Das Geld. Emile Zola
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Aber seit seinem Ruin hatte er nicht mehr gewagt, die Börse wieder aufzusuchen; und auch an diesem Tag hielt ihn ein Gefühl verletzter Eitelkeit, hielt ihn die Gewißheit, dort als Besiegter aufgenommen zu werden, davor zurück, die Stufen hinanzusteigen. Und so wie ein aus dem Schlafzimmer seiner Geliebten vertriebener Liebhaber diese nur noch mehr begehrt, auch wenn er sie zu verachten glaubt, kehrte er wie unter einem Zwang hierher zurück, machte er unter nichtigen Vorwänden eine Runde durch den Säulengang, bummelte durch den Garten und schlenderte im Schatten der Kastanienbäume umher. Auf diesem staubigen Square27 ohne Rasen und Blumen, wo auf den Bänken zwischen den Bedürfnisanstalten und den Zeitungsständen verdächtige Spekulanten lungerten, wo barhäuptige Frauen aus dem Viertel ihre Säuglinge stillten, gab sich Saccard als unbeteiligter Spaziergänger, blickte empor, spähte umher, von dem wütenden Gedanken erfüllt, daß er das Gebäude belagerte, daß er es mit einem engen Ring umschloß, um hier eines Tages wieder als Triumphator einzuziehen.
Um die rechte Ecke herum drang er bis zu den Bäumen gegenüber der Rue de la Banque vor und stieß sogleich auf die Winkelbörse für die vom Kurszettel gestrichenen Wertpapiere, auf die »Naßfüßler«, wie diese Spekulanten des Trödels mit spöttischer Verachtung genannt wurden, die unter freiem Himmel im Schlamm der Regentage die Aktienkurse der liquidierten Gesellschaften notieren. Ein Haufen Juden, schmutzig gekleidet, bildete dort eine lärmende Gruppe, lauter fettige, glänzende Gesichter, dürre Profile wie bei gefräßigen Vögeln, eine ungewöhnliche Ansammlung von typischen Nasen, dicht bei dicht, als wollten sie sich mit kehligen Rufen auf eine Beute stürzen oder sich untereinander verschlingen. Als er vorüberging, bemerkte er ein wenig abseits einen dicken Mann, der behutsam zwischen seinen großen schmutzigen Fingern einen Rubin in die Höhe hielt, um ihn in der Sonne zu prüfen.
»Sieh mal an. Busch! ... Da fällt mir ein, daß ich zu Ihnen hinauf wollte.«
Busch, der in der Rue Feydeau, Ecke Rue Vivienne ein Geschäftsbüro führte, war ihm zu wiederholten Malen in schwierigen Lagen von großem Nutzen gewesen. Er prüfte weiter verzückt das Feuer des Edelsteins, das breite, ausdruckslose Gesicht emporgerichtet, die großen grauen Augen wie erloschen in dem grellen Licht; man sah seine zu einem Strick zusammengedrehte weiße Halsbinde, die er immer trug, und sein gebraucht gekaufter Gehrock, der früher einmal prachtvoll gewesen sein mußte, jetzt aber unsagbar abgewetzt und fleckig war, reichte ihm bis an die fahlen Haare, die in spärlichen, widerspenstigen Strähnen von seinem kahlen Schädel herabhingen. Das Alter seines von der Sonne ausgebleichten, von den Regengüssen verwaschenen Hutes war nicht mehr zu bestimmen.
Endlich kam er aus seiner Verzückung wieder zu sich.
»Ach, Herr Saccard! Sie machen hier wohl einen kleinen Spaziergang?«
»Ja ... Da ist ein Brief in russischer Sprache von einem russischen Bankier, der sich in Konstantinopel niedergelassen hat, und ich dachte, daß Ihr Bruder ihn mir übersetzen könnte.«
Busch, der in der rechten Hand unbewußt und zärtlich noch immer den Rubin hin und her bewegte, gab ihm die linke und sagte, die Übersetzung würde ihm noch am gleichen Abend zugeschickt. Aber Saccard erklärte, es handele sich nur um zehn Zeilen.
