärger über den unhöfischen Musikanten mit Pfeifen äußern: mit allem Nachdruck macht sie öffentlich die Sache ihres Landsmannes zu der ihren.

      Tatsächlich wird die Uraufführung der »Iphigenie« ein Triumph, aber mehr einer Marie Antoinettes als Glucks. Die Zeitungen, das Publikum zeigen sich eher frostig gesinnt; sie finden, daß es »einige sehr gute Stellen neben sehr platten« in der Oper gebe, denn wie immer in der Kunst begreift sich das großartig Kühne für ein unbelehrtes Auditorium selten auf den ersten Blick. Doch Marie Antoinette hat den ganzen Hof zur Premiere geschleppt; sogar ihr Gatte, der seine Jagd sonst nicht für die Musik der Sphären opfern würde und dem ein erlegter Hirsch wichtiger ist als alle neun Musen, muß diesmal mithalten. Da sich die rechte Stimmung nicht sogleich einstellen will, applaudiert Marie Antoinette demonstrativ von ihrer Loge nach jeder Arie; schon aus Höflichkeit müssen die Schwäger und Schwägerinnen und der ganze Hof fleißig mitklatschen, und so wird trotz aller Kabalen dieser Abend ein Ereignis der Musikgeschichte. Gluck hat Paris erobert, Marie Antoinette zum erstenmal öffentlich ihren Willen über Stadt und Hof durchgesetzt: es ist der erste Sieg ihrer Persönlichkeit, die erste Kundgebung dieser jungen Frau vor ganz Frankreich. Ein paar Wochen noch, und der Titel der Königin bekräftigt eine Macht, die sie aus eigener Kraft bereits selbstherrlich errungen hat.

      Le Roi est mort, vive le Roi!

      Am 27. April 1774 befällt den König Ludwig XV. auf der Jagd plötzlich Mattigkeit; mit schweren Kopfschmerzen kehrt er nach seinem Lieblingsschloß Trianon zurück. In der Nacht stellen die Ärzte Fieber fest und holen Madame Dubarry an sein Lager. Am nächsten Morgen verordnen sie bereits beunruhigt die Übersiedlung nach Versailles. Selbst der unerbittliche Tod muß sich den noch unerbittlicheren Gesetzen der Etikette fügen: ein König von Frankreich darf nicht anderswo ernstlich krank sein oder sterben als in dem königlichen Paradebett. »C'est à Versailles, Sire, qu'il faut être malade.« Dort umstehen sofort sechs Ärzte, fünf Chirurgen, drei Apotheker, im ganzen vierzehn Personen das Krankenlager, sechsmal in jeder Stunde tastet jeder einzelne den Puls ab. Aber nur Zufall hilft zur Diagnose; als abends ein Diener die Kerze hochhebt, entdeckt einer unter den Umstehenden die berüchtigten roten Flecken im Gesicht, und im Nu weiß der ganze Hof und das ganze Schloß von der Schwelle bis zum First: die Blattern! Ein Windstoß von Schrecken fährt durch das riesige Haus, Angst vor der Ansteckung, die tatsächlich in den nächsten Tagen einige Personen ergreift, und mehr noch vielleicht Angst der Höflinge um ihre Stellung im Falle des Todes. Die Töchter zeigen den Mut der wirklich Frommen, tagsüber halten sie bei dem König die Wache, in der Nacht bleibt Madame Dubarry aufopfernd am Lager des Kranken. Den Thronerben dagegen, dem Dauphin und der Dauphine, verbietet das Hausgesetz, wegen der Ansteckungsgefahr das Zimmer zu betreten: seit drei Tagen ist ihr Leben um vieles kostbarer geworden. Und nun teilt sich mit einem gewaltigen Schnitt der Hof; an dem Krankenbett Ludwigs XV. wacht und zittert die alte Generation, die Macht von gestern, die Tanten und die Dubarry; sie wissen genau, daß ihre Herrlichkeit mit dem letzten Atemzug dieser fiebernden Lippen endet. In den andern Zimmern versammelt sich die kommende Generation, der zukünftige König Ludwig XVI., die zukünftige Königin Marie Antoinette und der Graf von Provence, der, solange sich sein Bruder Ludwig nicht entschließen kann, Kinder zu zeugen, sich heimlich gleichfalls als künftigen Thronanwärter fühlt. Zwischen diesen beiden Räumen steht das Schicksal. Niemand darf das Krankenzimmer betreten, wo die alte Sonne der Herrschaft untergeht, niemand das andere Zimmer, in dem die neue Sonne der Macht aufsteigt: dazwischen, in dem Œil de Bœuf, dem großen Vorraum, wartet ängstlich und schwankend die Masse der Höflinge, unsicher, wohin sie ihre Wünsche wenden sollen, zu dem sterbenden oder zu dem kommenden Könige, nach Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang.

