Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt. Josefine Mutzenbacher
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nicht im Dreck der Vororte erstickt. Ich habe mir eine schöne Bildung
erworben, die ich nur einzig und allein der Hurerei verdanke, denn diese
war es, die mich in Verkehr mit vornehmen und gelehrten Männern brachte.
Ich habe mich aufklären lassen und gefunden, daß wir armen, niedrig
geborenen Weiber nicht so viel Schuld haben, als man uns einreden
möchte. Ich habe die Welt gesehen und meinen Gesichtskreis erweitert,
und alles das verdanke ich meinem Lebenswandel, den man einen
»lasterhaften« nennt. Wenn ich meine Schicksale jetzt aufschreibe, so
tue ich das nur, die Stunden meiner Einsamkeit damit zu kürzen, und was
mir jetzt abgeht, aus der Erinnerung wenigstens herbeizuschaffen. Ich
halte das für besser als bußfertige Erbauungsstunden, die meinem Pfarrer
wohl gefielen, die mir aber nicht zu Herzen gingen und mir nur eine
grenzenlose Langeweile bereiten würden. Auch finde ich, daß der
Lebensgang von Meinesgleichen nirgends aufgeschrieben steht. Die Bücher,
die ich danach durchsucht habe, erzählen nichts davon, und es wäre
vielleicht doch gut, wenn die vornehmen und reichen Herren, die sich an
uns ergötzen, die uns locken und sich von uns alle unmöglichen Dinge
aufbinden lassen, einmal erfahren würden, wie es in einem jener Mädchen
aussieht, die sie so brünstig in ihre Arme schließen, woher es stammt,
was es erlebt hat, und was es denkt.
* * *
Mein Vater war ein blutarmer Sattlergehilfe, der in einem Geschäft in
der Josefstadt arbeitete. Wir wohnten ganz weit draußen in Ottakring, in
einem damals neuen Hause, einer Zinskaserne, die von oben bis unten mit
armen Leuten angefüllt war. Alle diese Leute hatten viele Kinder, und im
Sommer war der Hof zu klein für ihre Schar. Ich selbst besaß zwei
Brüder, die beide um wenige Jahre älter waren als ich. Mein Vater, meine
Mutter, wir drei Kinder wohnten in einer Küche und einem Zimmer und
hatten noch einen Bettgeher mit dazu. Solche Bettgeher waren der Reihe
nach wohl ein halbes hundert bei uns; sie kamen und gingen, bald
friedlich, bald in Streit, und die meisten von ihnen verschwanden
spurlos, ohne daß wir jemals wieder etwas von ihnen hörten. Ich erinnere
mich hauptsächlich an zwei von ihnen. Der eine war ein Schlossergeselle,
ein schwarzer, traurig aussehender Bursche, der ganz kleine schwarze
Augen hatte, und immer voll Ruß im Gesicht war. Wir Kinder fürchteten
uns vor ihm. Er war auch immer schweigsam und sprach kein Wort. Ich
entsinne mich, daß er eines Nachmittags nach Hause kam, während ich
allein in der Wohnung mich befand. Ich war damals fünf Jahre alt und
spielte am Boden des Zimmers. Meine Mutter war mit den beiden Buben am
Fürstenfeld, mein Vater von der Arbeit noch nicht zurück. Der Schlosser
nahm mich vom Boden auf und hielt mich auf seinem Schoß. Ich wollte
schreien, aber er sagte leise: »Sei stad, ich tu' dir nix!« Und dann
legte er mich zurück, hob mein Röckchen auf, und betrachtete mich, wie
ich nackt vor ihm auf seinen Knien lag. Ich fürchtete mich sehr vor ihm,
aber ich verhielt mich ganz still. Wie er meine Mutter kommen hörte,
setzte er mich rasch auf den Fußboden und ging in die Küche. Ein paar
Tage später kam er wieder frühzeitig nach Hause und die Mutter ersuchte
ihn auf mich aufzupassen. Er versprach es, und hielt mich wieder die
ganze Zeit auf seinen Knien, in Betrachtung meines nackten Mittelstückes
begriffen. Er sprach kein Wort, sondern schaute nur immer auf die eine
Stelle hin, und ich traute mich auch nicht, etwas zu reden. Das
wiederholte sich, solange er bei uns wohnte, einigemale. Ich begriff
nichts davon, und machte mir auch, nach Kinderart, keine Gedanken
darüber. Heute weiß ich, was das bedeutet hat, und nenne den
Schlossergesellen oft meinen ersten Geliebten.
Von dem zweiten Bettgeher werde ich später reden.
Meine beiden Brüder Franz und Lorenz waren sehr ungleich. Lorenz, der
älteste, er war um vier Jahre älter als ich, war immer sehr
verschlossen, in sich gekehrt, fleißig und heilig. Franz, der nur
anderthalb Jahre mehr zählte als ich, war dagegen lustig, und er hielt
sich auch viel mehr zu mir als zum Lorenz. Ungefähr sieben Jahre war ich
alt geworden, als ich eines Nachmittags mit Franz zu Nachbarskindern auf
Besuch ging. Es war auch ein Bruder und eine Schwester, und diese Kinder
waren immer allein, weil sie keine Mutter hatten, und ihr Vater in die
Arbeit gehen mußte. Die Anna war damals schon neun Jahre alt, ein
blasses, mageres, weißblondes Mädchen mit einer gespaltenen Lippe. Und
ihr Bruder Ferdl, ein dreizehnjähriger, robuster Bub, auch ganz
weißblond, aber rotwangig und breitschultrig. Wir spielten zuerst ganz
harmlos. Da sagte die Anna auf einmal: »Spiel'n wir doch Vater und
Mutter.« Ihr Bruder lachte und sagte: »Die will immer nur Vater und
Mutter