Das Geld. Emile Zola
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Dann rief er den Kellner zurück.
»Sind Sie sicher, daß Herr Huret nicht vor mir gekommen und wieder gegangen ist?«
»Oh, ganz sicher!«
So stand es nun mit ihm nach dem Zusammenbruch, der ihn im Oktober wieder einmal gezwungen hatte, seine Geschäfte zu liquidieren, sein Haus am Parc Monceau zu verkaufen und eine Wohnung zu mieten: nur Leute wie Sabatani grüßten ihn noch; bei seinem Eintritt in ein Restaurant, in dem er den Ton angegeben hatte, drehte sich nicht mehr alle Welt nach ihm um, streckten sich nicht mehr alle Hände ihm entgegen. Er war ein richtiger Spieler, er hegte keinen Groll nach diesem letzten skandalösen und unheilvollen Grundstücksgeschäft, aus dem er kaum mehr als die eigene Haut gerettet hatte. Aber ein fieberhaftes Verlangen, Revanche zu nehmen, entbrannte in ihm; Huret hatte ausdrücklich versprochen, gegen elf Uhr hier zu sein, um ihn über die Ergebnisse seiner Bemühungen bei Rougon zu unterrichten, dem damals allmächtigen Minister, und daß Huret nicht da war, brachte Saccard vor allem gegen seinen Bruder Rougon auf. Huret, der gehorsame Abgeordnete, die Kreatur des großen Mannes, war bloß ein Laufbursche. Nur, war es denn möglich, daß Rougon, der alles vermochte, ihn so im Stich ließ? Nie hatte er sich als guter Bruder erwiesen. Daß er nach der Katastrophe verärgert war, daß er offen mit ihm gebrochen hatte, um nicht selber bloßgestellt zu werden, war begreiflich; aber hätte er ihm nicht seit sechs Monaten heimlich zu Hilfe kommen müssen? Und jetzt sollte er die Stirn haben, ihm nicht kräftig unter die Arme zu greifen, wenn er ihn durch einen Dritten darum bitten ließ? Er wagte ja schon nicht, ihn persönlich aufzusuchen, weil er einen Zornesausbruch befürchtete, zu dem er sich möglicherweise hinreißen ließe. Rougon brauchte nur ein Wort zu sagen, dann käme er wieder auf die Beine und könnte diesem feigen, großen Paris von neuem den Fuß auf den Nacken setzen.
»Welchen Wein wünschen der Herr?« fragte der Weinkellner.
»Ihren einfachen Bordeaux.«
Saccard war in Gedanken versunken; er hatte keinen Appetit und ließ sein Kotelett kalt werden. Als er einen Schatten über das Tischtuch gleiten sah, hob er die Augen. Das war Massias, ein dicker, rotgesichtiger Kerl, ein Remisier6, den er als armen Mann gekannt hatte und der sich jetzt, mit seinem Kurszettel in der Hand, zwischen den Tischen hindurchschlängelte. Es traf Saccard schwer, daß Massias nicht stehenblieb, sondern an ihm vorbeiging, um den Kurszettel Moser und Pillerault zu reichen. Zerstreut und in ein angeregtes Gespräch verwickelt, warfen diese kaum einen Blick darauf: nein, sie hätten keine Orders zu erteilen, ein andermal. Massias wagte nicht, den berühmten Amadieu anzugehen, der, über einen Hummersalat gebeugt, leise mit Mazaud plauderte, und trat an Salmon heran, der den Kurszettel nahm, ihn lange studierte und dann wortlos zurückgab. Der Saal belebte sich. Alle Augenblicke gingen die Türen auf, und andere Remisiers kamen herein. Laute Worte flogen zwischen den Tischen hin und her, eine richtige Spekulationswut kam auf, je mehr die Zeit vorrückte. Und Saccard, dessen Blicke unaufhörlich nach draußen schweiften, sah, wie sich auch der Platz nach und nach füllte, wie die Wagen und die Fußgänger herbeiströmten, während sich auf den Stufen zur Börse, die im Sonnenlicht gleißten, schon einzelne schwarze Flecken zeigten, die Männer der Börse.
»Ich sage es Ihnen noch einmal«, sagte Moser mit seiner weinerlichen Stimme, »daß diese Nachwahlen vom 20. März7 ein höchst beunruhigendes Symptom sind ... Schließlich ist heute ganz Paris der Opposition ergeben.«
Aber Pillerault zuckte mit den Schultern. Carnot8 und Garnier-Pagès9 auf den Bänken der Linken, was konnte das schon ausmachen?
»Das ist wie mit der Frage der Herzogtümer10«, fing Moser wieder an, »das kann eine Menge Verwicklungen geben ... Ganz bestimmt! Aber lachen Sie ruhig. Ich sage ja nicht, daß wir Preußen hätten den Krieg erklären müssen, um es daran zu hindern, sich auf Kosten Dänemarks zu mästen; allein es gab Mittel und Wege zu handeln ... Ja, ja, wenn die Großen erst anfangen, die Kleinen aufzufressen, weiß man nie, wo das aufhört ... Und was Mexiko betrifft ..11.«
Pillerault, der einen seiner restlos zufriedenen Tage hatte, brach in Lachen aus.