      Inzwischen durchpflügt mit tödlicher Wucht die Krankheit den abgelebten, verbrauchten und erschöpften Leib des Königs. Gräßlich aufgeschwollen, von Pusteln übersät, geht der lebende Körper, während das Bewußtsein nicht einen Augenblick aussetzt, in grauenhafte Zersetzung über. Die Töchter und Madame Dubarry brauchen reichlich Mut, um durchzuhalten, denn trotz der geöffneten Fenster erfüllt pestilenzartiger Gestank das königliche Gemach. Bald treten die Ärzte zur Seite, sie geben den Körper verloren – nun beginnt der andere Kampf, das Ringen um die sündige Seele. Aber Entsetzen: die Priester weigern sich, an das Krankenbett zu treten, Beichte und Kommunion zu gewähren; erst solle der sterbende König, der so lange unfromm und nur seinen Lüsten gelebt habe, tätig seine Reue erweisen. Erst müsse der Stein des Anstoßes weggeräumt sein, die Buhlerin, die verzweifelt an einem Lager wacht, das sie so lange unchristlich geteilt hat. Schwer entschließt sich der König gerade jetzt, in dieser fürchterlichen Stunde letzten Alleinseins, den einzigen Menschen wegzuschicken, an dem er innerlich hängt. Aber immer grimmiger würgt ihm die Angst vor dem Höllenfeuer die Kehle. Mit erstickter Stimme nimmt er Abschied von Madame Dubarry, und sofort wird sie unauffällig in einem Wagen in das nahegelegene Schlößchen Rueil gebracht: dort soll sie warten, um wiederzukehren für den Fall, daß der König sich noch einmal erholt.

      Jetzt erst, nach dieser sichtlichen Tat der Reue, sind Beichte und Kommunion möglich. Jetzt erst betritt ein Mann, der achtunddreißig Jahre lang der unbeschäftigteste am ganzen Hof gewesen, das königliche Schlafgemach: der Beichtiger Seiner Majestät. Hinter ihm schließt sich die Tür, und sehr zu ihrem Leidwesen können die neugierigen Höflinge im Vorgemach das Sündenregister des Hirschparkkönigs (und es wäre so interessant!) nicht mitanhören. Aber, die Uhr in der Hand, zählen sie draußen die Minuten sorgfältig mit, um wenigstens dies in ihrer bösartigen Skandalfreude zu berechnen, wieviel Zeit ein Ludwig XV. benötige, um seine sämtlichen Sünden und Ausschweifungen zu bekennen. Endlich, nach genau sechzehn Minuten, öffnet sich neuerdings die Tür, der Beichtiger tritt heraus. Aber schon deuten manche Zeichen darauf hin, daß Ludwig XV. die endgültige Absolution noch nicht gewährt sei, daß die Kirche von einem Monarchen, der achtunddreißig Jahre sein sündiges Herz nicht erleichtert und vor den Augen seiner Kinder in Schande und fleischlicher Lust gelebt hat, noch eine tiefere Demütigung verlange als dieses heimliche Bekenntnis. Gerade weil er der Höchste der Welt gewesen und sich sorglos über dem geistlichen Gesetz stehend gedünkt, verlangt von ihm die Kirche, daß er sich besonders tief vor dem Allerhöchsten beuge. Öffentlich, vor allen und zu allen, müsse der sündige König für seinen unwürdigen Lebenswandel Reue bekunden. Dann erst solle ihm das Abendmahl erteilt werden.

      Großartige Szene am nächsten Morgen: der mächtigste Autokrat der Christenheit muß christliche Buße vor der versammelten Schar seiner eigenen Untertanen tun. Die ganze Treppe des Schlosses entlang stehen die Garden unter Waffen, die Schweizer bilden von der Kapelle bis zum Sterbezimmer hin Spalier, dumpf wirbeln die Trommeln, sobald im feierlichen

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