Marie Antoinette. Stefan Zweig

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Marie Antoinette - Stefan Zweig

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Brillanten tragen, die prachtvollsten Kleider besitzen, den schönsten Wagen, die schnellsten Pferde. Alles das erhält sie ohne Mühe von dem willensschwachen, ihr sexuell völlig hörigen Mann, nichts wird ihr verweigert. Aber – Tragikomödie jeder illegitimen Macht, sie ereignet sich selbst an einem Napoleon! – gerade von der legitimen anerkannt zu werden, ist ihr letzter, ihr äußerster Ehrgeiz. So hat auch Gräfin Dubarry, obwohl von allen Fürsten umschwärmt, von allen Höflingen verwöhnt, nach all ihren erfüllten Wünschen noch einen: von der ersten Frau des Hofes als vorhanden anerkannt, von der Erzherzogin aus dem Hause Habsburg herzlich und freundlich empfangen zu sein. Aber nicht nur, daß diese »petite rousse« (so nennt sie Marie Antoinette in ihrer ohnmächtigen Wut), daß dieses kleine, sechzehnjährige Gänschen, das noch nicht anständig Französisch reden kann, das nicht einmal die lächerliche Kleinigkeit fertigbringt, ihren eigenen Mann zur wirklichen Eheleistung zu bewegen, nicht nur, daß dieses unfreiwillige Jüngferlein immer die Lippen hochzieht und sie vor dem ganzen Hof schneidet – es erfrecht sich sogar, sich ganz offen, ganz schamlos über sie lustig zu machen, über sie, die mächtigste Frau am Hofe, – und das, nein, das läßt sie sich nicht gefallen!

      Das Recht in diesem homerischen Rangstreit ist dem Buchstaben nach unumstößlich auf seiten Marie Antoinettes. Sie ist höheren Ranges, sie braucht mit dieser »Dame«, die als Gräfin tief unterhalb der Thronfolgerin rangiert, nicht zu sprechen, wenn ihr auch für sieben Millionen Diamanten auf dem Busen blitzen. Aber hinter der Dubarry steht die tatsächliche Macht: sie hat den König völlig in ihrer Hand. Schon nahe der untersten Stufe seines moralischen Abstieges, vollkommen gleichgültig gegen den Staat, gegen Familie, Untertanen und Welt, hochmütiger Zyniker – après moi le déluge – will Ludwig XV. nur noch seine Ruhe haben und sein Vergnügen. Er läßt alles laufen, wie es läuft, er kümmert sich nicht um Zucht und Sitte an seinem Hof, wohl wissend, daß er sonst bei sich selbst anfangen müßte. Lange genug hat er regiert, diese letzten paar Jahre will er leben, nur für sich leben, mag alles rings um ihn und hinter ihm zugrunde gehen. Deshalb stört dieser plötzlich ausgebrochene Weiberkrieg ihm ärgerlich den Frieden! Seinen epikureischen Grundsätzen gemäß möchte er sich am liebsten nicht einmischen. Aber die Dubarry liegt ihm täglich in den Ohren, sie lasse sich nicht erniedrigen von einem solchen jungen Ding, nicht lächerlich vor dem ganzen Hofe machen, er müsse sie schützen, ihre Ehre wahren, und damit die seine. Schließlich werden dem König diese Szenen und Tränen überlästig, er läßt sich die Obersthofmeisterin Marie Antoinettes, Madame de Noailles, kommen, damit man endlich wisse, wie der Wind weht. Zuerst äußert er nur Liebenswürdigkeiten über die Gattin seines Enkels. Aber nach und nach flicht er allerhand Bemerkungen ein: er finde, die Dauphine erlaube sich ein bißchen frei zu sprechen über das, was sie sehe, und es wäre gut, sie darauf aufmerksam zu machen, daß ein solches Verhalten schlechte Wirkung im intimen Kreis der Familie hervorrufen müsse. Die Hofdame berichtet sofort (wie es beabsichtigt war) diese Warnung Marie Antoinette, diese erzählt sie den Tanten und Vermond, dieser endlich sie dem österreichischen Gesandten Mercy, der natürlich furchtbar entsetzt ist – die Allianz, die Allianz! – und durch Eilkurier die ganze Affäre der Kaiserin nach Wien schreibt.

      Peinliche Situation für die fromme, die bigotte Maria Theresia! Soll sie, die in Wien mit ihrer berühmten Sittenkommission Damen dieser Art unerbittlich auspeitschen und in die Besserungsanstalt überführen läßt, ihrer eigenen Tochter einer solchen Kreatur gegenüber Höflichkeit vorschreiben? Aber kann sie anderseits Partei gegen den König nehmen? Die Mutter, die strenge Katholikin und die Politikerin in ihr geraten in allerpeinlichsten Widerstreit. Schließlich schlüpft sie als alte gewiegte Diplomatin aus der Affäre, indem sie die ganze Angelegenheit an die Staatskanzlei abschiebt. Nicht sie selbst schreibt ihrer Tochter, sondern läßt ihren Staatsminister Kaunitz an Mercy ein Reskript verfassen mit dem Auftrag, diesen politischen Exkurs Marie Antoinette vorzulegen. Auf diese Weise ist einerseits die sittliche Stellung gewahrt und der Kleinen doch gesagt, wie sie sich verhalten soll, denn Kaunitz erläutert: »Höflichkeit Leuten zu verwehren, die der König in seine Gesellschaft aufgenommen habe, heiße seine Gesellschaft beleidigen, und als solche Personen hätten alle betrachtet zu werden, die der regierende Herr selbst als Vertraute ansieht, und niemand dürfe sich erlauben, nachzuprüfen, ob mit Recht oder Unrecht. Die Wahl des Fürsten, des Monarchen selbst müsse widerspruchslos geachtet werden.«