»Ach nein, mein Lieber! Hören Sie doch auf, uns mit Ihren Schauergeschichten über Mexiko zu langweilen ... Mexiko wird einmal das Ruhmesblatt dieser Regierung sein ... Woher, zum Teufel, wollen Sie wissen, daß das Kaiserreich12 krank ist? Wurde nicht im Januar die Dreihundertmillionenanleihe um mehr als das Fünfzehnfache überzeichnet? Ein überwältigender Erfolg ... Passen Sie auf, wir sprechen uns 67 wieder, in drei Jahren, wenn die Weltausstellung13 eröffnet wird, die der Kaiser14 soeben beschlossen hat.«
»Ich sage Ihnen, die Dinge stehen schlecht!« bekräftigte Moser verzweifelt.
»Ach, lassen Sie uns in Frieden, die Dinge stehen gut!«
Salmon sah die beiden an und lächelte tiefgründig. Und Saccard, der ihnen zugehört hatte, führte die Krise, in die das Kaiserreich zu geraten schien, auf die Schwierigkeiten seiner persönlichen Lage zurück. Er selbst war wieder einmal am Boden: sollte dieses Kaiserreich, das ihn hervorgebracht hatte, pleite gehen wie er und plötzlich vom höchsten Glück ins tiefste Elend stürzen? Ach, zwölf Jahre lang hatte er es geliebt und verteidigt, dieses Regime, unter dem er gespürt hatte, wie er auflebte, wie er gedieh, sich mit Saft füllte wie der Baum, dessen Wurzeln sich in das nährende Erdreich senken! Aber wenn sein Bruder ihn da herausreißen wollte, wenn er ihn abschneiden wollte von denen, die den fetten Boden der Genüsse aussaugten, dann sollte auch alles hinweggerafft werden in dem großen letzten Zusammenbruch der nächtlichen Feste!
Jetzt wartete er auf seinen Spargel, in Erinnerungen versunken, weit weg von diesem Saal, in dem das hektische Treiben unaufhörlich zunahm. In einem breiten Spiegel gegenüber hatte er sein Bild erblickt und war überrascht. Das Alter nagte noch längst nicht an seiner kleinen Person, mit seinen fünfzig Jahren schien er kaum erst achtunddreißig und war noch genauso mager und lebhaft wie als junger Mann. Mit den Jahren hatte sein dunkles, eingefallenes Kasperpuppengesicht mit der spitzen Nase und den kleinen leuchtenden Augen sogar gewonnen, hatte den Reiz dieser andauernden, so geschmeidigen und unternehmungslustigen Jugend angenommen; in seinem buschigen Haar schimmerte noch kein weißes Härchen. Und er konnte nicht umhin, sich seiner Ankunft in Paris am Tage nach dem Staatsstreich15 zu entsinnen, als er an einem Winterabend mit leeren Taschen und ausgehungert auf dem Pflaster lag und einen wahren Anfall von Begierden zu befriedigen hatte. Ach, dieser erste Streifzug durch die Straßen! Noch ehe er seine Koffer ausgepackt, hatte er das Verlangen verspürt, sich mit seinen schiefgelaufenen Stiefeln und seinem speckigen Überzieher in die Stadt zu stürzen, um sie zu erobern! Seit diesem Abend war er oft sehr hoch gestiegen, ein Strom von Millionen war durch seine Hände geflossen, ohne daß ihm jemals das Glück wie ein Sklave gehört hatte, wie ein Ding, über das man verfügt, das man unter Verschluß hält, lebendig und greifbar. Immer hatten die Lüge, der Schein seine Kassen bewohnt, die sich durch unsichtbare Löcher ihres Goldes zu entleeren schienen. Nun lag er wieder auf der Straße wie in der fernen Zeit des Aufbruchs, ebenso jung, ebenso ausgehungert, immer noch unbefriedigt und gequält von dem gleichen Verlangen nach Genüssen und Eroberungen. Er hatte von allem gekostet, und er hatte sich nicht satt gegessen, da er, wie er glaubte, weder Gelegenheit noch Zeit gehabt hatte, tief genug in die Menschen und in die Dinge hineinzubeißen. In dieser Stunde empfand er das ganze Elend, wieder auf der Straße zu liegen und weniger zu sein als ein Anfänger, den wenigstens die Illusion und die Hoffnung aufrecht gehalten hätten. Und ein fieberhaftes Verlangen packte ihn, alles von vorn anzufangen, um alles zurückzuerobern, höher zu steigen, als er je gestiegen war, endlich der eroberten Stadt den Fuß auf den Nacken zu setzen. Nicht mehr den lügnerischen Reichtum der Fassade wollte er, sondern das dauerhafte Gebäude des Vermögens, das wahre Königtum des Goldes, das auf vollen Säcken thront!
Mosers kreischende hohe Stimme, die sich erneut vernehmen ließ, lenkte Saccard einen Augenblick von seinen Überlegungen ab.
»Die