»Ich gehe mal hinauf, Ihr Bruder kann es mir dann gleich vorlesen ...«
Er wurde unterbrochen, weil Frau Méchain hinzutrat, ein Riesenweib, das den Stammbesuchern der Börse wohlbekannt war, eine jener wütenden, erbärmlichen Spekulantinnen, die ihre fetten Finger in allen möglichen dunklen Geschäften haben. Ihr gedunsenes rotes Vollmondgesicht mit den winzigen blauen Augen, der verschwindend kleinen Nase, dem kleinen Mund, aus dem eine flötende Kinderstimme kam, quoll unter dem alten malvenfarbigen Hut hervor, dessen dunkelrote Bänder schief gebunden waren; der riesige Busen und der Wasserbauch ließen das ausgebleichte, völlig verdreckte grüne Popelinekleid in den Nähten krachen. Am Arm hatte sie eine uralte schwarze Ledertasche, groß und geräumig wie ein Koffer, von der sie sich nie trennte. An diesem Tag war die Tasche zum Platzen voll und so schwer, daß sie Frau Méchain zur Seite zog wie einen schiefgewachsenen Baum.
»Da sind Sie ja«, sagte Busch, der offenbar auf sie gewartet hatte.
»Ja, und ich habe die Papiere aus Vendôme bekommen, hier bringe ich sie Ihnen.«
»Schön! Gehen wir zu mir ... Hier ist heute nichts zu machen.«
Saccard hatte einen flackernden Blick auf die große Ledertasche geworfen. Er wußte, daß darin zwangsläufig die vom Kurszettel gestrichenen Papiere, die Aktien der bankrotten Gesellschaften, verschwanden, mit denen die »Naßfüßler« noch spekulieren, Aktien von fünfhundert Francs, die sie sich für zwanzig, für zehn Sous streitig machen in der unsicheren Hoffnung auf ein unwahrscheinliches Wiederanziehen des Kurses oder die sie zweckmäßigerweise gleich als strafbare Ware handeln, um sie mit Gewinn den Bankrotteuren abzulassen, die ihre Passiva28 aufblähen wollen. In den mörderischen Schlachten der Finanzwelt war die Méchain der Rabe, der den marschierenden Armeen folgt; nicht eine Gesellschaft, nicht ein großes Kreditinstitut brach zusammen, ohne daß sie mit ihrer Tasche erschien, ohne daß sie, selbst in den glücklichen Stunden der triumphierenden Emissionen29, die Leichen in der Luft witterte; denn sie wußte wohl, daß die Niederlage unabwendbar war, daß der Tag des Gemetzels kommen würde, an dem es Tote zu fressen und Wertpapiere für umsonst im Schlamm und im Blut aufzulesen gab. Und ihm, der sein großes Bankprojekt erwog, schauderte leicht; eine Vorahnung durchzuckte ihn beim Anblick dieser Tasche, dieses Beinhauses der entwerteten Aktien, in dem alles aus der Börse gefegte schmutzige Papier verschwand.
Als Busch die alte Frau mitnehmen wollte, hielt ihn Saccard zurück.
»Dann kann ich also hinaufgehen und treffe Ihren Bruder bestimmt an?«
Die Augen des Juden blickten mit einemmal sanft und drückten eine unruhige Überraschung aus.
»Meinen Bruder, aber sicher! Wo soll er denn sonst sein?«
»Sehr schön, bis gleich!«
Und Saccard, der die beiden gehen ließ, setzte entlang den Bäumen seinen langsamen Gang zur Rue Notre-Dame-des-Victoires fort. Auf dieser Seite des Platzes herrscht besonders reger Verkehr; Geschäfte und Etagenfirmen, deren goldene Schilder in der Sonne aufflammten, nehmen die ganze Front ein. Markisen knatterten an den Balkonen, eine Familie aus der Provinz stand offenen Mundes am Fenster einer Pension. Mechanisch hob Saccard den Kopf und betrachtete diese Leute, deren Verblüffung ihn lächeln ließ und ihn in dem Gedanken bestärkte, daß es in der Provinz immer Aktionäre geben würde. Hinter seinem Rücken hielt der Aufruhr der Börse, das Rauschen einer fernen Flut an, verfolgte ihn wie eine Drohung, ihn einzuholen und zu verschlingen.
Aber eine neuerliche Begegnung hielt ihn fest.
»Wie, Jordan, Sie an der Börse?« rief er und drückte einem großen braunhaarigen jungen Mann mit einem kleinen Schnurrbärtchen und entschlossener, eigensinniger Miene die Hand.
Jordan,