      Das ist deutlich und sogar überdeutlich. Aber Marie Antoinette steht in der Heizkammer der Tanten. Als man ihr den Brief vorliest, sagt sie zu Mercy in ihrer bequemen Art ein lässiges »Ja, ja« und »schon recht«, aber denkt sich innerlich, die alte Perücke Kaunitz solle schwätzen und schwätzen, was sie wolle, in ihre Privatangelegenheiten habe kein Kanzler etwas dreinzureden. Seit sie merkt, wie fürchterlich die dumme Person, die »sotte créature«, sich ärgert, macht die Sache dem kleinen hochmütigen Mädchen erst doppelten Spaß; als sei nichts vorgefallen, beharrt sie boshaft-heiter in ihrem offenkundigen Schweigen. Jeden Tag begegnet sie der Favoritin bei Bällen, bei Festen, am Spieltisch, sogar an der Tafel des Königs und beobachtet, wie sie wartet und schielt und vor Erregung zittert, wenn sie ihr nahekommt. Aber warte nur, warte bis zum Jüngsten Gericht: immer wieder schürzt sie verächtlich die Lippe, wenn ihr Blick zufällig in die Richtung streift, und eisig geht sie vorbei; das von der Dubarry, vom König, von Kaunitz, von Mercy und heimlich auch von Maria Theresia erwünschte und ersehnte Wort wird nicht ausgesprochen.

      Nun ist der Krieg offen erklärt. Wie um einen Hahnenkampf scharen sich die Höflinge um die beiden Frauen, die sich entschlossen anschweigen, die eine mit Tränen ohnmächtiger Wut in den Augen, die andere ein verächtlich kleines überlegenes Lächeln um die Lippen. Alles will sehen und wissen und wetten, ob die legitime Herrscherin Frankreichs oder die illegitime ihren Willen durchsetzt. Ein amüsanteres Schauspiel hat Versailles seit Jahren und Jahren nicht gehabt.

      Jetzt aber wird der König ärgerlich. Gewohnt, daß in diesem Palast alles byzantinisch gehorcht, wenn er nur mit der Wimper zuckt, daß jeder dienernd in die Richtung seines Willens läuft, noch ehe er ihn deutlich kundgegeben, spürt er, der Allerchristlichste König von Frankreich, zum erstenmal einen Widerstand: ein halbwüchsiges Mädchen wagt, seinen Befehl öffentlich zu mißachten. Das Einfachste wäre natürlich, diese freche Widerspenstige vor sich zu entbieten und ihr energisch den Kopf zu waschen; aber selbst in diesem entsittlichten und durchaus zynischen Mann regt sich noch eine letzte Scheu; es ist für ihn immerhin peinlich, der erwachsenen Frau seines Enkels zu befehlen, sie möge mit der Mätresse des Herrn Großvaters Konversation machen. So tut Ludwig XV. in seiner Verlegenheit genau dasselbe, was Maria Theresia in der ihren: er macht aus der Privatangelegenheit einen Staatsakt. Zu seiner Überraschung sieht sich der österreichische Botschafter Mercy vom französischen Außenministerium zu einer Besprechung nicht in die Audienzräume gebeten, sondern in die Gemächer der Gräfin Dubarry. Gleich beginnt er allerhand aus dieser sonderbaren Ortswahl zu ahnen, und es geschieht, was er erwartet hat: Kaum daß er einige Worte mit dem Minister gesprochen, tritt die Gräfin Dubarry ein, begrüßt ihn herzlich und erzählt ihm nun ausführlich, wie unrecht man ihr tue, wenn man ihr feindselige Gesinnungen gegen die Dauphine unterschiebe; im Gegenteil, sie sei es, die verleumdet, niederträchtig verleumdet werde. Dem guten Botschafter Mercy ist es peinlich, so plötzlich aus dem Vertreter der Kaiserin der Vertraute der Dubarry zu werden, er redet diplomatisch hin und her. Aber da öffnet sich lautlos die geheime Tapetentür, und Ludwig XV. greift höchstselbst in das heikle Gespräch ein. »Bisher sind Sie«, sagt er zu Mercy, »der Botschafter der Kaiserin gewesen, seien Sie nun, bitte, für einige Zeit mein Botschafter.« Dann äußert er sich sehr offen über Marie Antoinette. Er fände sie reizend; aber jung und überlebendig, wie sie sei und dazu noch an einen Gatten vermählt, der sie nicht zu beherrschen wisse, falle sie allerhand Kabalen anheim und lasse sich von anderen Personen (gemeint sind die Tanten, die eigenen Töchter) schlechte Ratschläge geben. Er bitte darum Mercy, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, daß die Dauphine ihre Haltung ändere. Mercy begreift sofort, die Angelegenheit ist Politik geworden, hier ist ein offener klarer Auftrag, der ausgeführt werden muß: der König fordert glatte Kapitulation. Selbstverständlich meldet Mercy die Sachlage schleunigst nach Wien, legt, um das Peinliche seiner Mission zu mildern, etwas freundliche Schminke auf das Porträt der Dubarry, sie sei gar so übel nicht, und ihr ganzes Verlangen stünde nach der Kleinigkeit, daß die

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